Die Begegnung der menschlichen Art

Querfeldein mit dem Fotografen und Filmemacher Luigi Toscano – einem Mann, der schon vieles war, aber vor allem eines ist: Authentisch.

Tosender Applaus füllt neben vereinzeltem Rauch das Ribingūrumu in der Mühlstraße. „Das war derlängste Applaus, an den ich mich erinnern kann“, sagt Paul, an diesem Abend selbst der Veranstaltungsfotograf. Auch das restliche Publikum ist von den vergangenen zwei Stunden begeistert. Und vom Menschen Luigi Toscano, der mit seinem Besuch das Jahr für Querfeldein eröffnete. Er überzeugt mit seiner konsequent menschlichen, bodenständigen und liebenswerten Art, als er von eigener und fremder Vergangenheit, aber auch unser aller Gegenwart spricht.

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Dass nicht alle Plätze im Ribi besetzt waren ist bei so einem großartigen Abend schade – vor allem für die, die ihn verpasst haben.

Bilder eines Lebens

Wie aber wurde aus einem früheren Pizzabäcker, Fensterputzer, Straßenbauer, Dachdecker, Anlagenmechaniker und dem beliebtesten Türsteher Deutschlands ein gefeierter Fotograf?
Durch Zufall und Glück, aber auch weil er sich selbst Raum und Zeit zur Entwicklung gab, glaubt er selbst. Wer bereit sei, diese beiden Dinge zu investieren, werde auch seine Ziele erreichen. Seine ruhige, freundliche Ausstrahlung erfasst das Publikum wie seine eigene Strickmütze mit einer besonderen Wärme. Die ersten Jahre seien hart gewesen, hält er ohne größere Wehmut fest. Und erzählt von seinen Anfängen in der Fotografie. Er habe einfach geglaubt, er könne fotografieren. Zwei zu Anfang belichtete Filme schienen ihm aber eher das Gegenteil aufzuzeigen. Die neu gekaufte Kamera konnte er nicht wie gewünscht zurückgeben – ein Sonderangebot. Das sollte sich später als Glücksfall herausstellen. Nach Fotokursen an der Volkshochschule zeigten sich immer mehr Menschen in seinem Umfeld von seinen Werken angetan. Und so nahm eine Geschichte ihren Lauf,die er selbst „noch nicht raffen“ kann.

„Die kamen in den Limousinen und ich mit dem Zug.“

Als Künstler bezeichnet zu werden mag der Mannheimer mit italienischen Wurzeln nicht wirklich. Angenehm geerdet erklärt er, sich selbst bei seinen Projekten nicht im Mittelpunkt zu sehen.
„Es geht nicht um mich, sondern um den Menschen“, sagt er. Und das glaubt man ihm sofort. Er nimmt sich selbst nicht so wichtig, wie man es von jemandem erwarten könnte, der dank seiner Fotografien Bundespräsident Joachim Gauck treffen konnte. Geschehen war dies im Rahmen seinesletzten Projekts „Gegen das Vergessen“, einer Porträtserie von Holocaustüberlebenden, ausgestelltan der ukrainischen Gedenkstätte Babyn Jar. Das Massaker an der jüdischen Bevölkerung Kiews in der nahegelegenen Schlucht gilt als eines der brutalsten und unmenschlichsten der Geschichte. Am 29. September 2016 traf Toscano dort deutsche und ukrainische Würdenträger, sein Projekt ein zentrales Element der Gedenkfeierlichkeiten. Sie kamen standesgemäß in Limousinen, er reiste ganz einfach mit dem Zug an.
 

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Anna Strishkowa erzählt mit ihrem Leben trotz allen Grauens auch eine Geschichte von Mut und Menschlichkeit.

Durch die Angst gehen

Doch nicht alle Erzählungen im Zusammenhang mit „Gegen das Vergessen“ können dem Publikum soein Schmunzeln auf das Gesicht zaubern wie die so unterschiedliche Anreise zur Gedenkfeier. Viele haben einen Kloß im Hals, als er auf seine eigene, authentische Art von den Erlebnissen mit den„Omis und Opis“ erzählt. Besonders nahe geht ihm dabei selbst die Geschichte von Anna Strishkowa. Als Dreijährige war sie Opfer des KZ-Arztes Josef Mengele. Sie habe ihm gezeigt, sagt er sichtlich berührt, wie man durch die Angst gehen könne. Ihr Trauma, die Angst vor Ärzten, habe Anna dadurch bewältigt, dass sie selbst Ärztin geworden sei. So angenehm die Atmosphäre eigentlich ist, so kalt läuft es manchem Zuhörer in diesem Moment den Rücken herunter.
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Toscano erzählt überwältigende und berührende Geschichten. Doch auch Menschlichkeit und Witz kommen nicht zu kurz, denn mehr als einmal müssen er und das Publikum schmunzeln.

Eine zu kurze Momentaufnahme

Die Erfahrungen mit den Zeitzeugen haben ihn auch persönlich mitgenommen, gesteht er unumwunden ein. Es habe auch einen Punkt gegeben, an dem er habe aufgeben wollen. Ein langes und teures Telefonat aus Moskau mit einem Freund hatte das aber verhindert. Neugierig sei er, sagt Luigi Toscano über sich selbst. Diese Eigenschaft habe ihm bei der Fotografie geholfen, ist er sich sicher. Er erzählt vom 72-Stunden-Projekt, bei dem er große Metropolen in drei Tagen abgebildethat. Und von „Vaterland“, einer persönlichen und fotografischen und Reise in die eigene Vergangenheit. In Italien suchte der im Heim aufgewachsene Toscano nach den Wurzeln seines Vaters und lernte im kleinen sizilianischen Mazzarino die eigenen Verwandten kennen. Der Abend ist viel zu schnell vergangen, es gäbe noch so viel zu erzählen. Allein durch seine Art gelingt es ihm, die Gäste zu einem humaneren Umgang untereinander anzumahnen – die Menschlichkeit ist sein großes Anliegen. In Erinnerung bleibt den Gästen deshalb nicht allein der Fotograf, sondern vor allem der Mensch Luigi Toscano.

Fotos: Paul Mehnert.

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