Ist ein 170 Jahre altes Parteiprogramm noch relevant für die Gegenwart? Ja und nein, sagt Prof. Dr. Michael Quante von der Universität Münster. Bei seinem Vortrag im Rahmen der Studium Generale Vorlesung zu Karl Marx wurde die Aktualität des Kommunistischen Manifests kritisch beleuchtet.
Vor 200 Jahren, am 5. Mai 1818, wurde Karl Marx, einer der einflussreichsten und heiß diskutiertesten Philosophen aller Zeiten, geboren. Seine scharfe und präzise Analyse und Kritik des Kapitalismus war und ist bis heute für viele wegweisend. Das Jubiläum ist der Anstoß für eine eigene Vortragsreihe mit dem Titel „Marx-Lektüren. Versuche, die Gegenwart zu begreifen“, welche jeden Dienstag um 18:00 Uhr im Hörsaal 21 des Kupferbaus stattfindet.
Die Vorlesung am vergangenen Dienstag stand unter dem Titel „Das ‚Kommunistische Manifest‘ zwischen politischer Agitation und philosophischer Theorie“. Gehalten wurde sie von Prof. Dr. Michael Quante vom philosophischen Seminar der Universität Münster. Das Interesse an der Veranstaltung war groß und das Publikum für eine Ringvorlesung außerordentlich gemischt, so saßen augenscheinlich nicht nur Studierende im Hörsaal.
Das Manifest: Zunächst noch unbeachtet
Die erste Auflage des Manifests der Kommunistischen Partei erschien im Jahr 1848, kurz bevor die überall in Europa gärenden Unruhen ausbrachen. Verfasst wurde das kleine Büchlein von Friedrich Engels und Karl Marx für den Bund der Kommunisten, einer kleinen politischen Organisation, in der Engels und Marx die zentrale theoretische Führung übernehmen wollten und so dessen Selbstverständnis, das Manifest, verfassten. Zudem führt das kommunistische Manifest kurz in theoretische Grundlagen, wie den historischen Materialismus ein. Der Bund der Kommunisten war nicht wirklich in die Revolution von 1848 involviert, da es sich hierbei um eine bürgerliche Revolution handelte. Daher erfuhr die erste Ausgabe des Manifests insgesamt wenig Beachtung.
Mit dem Erscheinen der zweiten Auflage des kommunistischen Manifests 1872 erreichte das Manifest aufgrund geänderter politischer Bedingungen (v.a. die Gründung der ersten Internationalen Arbeiterassoziation 1864 und das Entstehen der Sozialdemokratie als Bewegung) schließlich die Aufmerksamkeit, die zum Teil bis heute noch anhält.
Kritische Auseinandersetzung mit dem Kritiker und dessen Wirkung
Prof. Quante setzte sich durchaus kritisch mit dem Kommunistischen Manifest, Karl Marx und dessen Wirkung generell auseinander. Vor allem an zwei Aspekten übte er Kritik. Erstens die Wirkungsweise, die das Manifest der Kommunistischen Partei entfaltete, da es seiner Meinung nach nicht für reale politische Arbeit greife, aber oft dazu benutzt würde.
Zudem hinterfragte er Marx‘ Zukunftsvision: Eine Revolution der Arbeiter (des Proletariats) und eine daraus resultierende klassenlose Gesellschaft. Diese Aufstellung einer Verheißung sei eine pseudowissenschaftliche Objektivierung der Geschichte, so Quante. Gleichwohl sei die empirische Analyse, die Diagnose des Kapitalismus selbst, die sich dann vor allem im „Kapital“ findet, „genial“. Nach Quante sollte man sich allerdings davor hüten, alle Analysen von vor 200 Jahren eins zu eins auf die Gegenwart anzuwenden.
Zu wenig inhaltlicher Tiefgang im Vortrag
Der Vortragende erklärte gleich zu Beginn der Vorlesung, dass er nicht aus dem „Kommunistischen Manifest“ zitieren würde, um das eigene Denken über das Manifest nicht mit Zitaten zu ersetzen. Problematisch war allerdings, dass der konkrete Inhalt des Manifests, in dem zum Beispiel der historische Materialismus eingeführt wird, oder die tatsächliche inhaltliche Kritik, die Marx an anderen politischen Ausrichtungen übt, nicht zur Sprache kam.
„Das eigene kritische Denken nicht abgeben“
Prof. Quante erklärt die konstante Aktualität des Manifests damit, dass es etwas in Marx‘ Denken gebe, das uns heute noch unangenehm sei und sieht sie auch darin, dass die darin ausgedrückte Unversöhnlichkeit uns immer noch anspreche. Das liege seiner Meinung nach aber außerhalb des Marxismus-Leninismus. Er warnt davor, einfach das Manifest zu lesen, das kritische Denken abzugeben und Marx zu überlassen. Zudem halte das Manifest nicht als Rezeptbuch für politisches Handeln her. Am Ende unterstrich Quante noch einmal, dass es ihm vor allem darum gehe, kritisches Denken zu schaffen, nicht, Antworten zu geben.
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