Über Kontaktanzeigen, Spotted und Verspotter
von Alexander Link
Ein Phänomen geht um in der Facebook-Welt. Es kursiert wie eine Grippe und verbreitet sich mit ähnlicher Geschwindigkeit. Seiten, die sich „spotted“ — zu Deutsch „entdeckt, bemerkt“ — taufen, entstehen in jeder größeren (Uni-) Stadt — auch in Tübingen.
Für die letzten Leute ohne Facebook eine Erklärung im Schnelldurchlauf: Eine schüchterne Person schreibt eine Nachricht an die Betreiber der Seite, sie habe den potenziellen Traumpartner beim Essen in der Mensa oder beim Schlafen im Brechtbau beobachtet und möchte diesen nun unbedingt treffen. Die Betreiber posten dann das versandte Gesuch anonym auf ihrer Seite. Mit Glück sieht der oder die Angebetete die Beschreibung, meldet sich auf den Eintrag, man kommt in Kontakt, heiratet, bekommt fünf Kinder und kauft einen Hund names „Bello”.
Die eigentliche Hilfe für Schüchterne zum Flirteinstieg hat sich jedoch schnell gewandelt: Die Spotted-Seiten nutzen viele als Plattform für Unsinn. Zwar sortieren die Betreiber die unseriösen Posts aus, doch ein Problem bleibt: Die Ansammlung von selbsternannten Komikern, Männerhelden und Neunmalklugen, die einfach alles kommentieren.
Natürlich sträuben sich bei der Rechtschreibung und den poetischen Versuchen gelegentlich die Nackenhaare. Aus „engagiert“ wird mal „angaschiert“ oder die „Frau mit dem Regenschirm” zur Venus stilisiert. Ja, Goethe hätte beim Lesen vieler Einträge seine Faust geballt — Vieles ist lyrisch peinlich und birgt ein Riesenpotenzial zum Fremdschämen. Aber was wir auch von Goethes Faust wissen: „Es irrt der Mensch, solang er strebt.“
Ein „Wäre cooler gewesen, hättest du sie/ihn mal direkt angesprochen“ wird den meisten Verfassern selbst klar gewesen sein. Dem sei erwidert: Der größte Anteil der klugen Sprüche kommt von den ganz männlichen Facebook-Freunden, die sich hinter ihrer digitalen Fassade sicher fühlen, ein paar Dreitagebart- und Bizeps-Bilder von sich publizieren und im Titelbild eine FC-Bayern-Gedächtnis-Kollage verewigen.
Immerhin gibt es inzwischen Seiten wie „Verspottet: Tübingen“. Dort kann sich jeder austoben, der ansonsten überflüssige Kommentare auf spotted verfasst hätte. Doch alle, die diese Alternative nicht nutzen wollen, mögen ab und an bedenken: Reden ist Silber, Schweigen…