Es herrscht allgemeine Betroffenheit nach dem Vortrag von Dr. Jürgen Wertheimer, Professor der Komparatistik. Es ist die erste Tagung in Tübingen, die mit dem Titel „Hesse reloaded…“ das Werk Hesse und dessen Aktualität wieder in das Bewusstsein der Leser rufen will. Aber statt Lobeshymnen über Hesse zum Besten zu geben, betitelt Wertheimer den Nobelpreisträger mit Namen wie Kuschelrambo oder spießiger Außenseiter.
von Lisa Wazulin
„Hesse Literatur ist wie ein süffiges Gebräu, das unbeachtet, was darin herumschwimmt, vom Leser heruntergestürzt wird.“ Mit Aussagen wie dieser hat der Tübinger Professor Jürgen Wertheimer der anfänglichen und überschwänglichen Begeisterung des Publikums einen harten Dämpfer versetzt. „Unzumutbar, konfus und ohne jeglichen literarischen Anspruch“ , so schließt sich Wertheimer der allgemein in der deutschen Literaturwissenschaft geltenden Meinung an. Hesse selbst ist zu Lebzeiten und auch nach dem Tod nie ganz von der Literaturwissenschaft ernst- und wahrgenommen worden. Seit der Erscheinung des ersten Hesse Romans, entbrannten hitzige Debatten über den Autor und seine Texte. Er polarisiert, kritisiert und besitzt das Talent, Kompliziertes einfach und verständlich ausdrücken zu können. Hesse ist ein Autor mit deutlichem Hang zur Rebellion und Eigensinn. Gerade deswegen war es auch den Veranstaltern Sara Hauser und Tibor Schneider wichtig, beide Seiten der Debatte um Hermann Hesse einzuladen.
„Hesse Sätze sind unzumutbar, ich verweise sie auf die ästhetische Anklagebank!“
Trotz grober Kritik am Autor und dessen Werk, verweilte Wertheimer nach seinen Vortrag noch einige Minuten im Saal, aus Respekt vor der anderen Seite. Die andere Seite, das sind vor allem internationale Literaturwissenschaftler und der eingeladene Dr. Volker Michels, Herausgeber der Werke des Nobelpreisträgers Hesse durch den Suhrkamp Verlag. Ein bisschen peinlich berührt scheint der Professor am Ende doch gewesen zu sein, als er zum Abschied persönlich Michels beschwichtigend die Hand schüttelt. Aber auch Michels hat einige Argumentationen auf Lager, die entwaffnend wirken: So sind es die Germanisten, die sogenannten Wettermacher des Kulturbetriebs, die den Exoten Hesse nicht als solchen wahrnehmen. Demnach verwirrt Hesse mit seinem konfusen, unstrukturierten Schreibstil und scheint mit seinem Werk einen Nerv getroffen zu haben, der besonders junge Menschen betrifft. Hesse Literatur interpretiert sich selbst, was die Forderung einer Analyse seiner Texte überflüssig macht und somit auch die Literaturwissenschaft selbst. Sein Eigensinn, der sich in seiner Literatur wiederfindet, verhilft dem Leser zu „einer abenteuerlichen Erforschung zu sich selbst“.