Früher hightech, heute ein Ort des Staunens: Die Tübinger Sternwarte. Wir haben dem markanten Gebäude mit dem Kuppeldach einen Besuch abgestattet. Warum wir nur einen Bruchteil des Naturschauspiels am Sternenhimmel sehen können, was es mit einem Feuerball in der Neuen Aula auf sich hat und welcher Berühmtheit die Sternwarte ihr Teleskop verdankt, erfahrt Ihr hier.
Mittwochnachmittag, kurz nach halb drei. Mitten im Technologiepark Tübingen-Reutlingen fällt ein Gebäude irgendwie aus der Norm. Keine hohe, mit dunklem Glas verkleidete Fassade, kein Flachdach und auch keine Start-Ups als Mieter. Wo die Sternwarte Tübingen einst noch inmitten der Natur stand, ist sie heute umringt von modernen Technikbauten und wirkt mit ihrem historischen Kuppeldach etwas aus der Zeit gefallen. Denn wo heute an der Technologie von morgen gearbeitet wird, hat sich in der Sternwarte seit ihrer Erbauung 1956 nicht viel geändert. Dennoch oder gerade deswegen ist sie auf jeden Fall einen Besuch wert.
Ein Blick über den Tellerrand
„Unser Teleskop hat eine besondere Geschichte“, erklärt Wolfgang Wettlaufer, Diplom-Biologe und Pressereferent der Astronomischen Vereinigung Tübingen e.V. an diesem Nachmittag. „Genau genommen handelt es sich um einen Refraktor von ZEISS JENA mit einem Objektivdurchmesser von 30cm im Hauptrohr und einer Brennweite von 5m, welches 1924 gebaut wurde. Das Interessante ist aber, dass das Teleskop bevor es zu uns nach Tübingen kam dem Nobelpreisträger Carl Bosch gehörte, der es auch 1923 bei ZEISS JENA bestellt hatte“. Seit seinem Umzug nach Tübingen ermöglicht das Teleskop den Besuchern der Sternführungen einen Blick über den Tellerrand zu werfen und sich wie die Astronomen vor knapp hundert Jahren zu fühlen. Seit einiger Zeit besitzt die Sternwarte Tübingen aber auch ein kleines Sonnenteleskop, mit dessen Hilfe jeden Sonntag um 11 Uhr Sonnenführungen angeboten werden.
„Wir haben zurzeit ein Sonnenflecken-Minimum“, erklärt Wettlaufer im Bezug auf die Führungen. „Mit etwas Glück kann man aber, bei klarem Himmel, trotzdem den einen oder anderen beobachten“. Sonnenflecken können durch ein Sonnenteleskop oder mit einem normalen Teleskop durch die Zuhilfenahme einer Projektion des vergrößerten Sonnenbilds auf einem Schirm sichtbar gemacht werden. Der Grund: Es handelt sich dabei um dunkle Flecken auf der Sonne, die weniger Licht als der Rest der Sonnenoberfläche abstrahlen und häufig die Größe unserer Erde übertrumpfen. „Dabei ist es aber elementar, dass niemand direkt in ein normales Teleskop schaut“, so der Hobby-Astronom. „Das Sonnenlicht wird nämlich so stark gebündelt, dass es ohne Probleme ein Blatt Papier in Brand setzten oder einen Menschen erblinden lassen könnte“.
Aufnahmen eines Sonnenflecks im Vergleich zur Größe der Erde. (Quelle: NASA, 05-11.06.2017)
Aber auch bei den Sternenführungen gibt es viel zu lernen. So zum Beispiel auch die Tatsache, dass wir bei Weitem nicht alle Sterne am Himmel sehen, sondern hauptsächlich die blauen und roten Riesensterne mit bloßem Auge wahrnehmen können. Dieses Phänomen verdanken wir der Masse-Leuchtkraft-Beziehung, denn „je mehr Masse ein Stern besitzt, desto größer ist seine Leuchtkraft“, erklärt Wettlaufer. Die Riesensterne sind also groß genug um eine Leuchtkraft zu entwickeln, die wir ohne Hilfsmittel wahrnehmen können. Die roten Zwergsterne, welche in der Anzahl am häufigsten vorkommen, sind hingegen zu lichtschwach.
Eine zweite Kopernikanische Wende
Auch Studierenden außerhalb der Astrophysik sollte die Kopernikanische Wende ein Begriff sein. Schließlich gelang es Nikolaus Kopernikus 1543 das Geozentrische Weltbild, in dem die Sonne um die Erde kreist, zu widerlegen und stattdessen das Heliozentrische Weltbild, in dem die Erde um die Sonne kreist, zu etablieren. Allerdings dauerte es noch einige Zeit bevor sich seine Entdeckung durchsetzte, was zu einem erheblichen Teil der Kirche geschuldet war. Trotz alledem bezeichnet man die Verschiebung der Weltbilder bis heute als die Kopernikanische Wende.
Ungefähr den gleichen revolutionären Einfluss hatte Edwin Hubble als er feststellte, dass es sich bei einem Nebelfleck im Sternbild Andromeda in Wirklichkeit um eine weit entfernte Galaxie handelte. Er begann die Entfernungen einiger weiterer Galaxien abzuleiten und publizierte schließlich 1929 seine Erkenntnisse, nach welchen sich unsere Milchstraße nicht etwa in der Mitte des Universums befindet, sondern nur ein kleiner Teil des unendlichen Weltalls darstellt. „Ich bezeichne diesen Moment gerne als zweite Kopernikanische Wende“, erläutert Wettlaufer, „schließlich hatte die Entdeckung des Andromedanebels als eigenständige Welteninsel in etwa den gleichen Effekt“.
Die Sonne in der Neuen Aula
Neben den wissenschaftlichen Vorträgen sowie den Stern- und Sonnenführungen für Erwachsene bietet die Sternwarte auch Führungen für Kinder an, in denen alles etwas anschaulicher und einfacher erklärt wird. Doch auch für Studierende können die Vergleiche durchaus interessant werden: „Nehmen wir an unsere Erde hat einen Durchmesser von zwölf Zentimetern“, sagt Wettlaufer und hält dabei das passende Modell nach oben, „dann ist dieser kleine Tischtennisball unser Mond. Wie wir ja vorher bei Kopernikus gelernt haben, dreht sich die Erde um sich selbst und der Mond wiederum um die Erde. Wenn wir also unserem Maßstab treu bleiben beträgt der Abstand zwischen Mond und Erde vier Meter“. Er deutet an das andere Ende des Raumes. „Und diese beiden drehen sich dann gemeinsam wiederum um die Sonne, welche wir bei diesem Maßstab mit einem Durchmesser von 13 Metern ungefähr mitten in der Neuen Aula finden würden“.
Kommt vorbei!
Wer nun Lust auf weitere anschauliche Vergleiche mit brennenden Feuerbällen in der Neuen Aula bekommen hat oder einfach mal seine astronomische Seite ausleben möchte, kann zu einem der bevorstehenden Wissenschaftsvorträge in die Sternwarte kommen. Wem der Sinn eher nach einer Führung steht ist im Sommer mit den Sonnenführungen (Sonntag, 11 Uhr) bestens bedient. Die Sternführungen finden aufgrund der spät einsetzenden Dunkelheit in der Sommerpause nicht statt, ab Mitte September finden sie aber wieder mittwochs und samstags jeweils um 20 Uhr statt. Bei Fragen kann die Sternwarte auch jederzeit per E-Mail an info@sternwarte-tuebingen.de oder Wolfangang Wettlaufer direkt an wolf.wet@web.de kontaktiert werden.
Bilder: Wolfgang Wettlaufer