Das 14. Tübinger Pianisten-Festival wurde gestern Abend von zwei jungen Talenten eröffnet. Unterschiedlicher hätten die beiden nicht sein können, wodurch ein abwechslungsreicher Abend entstand. Vereint in der Musik, füllten sie den Festsaal in der Neuen Aula mit Beethoven, Chopin und Medtner.
Im Festsaal herrscht eine andächtige und erwartungsvolle Stimmung. Noch bevor der erste Musiker die Bühne betritt, ist fast kein Rascheln oder Gemurmel mehr zu hören. Als würde klassische Musik diese Andacht erfordern, ein in sich zur Ruhe kommen, bevor es los geht. Pünktlich um 19:30 betritt der junge, deutsch-koreanische Pianist Jun-Ho Gabriel Yeo die Bühne. Mit seinen 18 Jahren ist er ein Ausnahmetalent der Musikwelt: Bereits mit 16 Jahren schloss er sein Vorstudium am Institut für Frühförderung in Hannover ab, seit 2015 lernt er an der Hochschule für Musik in Wien.
Während die Besucher ihn noch neugierig betrachten, setzt der junge Mann die Finger auf die Tasten, um den Raum mit der bekannten Melodie der Waldsteinsonate von Beethoven zu füllen. Seine Hände rasen über die Tasten; bei ruhigeren Melodien beugt sich der gesamte Oberkörper zum Klavier hin, wie um die feine Melodie vor dem Rest des Saales zu schützen. Zwischen den Stücken geht der klein gewachsene Mann hinter die Bühne, oder betupft sich die schweißnasse Stirn mit einem Taschentuch. Kein Wort kommt über seine Lippen, die Stücke bestreitet er ohne Notenblatt. Das Talent ist unverkennbar; der Saal wird von seiner Hingabe zur Musik ergriffen.
Junge Klassik in Tübingen
Das Tübinger Pianisten-Festival ist zu einer festen Größe im Tübinger Kulturbetrieb geworden. Seit nun mehr 14 Jahren holt die Veranstaltung internationale Musiker in die Universitätsstadt. Vor allem junge Klavierstars werden hier gefördert. So mancher, der hier spielte, wurde später zu einem der Großen. Im letzten Jahr kamen die Talente aus Belgien, Russland, Deutschland und Kasachstan. Dieses Jahr aus Korea, Polen, Deutschland und Montenegro. Die Internationalität, die der Titel der Veranstaltung ankündigt, ist in jedem Fall gegeben.
Kontrast zu Jun-Ho
Nach der Pause betritt der Gegensatz zu Jun-Ho die Bühne: Ein großer Mann, Bart, eine lockere Verbeugung. Die Zuschauer sind nach dem langen Sitzen und der Pause etwas unruhig geworden, Rascheln erfüllt den Saal, die Andacht ist dahin. Dies stört Ratimir Martinovic, jüngster Professor für Klavier an der Akademie der Künste in Serbien, nicht im geringsten. Er erweckt sogar das Gefühl, als wolle er nicht in so einer erwartungsvollen Stille spielen wie sein Vorgänger. Zu Beginn erzählt er eine Anekdote von seinem letzten Besuch beim Tübinger Pianisten-Festival: Er hatte einen Lachanfall und konnte deshalb nicht mit dem Konzert beginnen. „It was my first and my last time that i couldn’t start a concert because of a fit of laughter.“ Das Publikum lacht mit und applaudiert vereinzelt. Doch das allgemeine Aufatmen ist zu spüren. Hier bekommt die Klassik etwas lockeres, verspieltes.
Martinovic spielt mit Noten, die Dame, die umblättert, verpasst des öfteren den Einsatz, was ein wenig von der Musik ablenkt. Medtners Klaviersonate „Skazka“ holt die Gemüter trotzdem hinter den Programmen hervor und die Klänge von Chopins Scherzo in b-moll wehen herzzerreißend und wehmütig durch die Räumlichkeiten. Die riesigen Hände des jungen Pianisten setzen sanft auf den Tasten auf, zwischen den Stücken erläutert er im Gegenteil zu Jun-Ho, was er gerade gespielt hat oder was kommen wird.
Wie es weitergeht
Der Abend geht ohne Reden oder Ansagen vonseiten der Veranstalter vorüber, was die Musik in den Fokus rückt. Für diejenigen, die das Festival schon länger besuchen, mag dies von Vorteil sein. Als Neuling wäre es allerdings interessant, ein wenig in die Veranstaltung eingeführt zu werden.
Am heutigen Abend wird die Veranstaltung in der Neuen Aula fortgesetzt. Mit der jungen Katharina Treutler aus Deutschland (Busoni, Bach, Liszt) und Marian Sobula aus Polen (Beethoven, Chopin). Um 19:30 wird wieder zu junger Klassik eingeladen, 8 Euro für Studenten, 26 Euro der Normalpreis.
Der Abend schließt mit Applaus und vereinzelten Standing Ovations. Eine junge Frau kommentiert die Veranstaltung mit den folgenden Worten: „Es hat mir gut gefallen. Man konnte die unterschiedlichen Temperamente der beiden Musiker in ihrem Stil und der Musikwahl wiederfinden, das hat den Abend total abwechslungsreich gemacht.“
In der Tat waren diese beiden Pianisten, an einem Abend, eine sehr gute Wahl: Gegensätze ziehen sich eben an.
Fotos bereitgestellt vom Kulturreferat der Universität Tübingen.
Titelbild: Felix Müller