Was es für Studierende bedeutet, noch nicht volljährig zu sein und zu studieren
„Mama, unterschreibst du für mich?“ Die meisten von uns können sich kaum erinnern, wann sie diesen Satz zum letzten Mal gebraucht haben. Doch für drei Studierende aus Tübingen gehört das zum Alltag.
von Marina Schulz
Studieren mit 17 — Was bisher nur wenige Überflieger betraf, wird aufgrund von G8 zur Normalität. Bewerben, Immatrikulieren, Ausziehen — alles Dinge, die zum Studieren wie selbstverständlich dazu gehören und alles Dinge, die eine Unterschrift erfordern. Dabei ist uns gar nicht bewusst, wie schnell diese Kleinigkeit zu einem Hindernis werden kann.
Rohana ist 18 und studiert im zweiten Semester Chemie. Als sie mit 17 Jahren das Abitur machte, stand für sie bereits fest, dass sie sofort ihr Studium beginnen wollte. „Ich wusste schon seit der 8. Klasse, dass ich Chemie studieren möchte. Wieso sollte ich noch Zeit verschwenden?“. Das war allerdings nur möglich, weil ihre Eltern einverstanden waren, denn bereits bei der Bewerbung mussten sie ihre Einwilligung geben.
Mit der Immatrikulation ist die erste Hürde genommen, doch es folgen weitere: Mietvertrag unterzeichnen, Strom beziehen, einen Telefonanschluss bekommen, ein Konto eröffnen, eine Versicherung abschließen. Für all dies ist die Unterschrift der Eltern notwendig.
„Seit ich 18 bin, unterschreibe ich selbst, ohne darüber nachzudenken. Doch vorher war das nicht so einfach. Ich musste jedes Mal einen Stapel Papier nach Hause tragen. Zum Glück wohnen meine Eltern nicht weit weg“, erzählt Rohana.
Hüttenwochenende & WG — nicht ohne Mamas Okay
Rohana kennt die Probleme, die bei der WG-Suche auftauchen können. Die Besichtigung lief vielversprechend, man verstand sich gut, die Stimmung war locker, bis man auf ihr Alter zu sprechen kam. „Ich bin 17“, sagte sie und das Gespräch stockte. Nach einem kurzen Moment hatte sich ihr Gegenüber wieder gefangen, doch die Absage ließ nicht lang auf sich warten: „Wir fanden dich wirklich nett, aber leider bist du zu jung.“ Am Ende bekam sie ein Zimmer im Wohnheim, hier wurde sie aufgrund ihres Alters sogar bevorzugt behandelt.
Den Altersunterschied zwischen ihr und ihren Kommilitonen bemerkt Rohana kaum. Sie war schon in der Schule immer die Jüngste. Verwunderung und Staunen sind die häufigsten Reaktionen, wenn sie ihr Alter verrät. „Die meisten denken ich hätte eine Klasse übersprungen, oder fragen, ob mich das Studium überfordert, aber ich habe nie Bedenken aufgrund des Alters gehabt. Ich habe mich bereit gefühlt.“ Viele finden es selbstverständlich, dass Studierende schon älter als 18 sind, schließlich sind sie nicht mehr auf der Schule.
Auch Martin hat diese Erfahrungen gemacht. Er wurde schon mit vier Jahren eingeschult — dementsprechend früh war er mit der Schule fertig. Heute ist er 19 und studiert im dritten Semester Medizin. Zu Beginn seines Studiums stieß auch er auf unerwartete Hindernisse.
Für die Teilnahme am Hütten-Wochenende musste er seine Eltern um Erlaubnis bitten. „Ganz schön bitter“, erinnert er sich. Rohana durfte trotz des Einverständnisses ihrer Eltern gar nicht erst mit, die Verantwortung war der Fachschaft zu groß.
Andrang der 17-Jährigen hält sich in Grenzen
Der Ansturm junger Studierender auf die Uni Tübingen blieb bisher aus. „Seit dem Wintersemester 2012/13 haben sich drei Studierende an der Universität Tübingen eingeschrieben, die noch minderjährig sind“, kommentiert die Pressereferentin der Universität Tübingen, Antje Karbe. Deshalb habe die Universität momentan noch keine besonderen Betreuungsprogramme oder Beratungsstellen eingerichtet. Jedoch falle auf, dass Eltern sich zunehmend stärker für die Studienorganisation ihrer Kinder interessieren und diese auch zu Terminen der Studienberatung begleiteten.
Rohana empfindet ihren frühen Studienbeginn als Gewinn. Wenn sie ihr Studium in Regelstudienzeit beendet, hat sie aufgrund ihres Alters einen Vorteil auf dem Arbeitsmarkt. Falls ihr das Studium nicht gefällt und sie noch einmal das Fach wechselt, ist sie beim Bachelor kaum älter als ihre Kommilitonen.
Martin beurteilt den Studienbeginn mit 17 eher positiv, sieht aber noch Handlungsbedarf seitens der Hochschulen und der Politik. Das System sei noch nicht ausgereift. Wenn Abitur „Hochschulreife“ bedeute, dann müsse den Absolventen auch eine gewisse Reife und Selbstständigkeit zugetraut werden. Nach der Schule müsse man die Möglichkeit haben, diese Reife unter Beweis zu stellen. Momentan klaffe eine Lücke zwischen dem geforderten schnellen Abschluss und dem Spielraum, der den Jugendlichen eingeräumt werde, um diese Ausbildung auch nutzen zu können.