Text, Bild und Cover, Erotik, Lyrik und Theorie: Das alles bringt Claudia Gehrke in ihrem Konkursbuch-Verlag zusammen. Was mit üppigen Essen und Debatten in einer WG in der Münzgasse begann, ist heute ein Verlag jenseits von Genregrenzen, der an diesem Wochenende sein 40-jähriges Bestehen feiert.
Zu seinem 40. Jubiläum versammelt der Tübinger Konkursbuch-Verlag Claudia Gehrke viele seiner AutorInnen in der Altstadt. Die Feierlichkeiten begannen am Freitag im Löwen mit Musik und Texten von Yoko Tawada und anderen und dauern auch am Samstag noch an: Zwischen 11 und 18 Uhr halten verschiedenste AutorInnen Lesungen in den Tübinger Buchläden und Cafés. Und weil beim Konkursbuch-Verlag, so Claudia Gehrke, „anspruchsvolle Literatur und Erotik nebeneinander stehen“, gibt es am Samstagabend zum Abschluss noch ein Fest mit erotischen Performances, Lesungen und DJs im Sudhaus.
„Die Abweichung ist eine Chance für die Poesie.“
Dies eine These aus Yoko Tawadas Essayband ‚akzentfrei‘, aus dem sie am Freitag mit japanischem Akzent liest. Tawada, unter anderem mit dem Kleist-Preis und der Carl-Zuckmayer-Medaille ausgezeichnet, ist eine der ersten und die wohl bekannteste Autorin des Verlags. Sie schreibt auf Japanisch und auf Deutsch – am Freitag liest sie Texte auf Deutsch und über das Deutsche. Humorvoll, assoziativ-essayistisch und geistreich parodiert die in Berlin lebende Japanerin starre Grammatiken und standardisierte Schriftsprache. Sie selbst hält ein Plädoyer für den Akzent, die gesprochene Sprache, für die Sichtbarmachung des Wortes im Spiel, das neue Beziehungen schafft.
68er jenseits von Schubladendenken
Mit ihren virtuosen Wortspielen und philosophischen Sprachreflexionen repräsentiert Tawada wohl die „literarische“ Seite des Verlags – doch auch sie spricht sich für die Abweichung von der Norm aus und steht als Autorin zwischen den Kulturen für Grenzüberschreitungen. Schubladen und Grenzen zu sprengen, so Claudia Gehrke, das sei das Ziel des Verlags. Sie publiziere unter anderem ‚literarisch Anspruchsvolles‘, Thriller, Erotik, Bildbände und Reiseliteratur. Auch von einem strikt vorgegebenen Kurs wolle man abweichen – daher der Titel ‚Konkursbuch‘. „Der Name bezieht sich auf die Zeitschrift Kursbuch“, erläutert die Verlegerin. Das Kursbuch ist eine Kulturzeitschrift der 68er-Bewegung.
Große Abendessen, eine Studierenden-WG als Literatursalon und neue, freiere Liebeskonzepte: Bei diesen Anfängen des Verlags und bei ersten Themen wie ‚Vernunft und Emanzipation‘ und ‚Gesichter der Gewalt‘ wird ersichtlich, dass der Verlag sich aus der Studentenbewegung speiste. Im Gegensatz zum Kursbuch aber finden Claudia Gehrke und Peter Pörtner, Japanologie-Professor und Mitbegründer:
„Es gibt nicht den einen richtigen Kurs, um politische und gesellschaftliche Ziele zu erreichen.“
Im ‚Konkursbuch‘ versuchten die damaligen Studierenden also, viele Perspektiven miteinzubeziehen. Das ‚Konkursbuch‘ war zunächst nur eine als Promotionsprojekt angedachte Zeitschrift in sieben Auflagen – dementsprechend ökonomisch riskant war der Ausbau zum Verlag. Doch der Konkurs blieb aus.
Ein Frauenverlag?
Auch den Kunstbegriff habe man erweitern wollen: „Es gibt nicht hohe Kunst auf der einen und schlechte Kunst auf der anderen Seite“, sagt Gehrke. Die Musik und andere Künste sollen bei diesem Verlag dementsprechend miteinbezogen werden: Veronika Otto begleitet den Abend auf der Pferdekopfgeige, dem Cello und dem Akkordeon, wozu sie – teilweise mit Obertongesang – singt. Weitere AutorInnen, die lesen, sind Sigrun Casper, Karin Rick und Erik Grawert-May.
Beim Konkursbuch-Verlag sind es tatsächlich hauptsächlich Autorinnen ohne großes ‚I‘: Etwa 89 % der LiteratInnen seien weiblich. So werden die Bücher des Verlags in Tübingen auch vor allem im Frauenbuchladen Thalestris sowie in den Osianderschen Buchhandlungen verkauft. Mit seinem hohen Frauenanteil passt der Verlag ideal zum diesjährigen Motto des Literatursommers Baden-Württemberg 2018, in dessen Rahmen das Jubiläum stattfindet. Das diesjährige Motto des Literatursommers lautet nämlich ‚Frauen in der Literatur‘. Ob Mann oder Frau, ob homo oder hetero, das sei dem Verlag jedoch letztlich egal. Wie auch Yoko Tawada liest: „Ich bin ein homo sapiens und heterolingual.“
Das Programm mit den weiteren Veranstaltungen des Literatursommers in Tübingen gibt es hier.
Fotos: Daniel Böckle