Wie verändert das Internet die Hörsäle?
Noch eben eine E-Mail während der Vorlesung schreiben, schnell eine Facebook-Nachricht beim Mittagsessen beantworten und über WhatsApp chatten in der Kaffeepause — so sieht der Alltag vieler Studierender heute aus. Die Veränderungen an den Universitäten durch das Internet sind allgegenwärtig, doch die Meinungen über die Konsequenzen gehen auseinander.
von Stephanie Rumesz und Ines Pfister
Uni ohne Internet — heute kaum mehr denkbar. Eine große Zahl der Studentinnen und Studenten haben rund um die Uhr Internetzugriff, egal an welchem Ort. Erst wurden Rechner nur zu Forschungszwecken genutzt, heute steht ein Laptop auf den meisten Schreibtischen und daneben liegt oft ein Smartphone.
Inzwischen gibt es sogar eine App der Universität Tübingen. Die App für Geräte mit Android-Betriebssystem gibt es seit September 2012. Nun entwickelte der Informatikstudent Sebastian Rist während einer Diplomarbeit, gemeinsam mit dem Zentrum für Datenverarbeitung (ZDV), auch die iPhone-App. Damit können die Nutzer auf das Mensamenü, die Pressemitteilungen oder den Lageplan der Uni zugreifen.
Das Unileben hat sich mit dem technischen Fortschritt gravierend verändert. Die Vorlesungsfolien stehen online, die Literatur für Seminare befindet sich im Netz und Notebooks sind in einigen Seminaren sogar ein fester Bestandteil des Unterrichts. In vielerlei Hinsicht ist der Unialltag einfacher, schneller und praktischer geworden. Doch das hat auch seine Tücken.
Das Internet ermöglicht nicht nur den Zugriff auf Informationen und die weltweite Vernetzung, sondern kann auch eine Ablenkung sein. Statt der Vorlesung zu folgen, vertreiben sich einige Studierende die Zeit beim Surfen im Netz oder bleiben in sozialen Netzwerken wie Facebook hängen. „Ich nehme meinen Laptop nicht mit in die Vorlesung, aber mein Smartphone habe ich immer dabei. Wenn mir langweilig ist, schaue ich bei Facebook vorbei oder checke meine E-Mails. Das kann schon öfter pro Vorlesung vorkommen“, so eine Germanistikstudentin aus dem vierten Semester.
Facebook in der Vorlesung
Einige Studierende empfinden das Internet sogar als Konzentrationskiller. „Ich schreibe lieber handschriftlich bei einer Vorlesung mit. Das macht mir mehr Spaß. Außerdem lenkt mich mein Laptop sonst zu sehr ab”, sagt Tim Carstens, der Geschichte auf Lehramt studiert.
Auch Dozenten fühlen sich immer mehr von den zahlreichen Notebooks in den Hörsälen gestört. „Jeder Dozent steht heute in Konkurrenz zur permanent mitlaufenden Netzkommunikation. Studenten verschicken mal eben eine SMS aus dem Seminar, simulieren das konzentrierte Mitschreiben auf dem Notebook, um bei Facebook vorbeizuschauen. Um die Aufmerksamkeit der Studierenden muss man heute kämpfen”, so Bernhard Pörksen, Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen.
Twittern mit dem Professor
Doch Studierende lenken sich mit dem Internet nicht nur ab, sondern nutzen es auch. Sie lesen beispielsweise nicht verstandene Fachbegriffe nach, um der Vorlesung besser folgen zu können. Einige Hochschulen sehen das als Chance.
An der Universität Trier können die Hörer einer Vorlesung ihre Fragen und Kommentare über den Kurznachrichtendienst Twitter an ihren Professor weiterleiten. Über den Beamer bildet eine sogenannte Twitter-Wall diese Tweets in Echtzeit im Hörsaal ab, sodass der Dozent darauf reagieren kann. Die TU Freiberg hat sogar eigens eine App kreiert, in der die Hörer einer Vorlesung ihre Fragen direkt auf das Smartphone des Dozenten senden können. In beiden Fällen garantiert das Internet dem Fragesteller Anonymität.
Auch nach der Vorlesung nutzen die Hochschüler das Internet für ihr Studium. Ilias und Moodle sind die beiden zentralen E-Learning-Portale der Universität Tübingen. Dort stellen die meisten Dozenten zusätzliches Material, Übungen und Handouts der vergangenen Sitzungen bereit. Darüber hinaus stehen viele aufgezeichnete Vorlesungen in Videoform bereit — inzwischen sogar in High Definition. Auf dem Tübinger Internet Multimedia Server Timms können sich Studierende verpasste Sitzungen online ansehen. Auch wer fachfremd ist, kann sein Wissen je nach Interesse vertiefen. In Zeiten von überfüllten Hörsälen bieten E-Learning-Portale neue Möglichkeiten.
Vorlesungen in High Definition
US-amerikanische Elite-Universitäten wie Harvard gehen noch einen Schritt weiter. Zusammen mit anderen ähnlich angesehenen Hochschulen eröffneten sie die Plattform edX. So wollen sie Menschen aus allen Ländern und sozialen Schichten Zugang zu erstklassiger Bildung ermöglichen. Nach einer kostenlosen Registrierung kann sich jeder die Vorlesungen ansehen und die dazugehörigen Übungen durchführen. Das Ziel bei diesen Massive Open Online Courses, kurz MOOCs, ist nicht der Hochschulabschluss, sondern das Lernen selbst. Die Hochschule Wismar bietet die Studiengänge Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftsrecht sogar komplett virtuell an. Lediglich zwei Präsenztermine pro Semester sind im Bachelorstudium vorgesehen. Vorlesungen, Übungsklausuren und Feedback gibt es online. Das ist deutschlandweit einmalig.
Besonders die organisatorische Seite des Studiums kommt ohne das Internet nicht mehr aus. Bereits die Bewerbung an der Universität Tübingen erfolgt in den meisten Fällen online. Neuimmatrikulierte erhalten eine Mailadresse und sollen ständig erreichbar sein. Für Seminare melden sie sich auf der Campus-Homepage an und dort erhalten sie auch ihre Prüfungsergebnisse. Selbst manche Klausuren schreiben die Studierenden online. Dabei beantworten sie die Fragen entweder in einem mit Notebooks ausgestatteten Hörsaal oder zu Hause an ihren eigenen Bildschirmen. Die Software sorgt dafür, dass sich das Fenster nach der vorgegebenen Zeit automatisch schließt und die Daten übermittelt.
Klausuren am Bildschirm
Die Entwicklung geht also nicht nur von Studierenden aus — auch die Universitäten nutzen das Web zunehmend. Ebenfalls die Uni Tübingen setzt für die Organisation des Studiums voraus, dass die Studierenden über einen Internetzugang verfügen, stellt diesen aber auch bereit. Dozenten vertrauen darauf, dass Studierende sich sicher im Netz bewegen, dort erreichbar sind und die Technik funktioniert — vor allem in Prüfungen. Dafür müssen sie wohl in Kauf nehmen, dass sich Facebook und Foucault manchmal einen Bildschirm teilen.