Freitagabend trat der grüne Ministerpräsident nicht nur an das Rednerpult des gut gefüllten Festsaals, sondern auch in die großen Fußstapfen jener elf Menschen, die vor ihm die Weltethos-Rede halten durften. Kretschmanns Worte der Zuversicht und Optimismus waren ein Appell im Namen des Zusammenhalts.
Worte haben Kraft. Um diese Aussage zu illustrieren begann Winfried Kretschmann den Abend mit dem Vergleich zweier Titelseiten nach dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt letzten Dezember. Zunächst die Bild-Zeitung: „Angst“ – ein Titel, der spaltet, weil er Angst verstärkt. Im Gegensatz dazu die Berliner Morgenpost: „Fürchtet Euch nicht” – ein Titel, der zusammenführt, weil er Angst nimmt. Es handelt sich schon zu Anfang der Rede um eine deutliche Aufforderung: „Wir können spalten, wir können zusammenhalten. Das können wir selbst entscheiden, jeder und jede Einzelne von uns.“
Es mache einen Unterschied, so der Ministerpräsident, wie wir uns im Angesicht einer Bedrohung verhalten, ob nun im Privaten, in der Politik oder den Medien. Dazu gehöre die Kraft nicht dem ersten Impuls zu folgen, den vermeintlich einfachen Lösungen. Kretschmann bezog sich stattdessen auf eine andere Art der Einfachheit – eine Weisheit aus dem alten Testament:
„Wer Wind sät, wird Sturm ernten. Man könnte auch sagen wer Vorurteile sät, wird Hass ernten. Wer Hass sät, wird Gewalt ernten. Wer Gewalt sät, wird Zerstörung ernten.”
Dieser Zerstörung stellte Kretschmann bereits im Titel seiner Rede den Zusammenhalt entgegen. Er sei das Kernbedürfnis des schutzsuchenden Menschen. Doch wie viel Verschiedenheit vertrage der Zusammenhalt? Kretschmanns Antwort: „Die Verschiedenheit macht das Menschsein erst aus.“ Jeder Mensch sei verschieden – ein schöpferischer Neuanfang und gerade deshalb gebe es die Menschheit – Achtung: hier der obligatorische Verweis auf Hannah Arendt! – nur im Plural. Kern der Demokratie seien die „Verschiedenen, die sich gerade aufgrund ihrer radikalen Verschiedenheit die gleiche Würde und gleiche Rechte zubilligen.“ Die Vielfalt als Stärke der Menschheit sei ja auch das wirklich Schöne am Sex, bestärkte der Redner im anschließenden Gespräch sein Anliegen – die daraus entstehenden Möglichkeiten und das völlig neue Potential, das durch die Geburt jedes Menschen beginne.
„Zusammenhalt also in Vielfalt, trotz Vielfalt und wegen Vielfalt. Das macht ein gutes Leben aus.“
Ein schöner Gedanke, der Zusammenhalt in Vielfalt – doch vor allem Studierende, die in den letzten Monaten verfolgt haben, wie Kretschmanns grün-schwarze Regierung die Studiengebühren für Nicht-EU-Ausländer einzuführen versucht, ziehen bei diesen Worten fragend die Augenbrauen hoch. Es bleibt zu hoffen, dass der Ministerpräsident sich seine Thesen zum Potential der Vielfalt in diesem Anliegen nochmal zu Herzen nimmt.
Es ist also nicht immer ganz einfach, die Sache mit dem Zusammenhalten – und nach Kretschmann würden sie vor allem in Zeiten des Umbruchs auf die Probe gestellt. Und doch habe es diesen Umbruch schon immer gegeben, mitsamt seiner Verlierer. Es gelte also stattdessen diesen jetzt aktiv mitzugestalten. Die Unsicherheit vieler Menschen, welche immer wieder als Schuldige für den aktuellen Rechtsdrall benannt wird, solle endlich zur Kenntnis genommen werden. Kretschmanns alternative Antwort auf diese Unsicherheit? Richtig, der Zusammenhalt. Schließlich sei die Menschheit doch schon immer durch große Krisen gegangen und es gebe sie immer noch.
