Beim „Speed-Dating mit der Kunst“

Sich auf Kunst einzulassen, genau das ist das Ziel von: „Speed-Dating mit der Kunst“. Für das von Frau Dr. Nicole Fritz, der Direktorin der Kunsthalle Tübingen, entwickelte Format, muss man kein Vorwissen mitbringen. Im Gegenteil bietet sich hierbei eine Möglichkeit, sich emotional auf Kunst einzulassen und diese neu zu entdecken. Kupferblau hat mit Frau Dr. Fritz gesprochen und war für euch beim Speed-Dating dabei.

Kupferblau: Es ist ein großes Anliegen der Kunsthalle Tübingen, eine „Kunsthalle für alle“ zu sein. Was für Konzepte und Formate entwickeln Sie, um dieses Ziel zu erreichen?

Dr. Fritz: Ganz viele. Wir wollen immer unterschiedliche Zielgruppen in den Blick nehmen. Mein Anliegen ist es, nicht für, sondern mit den Menschen gemeinsam entsprechende Angebote zu entwickeln. „Speed-Dating mit der Kunst“ ist etwas für alle Altersschichten. Es wird in Tübingen aber vor allem von Studenten angenommen, die übrigens bei uns donnerstags freien Eintritt haben und durch eine Kunstvermittlerin unterstützt werden, die am Werk ist und dort Rede und Antwort steht. Wir nennen das auch so: „Am Werk“.

Kupferblau: Was ist „Speed-Dating mit der Kunst“?

Dr. Fritz: Kunst ist erstmal etwas non-verbales, wir versprachlichen es nicht. Künstler agieren oft aus dem Bauch heraus und oft ist die Intuition am künstlerischen Prozess und auch am Ergebnis beteiligt. Wir nehmen Kunst nicht wie ein Buch rational auf, denn unsere Sinne sind beteiligt. Das wird in diesem Format gefördert. Insofern, dass ich am Beginn des Speed-Datings sage: Bitte lesen Sie nichts, sondern gehen Sie einfach nur durch die Ausstellung, lassen Sie sich nur durch Ihren Bauch leiten, wie beim Speed-Dating. Auf diese emotionale Ebene zu gehen, das heißt einfach zu schauen und zu spüren: was zieht mich an? Und auch: was gefällt mir eher nicht so gut? Das kann natürlich auch sehr spannend sein, einem die eigenen Grenzen aufzeigen.
In einem gemeinsamen Durchlauf erzählt dann jeder, welches Werk ihm besonders gefällt und warum. Wenn es nicht weitergeht, erzähl ich von meinem Lieblingswerk. Denn es soll ja auch eine Führung sein, die den roten Faden durch die Ausstellung legt. Aber meistens ist es ganz schön, wie sich alles ergänzt und wie jeder unterschiedlich auf Werke schaut. Ich finde an diesem Format „Speed-Dating“ für mich spannend, dass ich durch das Publikum auch neue Sichtweisen auf die Werke bekomme. Dieser Austausch ist mir sehr wichtig und auch bereichernd für die Kunstvermittlung.

Kupferblau: Wie kam es zu dem Namen „Speed-Dating mit der Kunst“?

Dr. Fritz: Ich mag es, quer zu denken. Und beim Speed-Dating – ich habe es selber noch nicht praktiziert, aber man kennt es aus Filmen – sitzt man sich ja gegenüber und es findet auf einer emotionalen Ebene statt. Genau so kann man einen Künstler, ein Bild, auf einer emotionalen Ebene erst mal „abspüren“. Das macht eigentlich jeder im Alltag, aber wenn es plötzlich heißt, das ist Kunst, steigen manche schon aus. Dabei ist es etwas Alltägliches und nichts Abgehobenes.

Kupferblau: Sie machen die Speed-Dating Führungen selbst. Was ist Ihre schönste Erinnerung an eine solche Führung?

Dr. Fritz: Ich habe die Führungen im Kunstmuseum Ravensburg entwickelt und bin jedes Mal wieder erstaunt. Was in meiner Erinnerung festgeschrieben ist: Einmal ist eine Frau vor einer Zeichnung, die unbewusste Traumfantasien in dunklen, düsteren Farben zeigte, richtig zurückgeschreckt. Sie hat total blockiert und dicht gemacht. Das fand ich spannend, dass jemand angesichts eines Werkes eine so emotionale Reaktion hat. Und ich glaube, das war auch für sie sehr spannend, das Erlebnis zu reflektieren.

