Eine Stadt wie Tübingen würde in eine Lavaröhre passen, davon ist Dr. Tristan Bassingthwaighte überzeugt. Nicht in eine auf der Erde, sondern in eine geräumigere auf dem Mars. Der Weltraumarchitekt war zu Gast im Deutsch-Amerikanischen Institut und berichtete über seine Vision von außerirdischen Lebenswelten sowie seiner Zeit als Crewmitglied bei der bisher längsten Marssimulation der NASA. 

Bricht ein Vulkan aus, so können Lavaströme in seinen Abhang riesige Höhlen fräsen. Auf der Erde werden diese Lavaröhren bis zu 30 Meter breit, auf anderen Himmelskörpern wie dem Mars erreichen sie noch größere Ausmaße. So viel Platz bot die Marssimulation auf Hawaii Tristan Bassingthwaighte allerdings nicht. Ab dem Sommer 2015 teilte er sich eine oberirdische 110-Quadratmeter-Kuppel mit fünf anderen Crewmitgliedern. Nur wenige winzige Fenster gaben den Blick auf die wüsten Lavafelder des Mauna Loa-Vulkans frei. 366 Tage lang wurde diese Öde für die Crew zum Mars.

Bedrückende Abgeschiedenheit

Die Außenwelt betrat das Team nur in Schutzanzügen, um geologische Experimente durchzuführen und die benachbarten Lavaröhren auszumessen. Solarpanel erzeugten den nötigen Strom, Wasser und getrocknete Essensvorräte erreichten alle paar Monate ihre Basis per simulierter Raketenlieferung. Die Kommunikation mit der Außenwelt war um 20 Minuten verzögert, wie es auch auf dem echten Mars der Fall wäre. Nach drei Monaten hörten Familie und Freunde allmählich auf, sich zu melden. Für sie ging das Leben draußen auch ohne Bassingthwaighte weiter.

Trotz der Isolation von der Außenwelt fühlte er sich nie allein. Im Inneren gab es keine Barrieren. Den einzigen privaten Raum bot eine Schlafzelle in der Größe von Harry Potters Wandschrank. Der übrige Bereich war von überall einsehbar und die dünnen Wände dämpften kaum ein Geräusch. Der Mangel an Privatsphäre belastete Bassingthwaighte am meisten.

„Es gab keine Zeit, sich zu erholen und ein Mensch zu sein. Keine Zeit, um deine Seele zurückzubekommen.“

Lesen, Computer spielen und eine Virtual Reality Brille ermöglichten den Teammitgliedern zwar die Flucht von „Mock Mars“ in weitere Welten, dennoch empfand Bassingthwaighte seine Mitbewohner als “Personal Space Invaders”.

Humor half bei Konflikten

Der promovierte Architekt Bassingthwaighte schaffte es trotzdem, angespannte Lagen mit seinem Humor zu entspannen. Seine Zauberformel lautete: „Wir sind alle ätzend!“. Gerade wegen seiner heiteren und optimistischen Art hatte er sich für das Team qualifiziert. Die NASA war an der Simulation besonders daran interessiert, wie sich extreme Lebensumstände auf das Wohlbefinden der Expeditionsmitglieder und ihren Umgang mit Stress und Konflikten auswirken. Dafür musste die Crew regelmäßig soziale und psychologische Tests durchführen. Nach einem Jahr schienen alle noch in Ordnung zu sein.

Weltraumarchitekt Bassingthwaighte erklärt im D.A.I. seine Zukunftsvorstellung vom dauerhaften menschlichen Leben auf dem Mars.

Menschenfreundliche Kapseln in der Horrorwelt Mars

Seine Erfahrungen in der Kuppel nutzte Bassingthwaighte für seine Dissertation darüber, wie ein menschenfreundlicher „Space Place“ aussehen sollte. Die kalt-futuristisch eingerichtete Kuppel der Marssimulation sei für ihn kein Zuhause geworden, er habe sich nur irgendwie an den Ort gewöhnt. Das hält er bei einer richtigen Marsmission, die deutlich länger als ein Jahr dauern würde, für nicht genug. Damit sich Menschen heimisch fühlen können, brauche es naturnahes Licht, natürlicher wirkende und gestaltbare Materialien sowie bessere Rückzugsmöglichkeiten.

Aber kann eine gemütliche eingerichtete Kapsel von der tödlichen Marswelt ablenken, die gleich hinter den Außenwänden lauert? Eine extrem dünne Atmosphäre, tödliche Strahlung und Kälte machen den Planeten für Menschen zur Hölle. Und im Notfall kann man auf Hilfe von der Erde lange warten.

Bassingthwaighte ist dennoch optimistisch, dass die zukünftigen Marsbewohner diesen Horror in einem gemütlich eingerichteten Habitat vergessen könnten. Gewisse Gemüter könnten eine solche Todesnähe gar genießen. In Gefahr fühle man sich schließlich lebendiger.

Die Stadt in der Lavaröhre

In seiner Dissertation hat sich Bassingthwaighte auch mit der Frage beschäftigt, wie sich eine erste kleine Basis entlang von Lavaröhren zu einem nachhaltigen Lebensraum vergrößern lässt. Überkuppelt man die Skylights, also die Stellen an denen die Decke dieser Höhlensysteme eingebrochen ist, könnte man darin eine angenehme Atmosphäre schaffen und geschützt vor den Gefahren des Alls hausen. Mit Baumaterial vom Planeten selbst ließe sich die Kolonie dann allmählich vergrößern: Roboter könnten das Gestein zermahlen und daraus im 3D-Druckverfahren verschiedene Gebäude hochziehen.

Ein Gewächshaus auf dem Mars

Auf 250 Quadratmetern Gewächshausfläche ließe sich bereits ein reduziertes Ökosystem anlegen, das sechs künftige Marsianer mit Nahrung, Erholungsraum und sauberem Wasser und Sauerstoff versorgen könne. Damit wäre die Marsbasis unabhängig von Mutter Erde. Das würde nicht nur Kosten sparen, sondern wäre der erste Schritt der Menschheit hin zu einer interplanetaren Spezies.

Menschen könnten sich dem Leben auf dem Mars anpassen, Familien gründen und dort so etwas wie Alltag erleben. Ein Leben auf Mars wäre „home again.“

Bassingthwaighte träumt seit seiner Kindheit davon, selbst im Weltall zu leben. Alle sechs Monate bewirbt sich der Architekt bei SpaceX, dem privaten Raumfahrtunternehmen des Unternehmers Elon Musk. Solange es nicht klappt, arbeitet er ganz bodenständig weiter. Gerade betreibe er, in seinen eigenen Worten, „langweilige Downtown-Erdarchitektur“. Aber Wohnungen hoch oben auf Wolkenkratzern seien in ihrer Isolation einem Marshabitat nicht ganz unvergleichbar.

Beitragsfoto: Johannes Plate

Titelbild: pixabay.com

Tristan Bassingthwaighte vertrieb sich seine Zeit beim HI-SEAS Projekt [http://hi-seas.org/] auch mit bloggen. Eindrücke von seiner Zeit auf „Mock Mars“ finden sich auf seiner Website Artchitecture from Mars [https://artchitecturefrommars.com/].

 

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