„Abgehobene Theorie, harte Praxis und dazwischen nichts“

Wer nach dem Schulabschluss eine Lehre aufnimmt, weiß normalerweise, dass ihn diese Ausbildung zu einem bestimmten Beruf führt. Bei einem Studium, insbesondere an einer Uni, sieht das schon ganz anders aus. Die kupferblau hat Erstsemester gefragt, wie viel Berufsvorbereitung sie von ihrem Studium erwarten, und Letztsemester, wie bereit sie für das Berufsleben sind.

von Ines Pfister

Die Zeit an der Uni wird einerseits oft als schönste, weil lockerste, Zeit des Lebens beschrieben, andererseits gilt sie aber auch als Vorbereitung auf die harte, von Konkurrenzdruck geleitete Realität. Dass das Erste nicht zwangsläufig stimmt, haben die befragten Erstis bereits erkannt, sie beschreiben ihr Studium als sehr stressig. Dass das Letztere aber auch nicht gerade zutrifft, müssen vor allem die potenziellen Absolventen gerade erfahren. Sie sind nämlich, was die Zukunft angeht, kaum weiter als die Erstis: Keiner der Befragten weiß, was er jetzt mit seinem Abschluss anfangen soll.

„Ich studiere, um den Job machen zu können, den ich machen will“, sagt Julia Bumiller, Lehramtsstudentin der Fächer Deutsch und Katholische Theologie im ersten Semester. Sie sieht ihr Studium als Vorbereitung auf einen bestimmten Beruf – den der Lehrerin. Allerdings empfindet die 20-jährige vor allem den praktischen Teil ihres Studiums als „sinnlos“, da er sie nicht auf den Lehrberuf vorbereitet. Sie hatte sich eher kreative Schreibarbeit erhofft und weniger wissenschaftliches Arbeiten. Vor allem in Theologie fühle sie sich falsch und spiele deshalb mit dem Gedanken, das Fach zu wechseln. Jedoch wüsste sie nicht, was sie alternativ wählen sollte.

Dass die Uni nicht zur Vorbereitung auf den Lehrberuf da ist, musste auch Janine Bolta, Lehramtsstudentin der Fächer Deutsch und Englisch im elften, ihrem letzten Semester, schnell erfahren. Auch sie hatte anfangs mehr schulrelevanten Stoff erwartet, tatsächlich wird aber nur wenig Pädagogisches gelehrt. „Aber dafür ist das Referendariat da“, sagt die 26-jährige. Gut sei, dass man fachlich mehr lerne als das, was man für die Schule brauche, weil sie so ihre Interessen vertiefen konnte. Da sie sich nicht ausreichend vorbereitet auf den Beruf als Lehrerin fühlt, der ihr nun unmittelbar bevor steht, ist sie sich heute unsicherer denn je, ob sie diese Tätigkeit überhaupt ergreifen soll. Ihr ursprünglicher Wunsch zu unterrichten ist jedoch geblieben, weshalb sie seit kurzem mit dem Gedanken spielt, an der Uni zu bleiben. Hier sei man schließlich weniger an einen Lehrplan gebunden und könne eher das lehren, was einen selbst interessiert.

Da Sanja Döttling auf direktem Weg in den Journalismus gelangen wollte, begann sie in diesem Semester mit einem Bachelorstudium in Medienwissenschaft und Politik. Jedoch stellten sich beide Fächer als sehr theorielastig und abstrakt heraus. Die wissenschaftliche Theorie sieht sie als überflüssig an, da sie darin keinen Bezug zu ihrem zukünftigen Berufsalltag finden kann. In den praktischen Seminaren fehlen dagegen ganz grundsätzliche Kenntnisse. Beispielsweise soll sie mit einigen Kommilitonen einen kurzen Film drehen, dafür mangelt es ihnen aber an Wissen, wie man richtig mit Kamera und Schnittpult umgeht. Es gebe also die „abgehobene Theorie, die harte Praxis und dazwischen nichts“. Um nach dem Studium besser in die Berufswelt einzusteigen, schreibt sie gelegentlich Artikel in Lokalzeitungen und Onlinemagazinen. Allerdings sagt die 19-jährige: „Je mehr ich im Bereich Journalismus mache, desto weniger Lust habe ich darauf, weil die Berufsaussichten dort eher schlecht sind.“ Deshalb hat sie sich für die Semesterferien ein Praktikum in der Pressearbeit gesichert.