Kupferblau: Das ist jetzt das erste Mal, dass diese Führung zur aktuellen Max-Pechstein-Ausstellung stattfindet. Freuen Sie sich?

Dr. Fritz: Ich freue mich immer darauf! Ich mag es sehr, mit dem Publikum in Dialog zu treten, weil ich meine Ausstellungen für das Publikum mache. Und wenn ich viel Stress habe beim alltäglichen Organisieren von Ausstellungen, gebe ich gerne Führungen, dann weiß ich wieder, wofür ich meinen Beruf mache.

Nicole Fritz, Direktorin und Vorstand der Stiftung Kunsthalle Tübingen. Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Kunst als etwas Non-verbales, Emotionales wahrnehmen

Nach dem Gespräch geht es direkt zum „Speed-Dating mit der Kunst“ im Rahmen der aktuellen Ausstellung „Tanz! Max Pechstein: Bühne, Parkett, Manege“, die seit dem 30. November in der Kunsthalle Tübingen zu sehen ist. Ich weiß aufgrund des vorangegangenen Gesprächs bereits, was mich grob erwarten wird, habe die Ausstellung selbst aber noch nicht besucht.

Dr. Nicole Fritz erläutert in einer kurzen Einführung auch den restlichen Teilnehmern, wie das Format funktioniert und wie die Führung ablaufen wird. Es handelt sich um eine bunt gemischte Gruppe: Einzelpersonen, Ehepaare, Freunde und Kollegen. Nach der Einführung bekommen die Teilnehmer einige Minuten Zeit, um durch die Ausstellung zu schlendern, sich die Exponate anzuschauen und sich ein Lieblingsbild auszusuchen. Frau Dr. Fritz weist zuvor explizit darauf hin, nichts zu lesen und einfach nur die Werke auf sich wirken zu lassen. Man hat auch nicht wirklich Zeit, sich die beigefügten Informationen durchzulesen und konzentriert sich tatsächlich einfach nur auf die Bilder und deren Wirkungen.

Diese Bilder diskutierten wir beim „Speed-Dating“ lange. In der Mitte mein Lieblingsbild der Ausstellung.

„Keine Angst haben, sich darauf einzulassen“

Danach treffen sich alle wieder im Foyer. Gemeinsam geht man durch die Ausstellung und bespricht, warum wer welches Bild ausgewählt hat. Man muss hierfür auch wirklich keine Ahnung von Kunst oder den angewandten Techniken haben. Ein schlichtes „Es ist einfach schön“ reicht vollkommen. Frau Dr. Fritz hilft einem dann dabei, herauszufinden, warum das Bild als schön empfunden wird. Sie weist auf die Farbgebung, die Schatten, die Konturen hin und es entsteht vor jedem Bild ein kleiner Dialog. Dabei wird nicht nur über die Techniken gesprochen, in erster Linie geht es tatsächlich um die Emotionen, die die Bilder bei den Betrachtern auslösen. Um die Stimmung, die das Bild vermittelt, um das dargestellte Motiv und, bei dieser Ausstellung, besonders um die festgehaltene Bewegung.

Wir schaffen es tatsächlich durch die ganze Ausstellung, die chronologisch angeordnet die Darstellung von Tanz und Bewegung im Expressionismus thematisiert. Durch die offene Art der Kunsthallen-Direktorin und der anderen Teilnehmer fällt es auch nicht schwer, sich selbst zu öffnen und über sein Lieblingswerk zu sprechen. Es handelt sich um eine lockere Führung, die einem nicht das Gefühl vermittelt, Vorwissen mitbringen zu müssen. Man lässt sich auf eine andere Art und Weise auf die Kunst ein. Aus einem Bauchgefühl heraus.

Das nächste Speed-Dating findet am 10. März 2020 um 16.30 Uhr statt.
Teilnahmegebühr: 5€ zzgl. Eintritt.
Eine Voranmeldung per E-Mail (info@kunsthalle-tuebingen.de) oder telefonisch (07071 9691 12) ist erwünscht.
Die Ausstellung „Tanz! Max Pechstein: Bühne, Parkett, Manege“ läuft noch bis zum 15. März 2020.

Fotos: Titelbild und Bild 2: Heike Beirle; Bild 1: Sebastian Gollnow/dpa

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