Die zahlreichen Filmfestivals haben schon Frankreich und Arabien nach Tübingen gebracht – nun möchte das CineLatino zu seinem Jubiläum vor allem Brasilien ins Schwabenländle holen. In der Woche vom Mittwoch, 18. April, an sind 46 Filme aus Spanien und Lateinamerika zu sehen.
Clara liegt in ihrer Hängematte in ihrem Apartment mit Meerblick, ein Glas Wein und eine Zigarette in der Hand, und summt leise zur Musik, die aus ihrem Plattenspieler schallt. In den Regalen der Wohnung türmen sich alte Platten, Bücher und Fotoalben. Hier lebt sie seit sie denken kann, hier hat sie ihre Kinder großgezogen, hier hat sie den Krebs besiegt. Und nun soll sie ausziehen.
Sie ist die letzte verbliebene Bewohnerin im Gebäude ‚Aquarius‘ im gleichnamigen Film, dem Eröffnungsfilm des CineLatino. Eine Baufirma hat die restlichen Wohnungen aufgekauft und möchte das Gebäude abreißen. Clara aber gibt nicht auf und führt einen hartnäckigen Kampf gegen Immobilienspekulanten und Gentrifizierung – aber auch gegen das Alter, gegen ihre Krankheit und für ihre Freiheit. Es ist auch ein Kampf der Generationen, ein Kampf des Alten gegen das Neue. Vor allem aber ist es ein Kampf darum, wer die Zukunft Brasiliens gestaltet.
Mitsprache für Filmemacher
In dieser Auseinandersetzung um die Zukunft Brasiliens möchte das CineLatino brasilianischen Filmemacher*innen eine Stimme geben. Deshalb liegt der Länderschwerpunkt dieses Jahr auf Brasilien.
„Die neue Kulturpolitik wird die Filmproduktion in Brasilien erschweren“, vermutet Paulo de Carvalho, künstlerischer Leiter des Festivals.
Dem wolle man entgegenwirken und von Filmemacher*innen thematisierte Probleme wie Gewalt und soziale Ungerechtigkeit wieder stärker in den Diskurs einbringen. Gesellschaftliche Gestaltungsmacht sollen vor allem ganz bestimmte Regisseur*innen erhalten.
„Wir haben versucht, auch Minderheiten in der Filmbranche eine Bühne zu bieten. Deshalb zeigen wir möglichst viele Filme von Frauen und viele Erstlingsfilme. Auch Afrobrasilianer und LGBTQs spielen in unseren Filmen eine wichtige Rolle“, erläutert Carvalho.
Ein weiterer Grund für die Auswahl Brasiliens als Schwerpunktland ist das Jubiläum des Filmfestivals. Das CineLatino feiert dieses Jahr sein 25. Jubiläum; das zugehörige CineEspañol sein 15. Mit Brasilien hat alles begonnen – jetzt will man wieder einen Bezug zu den Anfängen herstellen.
Zunächst noch als ‚Cinema do Brasil‘ ging das CineLatino 1994 aus einer entwicklungspolitischen Filmreihe hervor. Brasilien hatte sich damals angeboten, weil man schon bestehende Kulturnetzwerke nutzen konnte: die brasilianische Community in Tübingen, die Partys und die Musikfestivals sowie den Verein ‚Filmtage Tübingen‘, der inzwischen sowohl die Französischen Filmtage als auch das CineLatino organisiert. Das CineEspañol wird erst seit 2004 parallel zum CineLatino veranstaltet und von der spanischen Botschaft mitfinanziert. Mit Ausnahme der brasilianischen Filme laufen die meisten Filme auf Spanisch mit deutschen oder englischen Untertiteln.
Jugend, Familie und Politik
Aufgrund der geringen Verbreitung von Portugiesisch wähle man Brasilien nicht oft als Fokusland, erzählt Paulo de Carvalho. Zusätzlich gibt es beim diesejährigen Festival noch einen zweiten Fokus: die Jugend Spaniens und Lateinamerikas.
Neben den Schwerpunktfilmen heben die Organisator*innen als Highlights den dominikanischen ‚Cocote‘ sowie den argentinischen Film ‚Teatro de guerra‘ (Kriegstheater) hervor, in dem britische und argentinische Veteranen gemeinsam den Falklandkrieg aufarbeiten.
Der Falklandkrieg und der kolumbianische Friedensprozess, aber auch die Familie, der Glaube, die Tradition und die Moderne sind Thema. Was in seinen Anfängen noch für Entwicklungspolitik sensibilisieren sollte, ist heute der Versuch, während politischer und sozialer Umbrüche in den betreffenden Ländern kulturelle Freiheit zu garantieren und die lateinamerikanische/spanische Kultur allgemein bekannter zu machen.
Ein Stück weit scheint dies schon gelungen zu sein: Das Festival hat im Laufe der Zeit weitere Standorte wie Freiburg und Stuttgart hinzugewonnen. Erstmals findet es nun auch in Reutlingen statt. Die Zukunft des CineLatinos/CineEspañols scheint gesichert – ob in der Zukunft Brasiliens allerdings unabhängige Filme einen Platz haben, das muss noch zwischen Filmemacher*innen und Regierung ausgefochten werden.
Der Eröffnungsfilm ‚Aquarius‘ wird am Mittwoch, 18. April, um 19.30 Uhr im Studio des Kinos Museum gezeigt.
Weitere Termine:
- Diskussion über Medien, Politik und Kino in Brasilien: Montag, 23. April, um 18.15 Uhr in Raum 215 im Brechtbau
- Fotoausstellung zur Stadtentwicklung Rio de Janeiros: während der ganzen Festivalwoche im Foyer des Kinos Museum
- Kurzfilme: Donnerstag, 19. April, ab 21 Uhr in der Haaggasse sowie Freitag, 20. April, ab 21 Uhr in vier Tübinger Kneipen
Zum Spielplan geht es hier.
Fotos: Beitragsbild Alexa Bornfleth, Pressestelle CineLatino