Forschung goes digital: Virtuelle Ausstellung eröffnet

Die Belagerung Konstantinopels, Klosterauflösungen durch die Reformation und 9/11 haben etwas gemeinsam: Sie bringen bestehende gesellschaftliche Strukturen ins Wanken. Insgesamt zwölf zeitgeschichtliche Begebenheiten dieser Art werden in der am Freitag eröffneten virtuellen Ausstellung der Forschungsgruppe „Bedrohte Ordnungen“ vorgestellt.

Wer sind wir? Was brauchen wir? Was bedroht uns? Existenzielle Fragen flackern ins Blickfeld, sobald man die frisch eingeweihte Ausstellung des Sonderforschungsbereichs (SFB) besucht. In ihren zwölf Teilbereichen soll sie diese großen Fragen beantworten – zumindest für den jeweils behandelten historischen und geographischen Kontext.

Ziel der Ausstellung ist es, einem breiten Publikum die Arbeit der dahintersteckenden Forschungsgruppe vermittelbar zu machen. Ganz in diesem Sinne kann sie jede*r bequem zu Hause am Schreibtisch oder auf der Couch besichtigen – denn zu finden ist die Ausstellung ausschließlich im Internet. Auf der interaktiv gestalteten Webseite klicken sich die Nutzer durch vereinfacht aufbereitete und graphisch unterfütterte Projekte einzelner Wissenschaftler des SFB „Bedrohte Ordnungen“.

Jan Sändig referiert zu seiner Forschung über die friedliche Unabhängigkeitsbewegung der Igbo in Nigeria.

Gewalfrei gegen Bedrohungen

Vier der zwölf Forschungsbereiche wurden bei der Auftaktveranstaltung im historischen Lesesaal der Universitätsbibliothek vorgestellt. So erzählte der Politikwissenschaftler Jan Sändig über seine Forschung zu einer friedlichen Unabhängigkeitsbewegung in Nigeria. Die Volksgruppe Igbo setzt sich dort schon seit 1999 gewaltfrei dafür ein, einen eigenen Staat namens Biafra zu bekommen. Die Igbo sehen sich durch die nigerianische Zentralregierung und den muslimisch geprägten nördlichen Teil Nigerias marginalisiert. Und tatsächlich mussten Angehörige der Gruppe in der Vergangenheit Angriffe der Polizei, des Militärs sowie der Terrorgruppe Boko Haram erleiden. Allerdings sei die empfundene Bedrohung der Igbo, die bis hin zur Angst vor einem Genozid reiche, größer als die tatsächliche Bedrohung, so Sändig.

Das Besondere: Die Interdisziplinarität

Der „Sonderforschungsbereich 923 bedrohte Ordnungen“ besteht seit 2011 und wird von der deutschen Forschungsgemeinschaft sowie der Exzellenzinitiative der Universität Tübingen finanziert. Momentan befindet sich das Projekt in der zweiten Förderphase, wenn alles wie gewünscht läuft wird eine Dritte folgen.

Nach den Reden und Vorträgen konnte man sich die Ausstellung an den vor Ort installierten Bildschirmen anschauen. Hier erklärt der Kurator Dennis Schmidt den interessierten Gästen die Internetseite.

Doktorand und Historiker Florian Battistella schätzt an seiner Arbeit für den Sonderforschungsbereich vor allem die Interdisziplinarität, wie er im persönlichen Gespräch erzählt.

Batistella habe durch seine Forschung „die Möglichkeit, über den Tellerrand hinauszublicken.“

In den Perspektiven anderer Wissenschaftsdisziplinen sieht er eine Bereicherung: „Man macht sich nicht Konkurrenz, sondern unterstützt sich gegenseitig.“

Prof. Dr. Mischa Maier sieht im Sonderforschungsbereich „Bedrohte Ordnungen“ viel Potential.

Eine kleine wissenschaftliche Revolution

Es sind große Ziele, die sich die interdisziplinäre Forschungsgruppe mit der Nummer 923 gesteckt hat. Die Wissenschaftler aus neun verschiedenen Fakultäten der Universität Tübingen wollen nicht nur historische und aktuelle Ereignisse aufarbeiten und auf Gemeinsamkeiten untersuchen. Sie haben es sich zudem auch zur Aufgabe gemacht, die Raum- und Zeitkategorien der Sozial- und Kulturwissenschaften zu erneuern, wie der Sprecher des Projekts Prof. Dr. Mischa Maier in seiner Eröffnungsrede darlegt. An Selbstvertrauen mangelt es jedenfalls nicht: Er bescheinigt dem Projekt das Potential zu „gravierenden Auswirkungen auf das Selbstverständnis der beteiligten Disziplinen.“

Fotos: Universitätsbibliothek Tübingen

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