Fluch oder Segen?

Internet an der Uni: zwei Professoren, zwei Meinungen

Unsere Dozenten haben „damals“ noch ohne Internet studiert. Wie gehen sie mit den neuen Medien um? Sehen sie darin Chancen oder Gefahren?
Wir haben mit Professor Dr. Reinhard Johler, dem Direktor des Ludwig-Uhland-Instituts für Empirische Kulturwissenschaft, und mit Professor Dr. Georg Braungart vom Lehrstuhl für Neuere deutsche Literatur gesprochen.

Professor Braungart, wie wichtig ist Ihnen das Internet im Unialltag?

In den Sitzungen ist es schon fast normal, online zu sein. Aber bei einer Diskussion stört das schon, wenn sich jeder hinter seinem Laptop abschottet. Deshalb habe ich einen Laptop, den ich zum Tablet umfunktionieren kann, dann habe ich nicht so eine Wand vor mir.
Was hat sich für die Studierenden verändert, seitdem alles über das Netz läuft?
Die Hörsäle haben Löcher bekommen: Man steht in ständigem Kontakt zur Außenwelt. Aber es gibt auch weiterhin Lerngruppen, das sehe ich ja an meinen Kindern. Studierende erleichtern sich die Informationsbeschaffung, machen bessere Präsentationen und kommunizieren mehr — aber den Kern der Uni, die intensive Diskussion, kann man nicht durch Skype oder so ersetzen. Insofern hat sich gar nicht so viel verändert.
Stört es Sie, wenn die Studierenden in der Vorlesung online sind?
Im persönlichen Gespräch ist das eine nervige Unsitte, ständig sein Handy hervorzuholen. In der Vorlesung stört mich das komischerweise kein bisschen. Ein Student hat mich mal im Seminar verbessert. Er hatte eine Jahreszahl mit dem Handy nachgeschaut. Das finde ich richtig so. Die Studierenden sollen ruhig kontrollieren, ob ich einen Unsinn erzähle oder etwas ergänzen. Seither frage ich öfter: „Kann das mal schnell jemand googlen?“
Viele Ihrer Vorlesungen stellen Sie als Audio-Datei online. Haben Sie keine Angst, dass der Hörsaal leer bleibt?
Das Thema muss packend und spannend sein, dann kommen die Studierenden von alleine. Ich weiß nicht, wie viele weggeblieben sind, seit sie wissen, dass ich die Vorlesungen auch hochlade. Aber der Hörsaal war am Anfang sowieso viel zu voll.
Könnten Sie sich vorstellen, ausschließlich über das Internet zu lehren?
Vor 15 Jahren, zu Zeiten des Internet-Hypes, dachte man, man könne nur noch über das Netz lehren, ganz ohne Personal. Didaktisch ist das Quatsch. Da ist emotional nicht mehr viel drin. Man muss schon aufpassen, dass die technische Apparatur die Kommunikation nicht entdynamisiert und ihr die Spontaneität nimmt.

Das Interview führte Veronika Wulf

Professor Johler, wie wichtig ist Ihnen das Internet im Unialltag?

Das Internet ist ein Instrument für die Vermittlung von Wissen, im Grunde ist es wie eine Bibliothek. Trotzdem ersetzt es diese nicht und darum ist es wichtig, das eine mit dem anderen verbinden zu können. Das Internet ist eine tolle Ergänzung, ich selbst besitze ein Smartphone und ein Tablet.
Was hat sich für die Studierenden verändert, seitdem alles über das Netz läuft?
Es gibt Studierende, die nicht einmal mehr wissen, wo die UB überhaupt zu finden ist. Dadurch verändert sich die Leseerfahrung.  Jeder Informationsträger hat seine Vorteile, man kann immer etwas daraus gewinnen, aber es geht auch oft etwas verloren.
Stört es Sie, wenn Studierende in Ihrem Seminar das Handy benutzen?
Für mich ist das einfach schade um die Zeit, da die Uni ein Ort  für konzentriertes Nachdenken ist. Man sollte sich als Student selbst fragen, wer man ist.  Denn wer während eines Seminars chattet, ist zwar körperlich anwesend, aber eigentlich woanders. Früher hat man herumgekritzelt, heute ist das Handy die Ablenkung. Der Unterschied liegt darin, dass das Handy eine Kommunikation nach außen ermöglicht.
Smartphones liefern schnelle Informationen, sollte man das nicht nutzen?
Natürlich — allerdings suchen die Studierenden, die in einem Seminar sitzen, nicht nach Informationen im Internet.  Das Smartphone wird meist nur zur privaten Kommunikation benutzt, was in dieser Situation da einfach nichts zu suchen hat.
Wie haben Sie vor Smartphone & Co die Seminare empfunden?
Die Seminare waren eine Gelegenheit, mit allen Beteiligten einen dichten Austausch zu praktizieren, wie bei der Papstwahl. Man hat den Seminarraum erst verlassen, wenn die Nuss geknackt war.
Internetgegner behaupten, dass der persönliche Kontakt durch die Medien verloren geht. Können Sie das bestätigen?
Ganz im Gegenteil, ich habe noch nie so viele Pärchen händchenhaltend in Tübingen umhergehen sehen. Die Realität holt letztendlich die Medien ein, denn Beziehungen finden nun einmal real statt!

Das Interview führte Lisa Wazulin

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