Über Nacht wurde Tübingen Zentrum des frankophonen Kinos mit 80 Filmen in über 1000 Vorstellungen und Gästen aller Herren Länder: aus Frankreich, Belgien, Kanada, dem Kongo, Nordafrika und der Schweiz. Zentrales Augenmerk der 28. Französischen Filmtage, die vom 2. bis 9. November stattfanden, lag auf der aktuellen Entwicklung in Nordafrika. Der Film „Laïcité Inch’Allah“ von Regisseurin Nadia El Fani zeigte die Veränderungen in Tunesien.
von Monique Sézanne Patzner
Langsam füllen sich die Sitzplätze im kleinen Kino Atelier in Tübingen. Es ist Donnerstagabend. Der Film „Laïcité Inch’Allah“ wird zum ersten Mal in der Universitätsstadt gezeigt. Hauptsächlich ältere Leute sind gekommen. Vereinzelt entdeckt man Studenten. Die Kinobesucher unterhalten sich überwiegend auf Französisch. Kurz vor einer Einleitung zu den Filmtagen und dem Beginn des Films sind sich einige Zuschauer immer noch nicht im Klaren darüber, was der Titel des Filmes „Laïcité Inch’Allah“ bedeutet. Unsicher wird die nächste Reihe befragt.
Laïcité, zu Deutsch Laizismus, bedeutet die Trennung von Staat und Kirche. Genau dafür trat die Regisseurin Nadia El Fani während des arabischen Frühlings in Tunesien ein. Durch Dialog und gewaltlose Konfrontation kämpfte sie dafür, den Menschen die Augen für einen modernen, demokratischen Staat zu öffnen. Die Revolution solle zu einer neutralen Staatsform führen, in der sich Andersdenkende während des Ramadans nicht mehr verstecken müssen und sich auf gleiche Rechte stützen können. Gleichzeitig will sie zeigen, dass der Islam sich öffnen kann. Für sie scheint ein Wandel mit dem Islam möglich.
Vereinzelt wirken die Aufnahmen amateurhaft, was jedoch nicht negativ auffällt – im Gegenteil. Das Gefühl, live dabei zu sein – in der schreienden Menge nach Freiheit, in der anregenden Debatte über Religion und Staat – , überwiegt. Der Film zeigt die arabische Revolution aus einer neuen Perspektive, erweitert so den Horizont und gibt Anstoß zum Nachdenken.
Jetzt, mit dem Hintergrund, dass die Islamistische Partei in Tunesien als Sieger der Wahlen proklamiert wurde und die Moslembrüder in Ägypten gestärkt aus der Revolution hervorgehen, drängt sich die Frage noch stärker auf: Wie soll eine Islamistische Partei die Trennung zwischen Staat und Religion in die Wege leiten? Und ist dies überhaupt möglich? Im Oktober und Dezember nehmen in Tunesien und Ägypten Übergriffe gegenüber Frauen zu. Frauenorganisationen melden, dass Frauen wieder zum Kopftuchtragen gezwungen werden. Plötzlich scheint es, als wäre die Diskriminierung von Frauen noch schlimmer als vor der Revolution.
Nadia El Fani hatte einen Traum. Er scheint geplatzt zu sein.