„Man sollte einfordern, gestalten zu können“

Am 3. und 4. Juli sind StuRa-Wahlen. Die Wahlbeteiligung in den letzten Jahren war leider immer sehr niedrig. Wie sich das erklärt und warum es wichtig ist zu wählen, haben wir Dr. Sebastian Dippelhofer von der Justus-Liebig-Universität in Gießen gefragt. Im Dezember letzten Jahres war er bereits hier zu Gast und referierte auf Einladung der Fachschaft Politik zu diesem Thema.

Wieso interessieren Sie sich für allgemeinpolitische und hochschulpolitische Einstellungen von Studierenden?

Mein Interesse an diesem Thema hat sich zum einen durch meine Arbeit als studentischer Vertreter auf Uni- und Fachebene entwickelt. Zum anderen habe ich als Hiwi in der AG Hochschulforschung, die an der Uni Konstanz sitzt, Einblicke in verschiedene Thematiken bekommen, die sich mit Hochschule an sich und mit Studierenden im Besonderen beschäftigen. In diesem Rahmen konnte ich auch immer in den repräsentativen Studierendensurvey schauen und mir mal aus einem anderen Blickwinkel anschauen, was Studierende interessiert – oder eben auch nicht.

Hängt – Ihrer Meinung nach – allgemeinpolitisches Interesse und (hochschul-)politisches Engagement  zusammen?

Ja – da gibt es positive Zusammenhänge.

Je höher das Interesse am allgemeinpolitischen Geschehen ist, desto nachdrücklicher engagiert man sich auch für hochschulpolitische Zusammenhänge.

Ferner ist besonders das politische Interesse quasi eine tragende Säule des hochschulpolitischen Engagements.

Laut Ihrem Beitrag aus dem Jahr 2012 zum Studierendensurvey interessieren sich mehr Studierende für Hochschulpolitik, als sich tatsächlich dafür engagieren. Warum ist das so?

Das hat zum einen sicherlich damit zu tun, dass sich in den letzten Jahren der Wertehorizont der Studierenden verschoben hat – besonders was Aktivitäten angeht: Weg von der Hochschule, hin zu familiären, freizeitlichen und anderen außerhochschulischen Feldern. Da dürfte es noch einfacher sein, sich zwar zu interessieren, aber sich nicht zu engagieren. Wobei man auch sagen muss, dass je spezieller das politische Feld wird, desto weniger Menschen interessiert es von vornherein. Vielleicht hängt das auch mit den immer wieder auftauchenden Spielchen zusammen: Wenn parteipolitische Gliederungen vorhanden sind, geht es oftmals primär darum, wer mit wem koalieren kann, will, möchte oder auch nicht, sodass einem die Lust vergeht sich zu engagieren.

Dr. Sebastian Dippelhofer von der Justus-Liebig-Universität Gießen

Könnte die geringe Teilnahme auch auf ein Gefühl der Machtlosigkeit unter Studierenden zurückzuführen sein?

Das dürfte auch ein Grund sein – man möchte sich für etwas engagieren, was einen interessiert, ggf. auch was ändern, was einem unter den Nägeln brennt und merkt, dass man nichts ändern kann bzw. auch nicht wirklich gehört wird. Das kann nicht nur nervig sein, sondern eben auch zu einer Distanz und einer Apathie beitragen, sich einzumischen und etwas bewirken zu wollen – besonders wenn man ein Angehöriger der größten Statusgruppe an der Hochschule ist.

Allerdings muss man auch sagen, dass sich viele Dinge nicht über Nacht ändern lassen und hin und wieder ein langer Atem nötig ist. Dennoch darf man sich nicht entmutigen lassen, etwas zu tun.

Sie stellen fest: „Sozialwissenschaftler engagieren sich am meisten“. Liegt das an einem bestimmten Schlag Menschen, die von den Sozialwissenschaften angezogen werden oder an einer Besonderheit der Lehre in diesen Studiengängen, die ebendas herausbildet?

