Ein Porträt über eine Studentin und ihren christlichen Glauben
„Ich glaube, es regnet!“ „Ich glaube, diese Hose steht mir nicht!“ Diese Sätze kommen schnell über die Lippen. Viele junge Leute glauben heutzutage nicht mehr im eigentlichen, religiösen Sinne. Oder sie wissen nicht, was genau sie glauben sollen. Anja H. gehört nicht zu ihnen.
von Pia Rox
Nachdenklich schaut sie aus dem Fenster. Ihre Knie hat sie angezogen, die Schuhe ausgezogen. Draußen zwitschern die Vögel. Es ist 19 Uhr und immer noch angenehm warm. Sie setzt sich aufrecht hin, dreht sich um und sagt: „Ich glaube!“
Anja H. ist Christin. Sie studiert seit fast drei Jahren in Tübingen — Rhetorik und Medienwissenschaft. „Mein Studium macht mir Spaß, ich studiere gerne. Aber irgendwie freue ich mich trotzdem, dass ich im Sommer voraussichtlich meinen Bachelor in der Tasche habe.“ In ihrer Freizeit unternimmt sie viel mit ihren Freunden. Bei schönem Wetter spielen sie am liebsten Frisbee im Botanischen Garten. Heute Abend steht aber etwas anderes auf dem Programm: Nachher geht es noch zu Campus für Christus.
Das Leben der 23-Jährigen dreht sich nicht nur um das Studium und ihre Freunde, sondern vor allem um Gott. „Ich vertraue darauf, dass es einen Gott gibt, der mich liebt, an den ich mich wenden kann Und der immer da ist“, sagt sie mit Überzeugung. Mit 13 Jahren entschied sich Anja, den christlichen Glauben in ihr Leben zu integrieren — sie ließ sich taufen. Diese Entscheidung überließen Anjas Eltern ihr selbst. Das ist so üblich in einer Freikirche. Die Kinder sollen selbst entscheiden, ob sie den Glauben annehmen oder nicht. So wie Anja. Ihre Eltern beteten viel mit ihr und erzählten ihr von Gott. Auch in die Kirche ging sie regelmäßig. „Doch irgendwann war ich an einem Punkt angekommen, an dem ich etwas sehr Wichtiges begriffen hatte“, sagt Anja. „Glauben ist keine Tradition, die man von den Eltern einfach so übernimmt. Man muss sich bewusst dafür entscheiden.“
Und das hat sie, bis heute. Sie nennt es die beste Entscheidung ihres Lebens.
Mit Gott frühstücken
„Ich bekomme es nicht immer hin, Gott und Jesus in meinen Alltag zu integrieren. Aber ich glaube, dass Gott deshalb nicht böse ist.“ Wenn sie nicht weiterweiß, liest sie in der Bibel — zwei bis dreimal die Woche. Das ist ein wichtiger Teil ihres Lebens. Besonders wenn sie etwas bedrückt, hilft ihr das. Beten tut sie auch, aber nicht im klassischen Sinne: „Ich bete. Das heißt für mich nicht, mich vors Bett zu knien und die Hände zu falten, sondern ich beziehe Gott in meinen Alltag ein, indem ich in Gedanken mit ihm rede.“ Sei es beim Frühstück, beim Einkaufen oder in einem ruhigen Moment in der Uni — mit Gott reden könne sie immer.
Doch in der Bibel zu lesen und mit ihm zu reden, ist für Anja nicht der einzige Weg, Gott in ihren Alltag zu integrieren. Gemeinschaft und der Austausch mit anderen über den christlichen Glauben sind für sie sehr wichtig. Wöchentlich leitet sie eine Kindergruppe bei den Pfadfindern. Jeden Freitag erzählt sie den Kleinen von Gott und liest aus der Bibel vor. Mit Christen in ihrem Alter trifft sie sich auch regelmäßig, denn viele ihrer Freunde sind Christen.
Um 20 Uhr beginnt das Treffen von Campus für Christus. Die Stuhlreihen sind voll besetzt. Doch kaum jemand sitzt. Vorne spielt eine Band. Sie singen Lieder — Lieder über Gott. Nicht nur die Band singt, sondern jeder im Raum. Einige stehen einfach da und singen, andere schließen dabei die Augen, ein paar strecken die Hände Richtung Himmel. Mitten unter ihnen ist auch Anja. Leicht wippt sie zum Takt der Musik hin und her. Heute ist bei Campus für Christus OASE — der offene Abend im Semester.
