Ein Meinungsbericht über die Gastvorlesung „Sprechblase 2.0“ des Münchener Medienwissenschaftlers Christoph Neuberger
„Früher war Journalismus besser“ – eine Aussage, die so manche Großeltern sicherlich genau so unterschreiben würden. Aber wie ist das mit einem Medienwissenschaftler, der sich explizit mit den digitalen Medien des 21. Jahrhunderts beschäftigt? Professor Christoph Neuberger hielt hierzu am 9. Mai 2012 den Vortrag „Sprechblase 2.0“ – seine Kernthese dabei: Öffentliche Aussagen werden in digitaler Kommunikation immer wertloser.
von Alexander Link
Draußen scheint die Sonne, drinnen regnet es Exkremente. Denn dort erklärt Prof. Neuberger, Dozent für Kommunikationswissenschaft und Journalistik an der LMU München, gerade, was unter einem „shitstorm“ zu verstehen ist. Resultat: eine Demotivation der jungen Medienwissenschaftlerschaft, einer Generation von „Bloggern, Twitterern und Social Networkern“. Der Anglizismus des Jahres 2011 beschreibt ein eben dieser Generation nur wohlbekanntes Phänomen: eine „Inflation der Meinungen“ via Internet – leider oft zur Diffamierung anderer Personen, Organisationen, Meinungen verwendet.
„Jedermannjournalismus“ steht für den Verfall von publizistischer Qualität
Wo es früher noch Wertschätzung für die gesicherte Professionalität und Qualität öffentlicher Aussagen gab – denn sie waren eben nur durch Zeitungen, Radio und vielleicht Fernsehen vermittelbar – steht heute ein „Jedermannjournalismus“ für den Verfall von publizistischer Qualität. Angeblich wusste man früher eher „wer die Publizisten sind und wie sie ticken.“ Heute sei das lange nicht mehr so. Relativ schade findet das auch Prof. Neuberger, denn: Früher dachte man doch, dass die „Revolution der Bürgerbeteiligung“ via Internet und Co. die öffentliche Meinung demokratischer und transparenter machen würde.
Aber stattdessen haben wir eine riesige „Institutionalisierungsschwäche“, wie der Münchner Professor sie nennt. Keiner weiß mehr wie, wo und wann er guten, differenzierten und ehrlichen Journalismus im Dschungel des „Bürgerjournalismus“ findet. Schade eigentlich.
So die irgendwie ziemlich altbekannte These.
Qualität wird offensichtlich doch noch gesucht und auch gefunden
Seltsam dann jedoch, dass Prof. Neuberger sich danach teilweise selbst widerlegt:
Viele Nutzer – so legt er in Statistiken selbst dar – nutzen schließlich immer noch die Angebote der klassischen journalistischen „Qualitätsmedien“ wie SPIEGEL online, der Tagesschau oder auch ähnlicher. Nur diesmal halt im Internet. Qualität wird im Dschungel der Quantität offensichtlich doch noch gesucht und auch gefunden, schließlich haben diese Portale immer noch die höchsten Nutzerzahlen. Zwar wollen über 60 Prozent der Internetcommunity nicht für qualitative journalistische Inhalte bezahlen, was ja aber nicht bedeutet, dass sie an diesen nicht interessiert sind. Und plötzlich wirkt das Argument nicht mehr so, dass es keine festen Institutionen von und für hochwertigen Journalismus im Internet gibt und die „User“ sich nicht zurechtfinden könnten.
Klar, dass „Wikipedia“ (trotz hoher Werte für „Vertrauenswürdigkeit“ bei den Nutzern) mit Vorsicht zu genießen ist und die Online Version der BILD-Zeitung vielleicht nicht den objektivsten Journalismus anbietet, sollte man wohl wissen. Aber Neubergers wesentliche Thesen bewegen sich auch nur auf dem Niveau dessen, was ein großer Teil der aufgeklärten Bevölkerung eh schon wusste. Wissenschaft sollte ja eigentlich Erkenntnisgewinn bedeuteten, aber war dies heute wirklich gegeben?
Apokalypse 4.0
Und der ewig gleiche Vorwurf, dass durch interaktiven Journalismus im Netz die Qualität und Sicherung echten journalistischen Inhalts verloren geht, hat einen durchaus langen Bart. Bereits das Fernsehen, das Radio oder das Aufkommen von Boulevard-Zeitungen waren schon als das Ende des gesicherten Qualitätsjournalismus ausgerufen worden. Dieses wäre dann Apokalypse 4.0 oder vielleicht schon 4.1. So recht mag man daran dann doch nicht glauben…