Neben einem durchaus möglichen Anziehungspunkt von Menschen, die sich von vorherein besonders engagieren und bestimmte gesellschaftliche Werte vertreten, dürfte das sicherlich mit dem Fach an sich, den dortigen Themen, den Auseinandersetzungen und Gestaltungen zusammenhängen – also auch mit der Lehre. Zum einen besteht hier zum einen immer das fachliche Selbstverständnis Dinge zu hinterfragen, zu politisieren, zu kritisieren und gesamtgesellschaftlich zu betrachten; zum anderen bestehen hier seit jeher auch weniger strukturelle Reglementierungen – auch wenn diese im Zuge der Bologna-Reformen eingeschränkt worden sind.

Die studentischen Vollversammlungen des StuRas sind selten wirklich voll – trotz Werbung und kostenlosen Brezeln.

Was könnte geändert werden, damit mehr Studierende sich aktiv engagieren oder zumindest wählen? Braucht es eine Strukturreform?

Es bieten sich ein paar Stellschrauben an: Etwa, dass die engagierten Studierenden mehr auf sich, ihre Arbeit, die Möglichkeiten sich zu engagieren und ggf. Erfolge aufmerksam machen – bspw. mittels steter Informierung über die zu Verfügung stehenden Medien.

Man könnte auch Themen stärker in die Studierendenschaft tragen und öffentlich diskutieren. Dabei ist es generell wichtig, dass eine für alle klare und verständliche Sprache benutzt wird,

Das heißt keine Kommunikation und kein Verhalten, bei dem Außenstehende das Gefühl haben, dass das nur Eingeweihte verstehen. Ebenso könnte man neben mehr Transparenz und Aufforderung zur Teilhabe auch auf eine Fachkultur bauen, wie sie in den Sozialwissenschaften noch am ehesten existiert. Man könnte in allen Fächern versuchen, mehr zu sensibilisieren für die gesellschaftlichen Folgen des wissenschaftlichen Handelns bzw. entsprechender Errungenschaften. Ein weiterer Baustein könnte umgekehrt sein, dass hochschulische und politische Entscheidungen auf ihre Wirkung für Hochschule, Studium und Studierende reflektiert werden. Auch ein Blick auf die Studiendauer dürfte sinnvoll sein, da man sich mit einem kurzen Studium nicht wirklich betätigen und entsprechend entwickeln und ausprobieren kann – gerade Uni ist ja der Ort, in dem es darum geht, zur gesellschaftlichen Weiterentwicklung beizutragen, neue Ideen zu entwickeln und zu verinnerlichen; und dafür braucht es eben auch Zeit.

Gibt es etwas, was Sie direkt an die Studierenden richten wollen?

Dass es wichtig ist, sich zu engagieren, dass man auch einfordern sollte, gestalten zu können. Dies ist besonders bei Studierenden auch deswegen zentral, da sie später überproportional häufig in gesellschaftlichen Schlüsselpositionen vertreten sind, in den sie aktiv und gestaltend sein müssen. Und da man dafür gerade in einer Demokratie mündige, kritische und engagierte Bürger/innen braucht, sollte man diese Fähigkeiten so intensiv als möglich beherrschen und einen Ort haben, das einzuüben.

Als Schlusswort: Warum ist es wichtig zur „StuRa-Wahl“ am 3./4. Juli zu gehen oder dort zumindest per Briefwahl zu wählen?

Eine solche Wahl ist allein deswegen wichtig, um nicht nur die eigenen Vertreter zu stärken, sondern sich selber als Gruppe eine starke Stimme zu geben und entsprechend aufzutreten.

Allerdings sollte es nicht nur beim Wählen bleiben – es geht vielmehr darum, selber aktiv zu werden und zu gestalten.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Dippelhofer!

Titelbild: Creative Commons/ StuRa Uni-Wahlen 2018
Beitragsbild: Felix Kraus
Kopfbild: Dr. Sebastian Dippelhofer

 

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