Damit dies gelingt müssten viele allerdings von ihrem hohen Ross herunter kommen und die Angst vor dem Fremden nicht für absonderlich erklären, sondern versuchen sie mit Mitteln moderner Zivilisation zu mildern. Doch auch er selbst habe mit diesem Problem zu kämpfen – steige doch die objektive Sicherheit in Baden-Württemberg jedes Jahr, während die gefühlte eher abnehme. Doch Kretschmann gab sich angesichts der Konsequenzen für die deutsche Politik optimistisch: „Wir waren die einmal größten Bösewichte der Welt, aber die Mehrheit der Bevölkerung hat daraus gelernt“. Wenn nun 15% AfD wählen, hieße das auch, dass immerhin 85% dies nicht tun. Um eine Verschlimmerung dieser Entwicklung zu verhindern, gelte es aber nun tätig zu werden. Die passende Anleitung dazu lieferte der Redner dann auch gleich mit:
Was ist nun zu tun für das Allheilmittel Zusammenhalt?
- Wahrhaftig sein
All jene, denen es um den Zusammenhalt der Gesellschaft gehe, sollten nun höhere Anforderungen an sich selbst stellen, dabei schließe Kretschmann sich selbst nicht aus. Der Unwahrhaftigkeit müsse man „umso mehr Wahrhaftigkeit gegenüberstellen“ und in den Tatsachen nach Wahrheit suchen. Man solle sich so ausdrücken, dass jeder es verstehen könne, die Argumente anderer ernst nehmen und sich dann an ihren stärksten Argumenten messen. Kurz: „Wir können nur dann Wahrhaftigkeit einfordern, wenn wir selbst wahrhaftig sind.“
- Brücken bauen
Dies ließe sich durchaus wörtlich verstehen. Denn oft sei die Distanz zwischen Menschen zu groß, das Rauschen durch ständige Information zu laut. Kretschmann kritisierte vor allem Sprachbarrieren, die viele Menschen aus dem Dialog ausschlössen. Die „überhebliche Selbstgewissheit“ sogenannter Eliten müsse aufhören. Ob nun auf privater, europäischer oder globaler Ebene – man müsse miteinander reden, statt übereinander. Fast fühlte man sich während dieser Aufforderungen an Kindergartenzeiten erinnert, mahnte doch der Ministerpräsident sich weder über Menschen lustig zu machen noch sie in eine Ecke zu stellen. Doch wer weiß? Womöglich ist eine Erinnerung an die Manieren und den Anstand, der uns im Kindesalter beigebracht wurde, bitter nötig.
- Haltung bewahren und Haltung zeigen
Kretschmanns Richtlinie: „Haltung bewahren, indem wir nicht überreagieren, weder durch Worte noch durch Taten. Sondern indem wir verlässlich und voraussehbar unseren Werten folgen“. Man müsse den eigenen Werten treu bleiben und sie auch öffentlich verteidigen um Haltung zu zeigen.
- Politisches Einfühlvermögen beweisen
Auf der politischen Ebene müssen man ein Gefühl für die Kränkung des Gerechtigkeitsgefühls vieler Menschen entwickeln. Schließlich könne es keine Gerechtigkeit geben wenn nicht alle nach den gleichen Regeln spielten. Es gelte, das Aufstiegsversprechen der Sozialen Marktwirtschaft zu stärken und das Sicherheitsgefühl der BürgerInnen zu erhöhen. Auch die Integration müsse erfolgreich verlaufen um zukünftig mehr Zusammenhalt zu ermöglichen.
Natürlich ist all dies einfacher gesagt als getan – aber Kretschmann selbst nahm sich während seiner Rede immer wieder ein Denkschema von Immanual Kant zur Hilfe. Man müsse zunächst für sich selbst denken und sich mündig zeigen. Dann gelte es „den Anderen zu denken“ – also Empathie für das Gegenüber zu beweisen. Und zu guter Letzt solle man konsequent denken, einen Gedanken folgerichtig bis zum Ende zu verfolgen. „Und wenn wir das alle machen,“ so Kretschmanns verabschiedente Worte, „dann braucht es uns um den Zusammenhalt der Gesellschaft nicht Bange sein.“
Zur Weltethos-Rede: Seit 2000 organisiert die Stiftung Weltethos gemeinsam mit der Universität Tübingen Reden von herausragenden Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Thematisch befassen sie sich mit dem vom „Weltparlament der Religionen“ beschlossenen Weltethos: Gewaltlosigkeit, Toleranz, Solidarität und Gleichberechtigung. Zu den Rednern gehörten unter anderem Kofi Annan (2003), Helmut Schmidt (2007), Desmond Tutu (2009) und Paul Kirchhof (2014). Aufzeichnungen der Reden sind im Archiv der Universität verfügbar.
Fotos: Marko Knab.