„EU – wozu? Eine Idee am Scheideweg“ war das Motto der Podiumsdiskussion im Erasmushaus. Politikexperten setzten sich ausführlich mit der Zukunft der EU auseinander.
Sich mit der Europäischen Union zu beschäftigen, ist aktuell. Das hat auch damit zu tun, dass die EU gemeinhin in der Krise gesehen wird: Die sogenannten Flüchtlings- und Eurokrisen, die mangelnde Solidarität zwischen den Mitgliedsstaaten, Demokratiedefizit, der Brexit und ein in vielen Mitgliedsstaaten konstatierter Rechtsruck sind nur einige davon.
Außenminister Steinmeier hat Anfang dieser Woche 400 junge Menschen ins Außenministerium in Berlin geladen, um sich ein Stimmungsbild davon zu machen, wie die EU von der jungen Generation beurteilt wird. Ein ähnlich junges Format war, mit 70 überwiegend Studierenden, am Mittwochabend im Tübinger Erasmushaus anzutreffen.
Geladen waren Prof. Dr. Gabriele Abels vom Tübinger Institut für Politikwissenschaft, Dr. Knut Krohn vom Politik-Ressort der Stuttgarter Zeitung und Prof. Dr. Joachim Starbatty, der für die Allianz für Fortschritt und Aufbruch – in gewisser Weise einer Abspaltung der AfD – im Europäischen Parlament sitzt und für viele Jahre an der Universität Tübingen Volkswirtschaftslehre gelehrt hat.
„EU – wozu? Eine Idee am Scheideweg“ – unter diesem Motto stand der Abend, der von der Katholischen Hochschulgemeinde veranstaltet wurde.
Der Abend hatte Grundlegendes der Europäischen Union zum Ausgangspunkt und war somit auch Zuhörern zugänglich, die keine EU-Experten sind. So stand relativ am Anfang des Abends ein kurzes Input-Referat von Gabriele Abels, dazu, was genau die EU eigentlich ist.
Volksentscheide sind sinnvoll wo sie sinnvoll sind
Bezüglich des Demokratiedefizits, das der EU oft vorgeworfen wird, meinte Krohn von der Stuttgarter Zeitung, dass undemokratische Strukturen manchmal nicht so schlecht seien. Er verwies auf Volksabstimmungen, deren immanentes Problem oftmals die geringe Informationsbereitschaft in der Bevölkerung sei, deshalb meinte er: „Ich halte Volksentscheide für sinnvoll, wo sie sinnvoll sind, aber es muss nicht über alles abgestimmt werden.“
Eine bestimmte Volksabstimmung stand natürlich besonders im Fokus: die Entscheidung des Brexit. Dieser, so war man sich auf dem Podium einig, verstärke die Tendenzen der Disintegration und noch niemand wisse genau, wie der Austritt Großbritanniens aus der EU ablaufen werde. Abels nahm Bezug auf die vielen jungen Menschen, die nach dem Referendum in London mit „I love EU“ Schildern in der Hand demonstrierten. „Da dachte ich mir: Die Briten haben den Punk gemacht, jetzt könnten sie doch eine neue Jugendbewegung machen!“
Einigung mit sechs ist viel leichter als mit 28
EU-Parlamentarier Starbatty, der sich der Einführung des Euro gegenüber sehr kritisch gibt, bezeichnete die Europäische Union als eine „hinkende Konstruktion“, da verpasst worden sei, der wirtschaftlichen Union eine politische Union folgen zu lassen. Die EU könne nur funktionieren, wenn die Politiken aller Mitgliedsstaaten in dieselbe Richtung gehen würden. In der jetzigen Form sei die EU eine „Zeitbombe“.
Abels stimmte der These Starbattys zu, dass verpasst worden sei, die politische Integration voranzutreiben. Sie fügte hinzu, dass es logisch sei, dass „Einigung mit sechs viel leichter ist als mit 28“.
Bei der Frage nach Lösungsansätzen für das Misstrauen in die EU von vielen Seiten, meinte Krohn, als Schritt in die richtige Richtung sollte man wieder mehr die positiven Seiten der EU hervorheben und sich auf die Grundwerte der EU, wie zum Beispiel den Friedensgedanken, besinnen. Jean-Monnet-Professorin Abels, deren Lehrstuhl nach einem der Gründerväter Europas benannt ist schloss: „Es wäre ja verkehrt zu glauben, ohne die EU hätten wir diese Krisen nicht, die Flüchtlingsbewegungen zum Beispiel gäbe es ja trotzdem. Der Unterschied ist: Es gibt keine guten Antworten, wenn man nationale Alleingänge versucht.“