Caren Saßmann, im siebten und damit letzten Semester ihres Bachelorstudiums International Economics, hatte nicht erwartet, dass die Uni sie viel Praktisches lehren würde. „Dafür gibt es bei uns wenig Hausarbeiten, sodass die Ferien frei für Praktika bleiben“, sagt die 24-jährige. Mit ihrem Bachelor of Science in der Tasche möchte sie zuerst einmal für ein halbes Jahr nach Ecuador gehen, wo sie ein Praktikum in der Entwicklungszusammenarbeit ergattert hat. „Ich weiß nicht, ob ich danach schon arbeiten will oder noch ein bisschen studiere“, sagt sie. In jedem Fall möchte sie zuerst noch „hier und da reinschnuppern“, bevor sie sich für einen konkreten Beruf entscheiden kann.

„Ich erhoffe mir auf jeden Fall mehr praktisches Wissen, da im Bachelorstudium fast nur theoretische Grundlagen gelehrt wurden“, sagt Nadine Noschka, im ersten Semester ihres Masterstudiums der Germanistischen Linguistik. Sie möchte in diesem Aufbaustudiengang beispielsweise gerne lernen, wie man Versuche richtig aufbaut und die Daten anschließend auswertet. In Nebenjobs und Praktika hat sich die 24-jährige bereits beruflich orientiert: Sie war bisher in einer PR-Agentur, einem Literaturmuseum und einem Zeitschriftenverlag. Ob sie nach ihrem Abschluss in der Medienbrache arbeiten oder eine akademische Laufbahn einschlagen soll, kann sie noch nicht sagen.

Sehr enttäuscht von ihrem Studium ist Eva Croon, Studentin der Anglistik und Germanistik im siebten und somit letzten Semester ihres Bachelorstudiums. Sie hatte zwar kaum erwartet, dass dieses Studium sie auf die Berufswelt vorbereiten würde, allerdings dachte sie, sie würde viele der großen Literaturklassiker lesen und mehr über die angelsächsische Kultur lernen. Beides hat sich in ihren Augen nicht erfüllt. Gelesen habe sie hauptsächlich Sekundärtexte und Landeskunde sei kaum vertreten gewesen. „Es war schockierend, dass vor allem Germanistik Theorie pur war“, sagt die 23-jährige. Da sie nicht weiß, welche berufliche Laufbahn sie mit ihrem Studium einschlagen sollte, möchte sie „nochmal von vorne anfangen“ und ein Bachelorstudium in Public Management an der FH Ludwigsburg anschließen.

Anders sieht es in den Naturwissenschaften aus. Christine Schedel, im ersten Semester ihres Bachelorstudiums in Chemie, war überrascht, dass ihr Studiengang bereits jetzt so praxisorientiert ist. Bereits die Erstis verbringen viel Zeit im Labor, wo sie vorgegebene Versuche selbstständig durchführen dürfen. Da ihr das großen Spaß macht, weiß sie schon, dass sie nach dem Abschluss eine Promotion anschließen möchte. „In Chemie gehört das einfach dazu, dafür verdient man dann anschließend ein Schweinegeld“, sagt die 19-jährige strahlend. Genaueres über diesen Beruf mit der guten Bezahlung weiß sie allerdings noch nicht.

Ebenfalls sehr praxisorientiert sieht Tanja Dötsch ihr Diplomstudium in Biologie, das sie jetzt, nach elf Semestern, abschließt. Bereits seit einer Begegnung mit einem Pantoffeltierchen in der 6. Klasse möchte die heute 26-jährige Mikrobiologie studieren und in diesem Bereich arbeiten. Nun steht sie jeden Tag im Labor, wie sie es sich schon so lange gewünscht hatte, und möchte nach dem Abschluss ebenfalls promovieren. „Ohne Doktortitel findet man einfach keine Arbeit, außerdem verdient man dann besser.“ Aber selbst jetzt, wo ihr Abschluss so nahe ist, weiß Tanja noch nicht, wo sie nach der Promotion arbeiten möchte. Auch an der Uni zu bleiben ist für sie eine Möglichkeit.

Dass Studierende im ersten Semester meistens noch nicht wissen, wie ihre berufliche Zukunft einmal aussehen wird, ist keine Seltenheit, egal ob in den Geistes-, Gesellschafts- oder Naturwissenschaften. Offensichtlich führt das Studium aber nicht zwangsläufig zu einer Antwort auf diese Frage, sodass selbst Letztsemester kurz vor ihrem Abschluss oft nicht sagen können, wie es weitergehen soll. Wenigstens sind sie mit dieser Unsicherheit nicht allein.

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