Täglich wird von Studierenden vor den Augen der Professoren gegen die Hausordnung verstoßen. In fast jedem Hörsaal hängen mittlerweile Zettel, die den Genuss von Speisen und Getränken untersagen. Allerdings hält sich fast niemand daran – eine Beobachtung.
Mit dem Essverbot in den Hörsälen verhält es sich wie mit den Geschwindigkeitsbegrenzungen im Straßenverkehr: Zehn Kilometer darüber beziehungsweise eine Brezel unter dem Tisch gehen immer. Die richtigen Anarchisten unter den Studierenden erkennt man daran, dass sie das Essen offen vor sich ausbreiten und den Apfel oder das Käsebrot genüsslich in sich hineinstopfen – der Verfassungsschutz sollte mal ein Auge auf sie werfen. Diese Geste hat immer etwas Herausforderndes. Handelt es sich dabei um einen Versuch des Studierenden, den Professor dazu zu bringen, die unsichtbare Wand zwischen Katheder und Sitzbänken zu durchbrechen, sozusagen einen Tadel ex cathedra zu provozieren?
Was sagt das Getränk über den Studierenden aus?
(Achtung: Wortspiel!) Apropos Katheter: Nicht nur der Genuss von Essen ist untersagt, sondern auch der Genuss von Getränken. Fraglich ist, ob ein flüchtiger Schluck abgestandenes Wasser aus dem Hahn schon als Genuss bezeichnet werden kann. Auch hier lassen sich wieder soziologische Überlegungen anstellen: Was sagt das Getränk über den Studierenden aus? Auf den ersten Blick lassen sich vier Typen unterscheiden: der Sportwassertrinker, der Wiederauffüller, der Thermoskannenliebhaber und der Automatenkäufer.
Sportlich, gemütlich oder spontan?
Der Sportwassertrinker mag es spritzig (er verursacht das nervige Zischen). Er gibt viel Geld für Wasser aus, Hauptsache es sprudelt – und natürlich ist ja auch gesundes Magnesium drin. Dem Wiederauffüller ist das zu teuer. Er denkt erst einmal pragmatisch: Wasser muss den Durst löschen, fertig. Außerdem treiben ihn oft edle Klimaschutzziele um – wozu CO 2 verbrauchen, wenn das Zeug aus dem Hahn kommt? Der Thermoskannen-Liebhaber beziehungsweise meistens eher die Thermoskannen-Liebhaberin hat es gerne warm und selbstgemacht. Sie ist morgens extra früher aufgestanden, um sich noch liebevoll einen Kaffee oder Tee aufzubrühen. Der Automatenkäufer ist dagegen der spontanste: Er hat nicht einmal eine leere Flasche dabei, aber großen Durst. Seine Spontanität lässt er sich etwas kosten.
Käsebrot oder Sushi?
Die Gattung der Essenden lässt leider keine derartige Einteilung zu. Die Gewohnheiten erscheinen für den Umfang dieses Beitrags zu unterschiedlich. Es gibt von den Stopfern – sie schieben sich kurz einen halben Apfel in den Mund, weil sie glauben, dass der Professor gerade nicht hinguckt -, bis zu den Schnapp-Essern – weil sie sich immer kleinste Bissen über zwei Vorlesungsstunden verteilt in den Mund schieben – nahezu alle Abstufungen. Daneben siedeln beispielsweise die Mamas-Käsebrot-Verschlinger, die Kühltheken-Sushi-Verspeiser und die Cafeteria-Brötchen-Esser.
Nun, was bringen diese Unterscheidungen? In der Praxis nicht viel. Und damit in etwa dasselbe wie das Verbot.