Die Zeiten von Fleischermessern sind im Schlachthaus Tübingen schon lange vorbei, dafür finden sich hier jeden ersten Mittwoch im Monat Poeten mit umso schärferen Zungen ein.
Bereits im zweiten Jahr hat die Poetry Slam Szene hier ihr Hauptquartier aufgeschlagen. Die Regeln sind simpel: Sechs Teilnehmer treten innerhalb von zwei Runden gegeneinander an. Durch Klatschen entscheidet das Publikum, wer ins Finale kommt und gewinnt. Dabei gibt es drei Bedingungen: Alle Texte müssen selbst geschrieben sein. Es dürfen keine Requisiten benutzt werden. Das Zeitlimit von sechs Minuten darf nicht überschritten werden.
Haarige Hintern und Leberwurst
Unter den Künstlernamen Ton, Hank M. Flemming, Hazey Trace, Manuel Striebel, Ansgar Hufnagel und Max stellten sich die Künstler scherzhaft als das „Zweitbeste“ vor, was Tübingen zu bieten hat – zur gleichen Zeit fand nämlich in Augsburg die Deutsche Poetry Slam Meisterschaft statt. Moderiert durch den slamerprobten Veranstalter Harry Kinzler hatten sich mehr als zweihundert Menschen in dem abgedunkelten Raum im zweiten Stock des Schlachthauses eingefunden. Lauter Applaus ließ die überdimensionale Discokugel über der Menge erbeben, als nach einem kurzen Aufwärmtext von Kinzler – es ging um Berufsberatung für Einbrecher – der erste Teilnehmer Ton die Bühne betrat.
Von Leberwurst und haarigen Hintern bis zum Selbstfindungsprozess und der Aufforderung, das Handy aus dem Fenster zu werfen, fand sich für jeden Geschmack der passende Poet. Besonders das Thema der zunehmenden Medialisierung der Gesellschaft wurde häufig aufgegriffen. So schrie Ton seinen „Hate“ über die Abhängigkeit von den sozialen Medien heraus und Striebel malte ein wortgewaltiges Bild von mit elektronischen Leichen gepflasterten Wegen.
„Einfach trauen und machen“
Wie üblich bewies sich aber, dass vor allem eine gesunde Portion Humor bei Poetry Slams Erfolg zeigt. Bereits in der ersten Runde gewann Flemming mit seiner halluzinogenen Kröte das Publikum für sich, mit der er märchenhaft die Folgen des Drogenkonsums kommentierte. Trotz stilistisch eindrucksvollen Werken von Ton und Hazey Trace, zog er in das Finale ein.
Während sich die anderen Slammer aufwärmten, heizte als besonderer Gast die Band Kaira Percu dem Publikum mit westafrikanischer Trommelmusik ein. Auch wenn die Wenigsten die Gesänge über Frieden, Frauen und gebratenes Schweinefleisch verstanden, hinderte das Niemanden daran, in die exotischen Verse mit einzustimmen. Als Teil ihrer Benefizkonzerte für den Frieden im Senegal werden sie am vierten Dezember wieder im Schlachthaus auftreten.
Finale zu Viert
Der zweite Teil des Abends hielt eine besondere Überraschung bereit. Striebels Gedicht über die Überwindung der eigenen Unsicherheit, Hufnagels Aufruf gegen die elektronische Abhängigkeit und auch Max´ Einblick in seinen Selbstfindungsprozess machten es dem Publikum unmöglich, sich für einen der Teilnehmer zu entscheiden. In einer bis dahin einmaligen Konstellation fanden sich vier Kandidaten in der entscheidenden Runde wieder. Trotz der starken Konkurrenz gelang es Flemming aber erneut, sich durch einen emotionalen Text über Krebserkrankung, personifiziert durch einen unangenehmen Begleiter namens Kevin, durchzusetzen.
Mit dem Preis des Siegernotizbuches in der Hand gab er noch einen Rat an alle, die sich selbst als Poetry Slammer ausprobieren wollen: „Einfach trauen, einfach machen.“
Fotos: Robin Graber