Campus für Christus
Hier trifft sich die christliche Studentengruppe einmal in der Woche, um gemeinsam zu beten und dem stressigen Unialltag für einen Moment zu entfliehen. Zusammen singen sie Lieder über Gott und diskutieren über theologische Themen. Die Abende werden jede Woche von einer anderen Gruppe vorbereitet — jeder Hauskreis ist einmal dran. Auch Anja ist in einem Hauskreis, schon seit fast drei Jahren. Einmal wöchentlich treffen sie sich in der kleineren Runde, um zu beten, in der Bibel zu lesen und sich gegenseitig von ihrer Woche zu erzählen. „Das ist immer eine sehr vertraute Runde. Die meisten zählen mittlerweile zu meinen besten Freunden hier in Tübingen“, erzählt die Medienwissenschaftsstudentin. Besonders gefällt ihr die Offenheit in der Gruppe, denn hier kann Anja auch über ihre Fragen und Zweifel reden. „Natürlich zweifele ich, das ist ganz normal!“ Den anderen aus ihrem Hauskreis geht es nicht anders. Gemeinsam diskutieren sie und suchen nach Antworten: „Manchmal gibt es keine, deswegen heißt das ja auch Glauben“, sagt Anja mit fester Stimme, „Glauben bedeutet Vertrauen, nicht Wissen!“
Hauskreise und OASE-Abende zählen nicht zu den einzigen Aktivitäten von Campus für Christus, an denen Anja teilnimmt. Zum Beispiel gibt es einmal im Jahr die WogeLe — die Woche des gemeinsamen Lebens. Mit Sack und Pack ziehen die jungen Christen für eine Woche in das Gemeindehaus. Jeder lebt so weiter, wie gewöhnlich, nur mit einem Unterschied: Sie essen, wohnen und schlafen für eine Woche woanders. Das Gemeindehaus ist in dieser Zeit kaum wiederzuerkennen: Überall liegen Schlafsäcke und Isomatten herum, mehrere Tische stehen aneinandergereiht und auf dem großen, braunen Sofa sitzt immer jemand. „Man muss sich das wie eine große WG vorstellen. Zwar kommt der Schlaf dabei immer ein bisschen zu kurz, aber dafür ist das jedes Mal eine unvergessliche Zeit“, so Anja.
An Campus für Christus gefällt Anja besonders, dass einfach jeder kommen kann — egal ob und an was er glaubt. „Man muss auch nicht immer alles gut finden, das tue ich auch nicht. Da bei uns verschiedene christliche Konfessionen vertreten sind, gibt es auch sehr viele verschiedene Meinungen“, sagt Anja. Aber was genau glaubt sie eigentlich?
„Ich glaube an Jesus Christus. Ich glaube, dass Jesus tatsächlich gelebt hat, also auch im historischen Sinne. Er ist am Kreuz gestorben und auferstanden. Ich glaube, dass Gott die Erde und somit auch jeden Menschen geschaffen hat. Das heißt, jeder Mensch ist gewollt und Gott wünscht sich eine Beziehung zu jedem einzelnen!“ Das sind ihrer Meinung nach auch die zentralen Aussagen der Bibel. Der Rest ist für Anja nicht relevant. Sie persönlich glaubt beispielsweise nicht an die Schöpfungsgeschichte wie sie in der Bibel steht. Zentral sei nur, dass Gott die Erde geschaffen hat, egal wie das genau abgelaufen ist. „Gott ist allmächtig und kann somit auf jede erdenkliche Art die Welt und den Menschen geschaffen haben”, so die junge Christin.
„Andere Religionen sind falsch!“
Bis sie ihren Glauben so deutlich definieren konnte, ist einige Zeit vergangen. Vieles ist ihr erst im Laufe der Jahre klar geworden: „Wenn ich jetzt auf die Zeit zurückblicke, in der ich mich habe taufen lassen, denke ich oft, dass ich damals noch einiges überhaupt nicht verstanden habe. Aber das hat sich im Laufe der Jahre weiter entwickelt und wird sich in Zukunft auch noch fortsetzen.“ Denn laut der 23-Jährigen lernt man bekanntlich nie aus.
Doch eines hat sie für sich definiert: Es gibt nur eine Wahrheit — und zwar die Wahrheit Gottes. Aber von welchem Gott? Für Anja gibt es nur den christlichen Gott — und das ist nicht der gleiche wie in den anderen Religionen, da es für sie zu viele Unterschiede zwischen den Darstellungen von Gott gibt. „Wenn ich nicht glauben würde, dass das, was ich glaube, die Wahrheit ist, dann würde ich es nicht glauben. Und daher müssen rein logisch gesehen, die anderen Religionen falsch sein.“
Mittlerweile ist es draußen dunkel. Der offizielle Teil des OASE-Abends ist zu Ende. Anja unterhält sich noch mit ein paar Freunden. Die Stühle stehen nicht mehr in Reihen, sondern wurden zu kleinen Gruppen zusammengestellt. Die ersten verabschieden sich schon. Es ist 23 Uhr und Campus für Christus für heute vorbei. Nächste Woche Donnerstag treffen sich die Studierenden wieder — so wie jede Woche.