„Akzeptanz sexueller Vielfalt“

Seit einigen Wochen ist der baden-württembergische Bildungsplan 2015 in fast aller Munde. Dazu beigetragen hat vor allem die Petition „Zukunft-Verantwortung-Lernen: Kein Bildungsplan 2015 unter der Ideologie des Regenbogens“. Ins Leben gerufen wurde sie von dem Realschullehrer Gabriel Stängle. Seitdem hat sie viele verschiedene Reaktionen hervorgerufen.

Wirft man einen Blick in die Ausarbeitung des Bildungsplans 2015, so sind dort, neben anderen Inhalten, fünf Leitprinzipien aufgelistet: Berufliche Orientierung, Bildung für nachhaltige Entwicklung, Medienbildung, Prävention und Gesundheitsförderung und Verbraucherbildung. All diese Leitprinzipien sollen unter anderem auch unter dem Gesichtspunkt der sexuellen Vielfalt betrachtet werden. Dass dieses Thema unter Studentinnen und Studenten diskutiert wird, beweisen zum einen die Abreißzettel, die gerade an vielen Tübinger Laternen zu finden sind und zum Unterzeichnen einer Gegenpetition auffordern und zum anderen die Meinungen, die wir gesammelt haben und euch nun hier vorstellen.
Verwunderlich ist das Interesse nicht, da sich gerade viele der angehende Lehrerinnen und Lehrer mit diesem Thema direkt konfrontiert sehen. Deshalb haben wir nachgefragt, wie Studentinnen und Studenten zu dem Entwurf des Bildungsplans stehen und was sie von der Petition „Zukunft-Verantwortung-Lernen: Kein Bildungsplan 2015 unter der Ideologie des Regenbogens“ halten. Um ehrliche Antworten zu bekommen, haben wir beschlossen, die Meinungen anonym einzuholen und lediglich Geschlecht und Studiengang zu nennen.
Lehramtsstudentin Chemie, Biologie, Geographie:
„Die ganze Debatte beruht meiner Meinung nach auf einem großen Missverständnis, nämlich dem des Einreichers der Petition. Er interpretiert in den Bildungsplan zu viel hinein. Wenn man seine Petition durchliest, bekommt man ja den Eindruck, es gebe demnächst das Fach „Sexuelle Umerziehung“. Ich kann deshalb verstehen, wenn die Leute unterzeichnen. Das Ganze hat aber wenig mit dem tatsächlichen Bildungsplan zu tun, der neben religiöser und ethnischer Vielfalt nun eben auch sexuelle Vielfalt aufgreift und damit näher an die alltägliche Erfahrungswelt der SuS heran tritt – was definitiv Unterstützens wert ist.“
 
 
Lehramtsstudentin Geschichte, Englisch, Philosophie:
 
Ich finde den vorgeschlagenen Bildungsplan generell gut. Die Idee der Kritiker, dass das Ganze nur „Indoktrination“ von Kindern/SuS sei, halte ich für ziemlich heterosexistisch.
Heterosexuelle Beziehungsformen mögen zwar die dominanten sein, aber alle anderen als eine Art
„vom Normalen abweichende Ideologie“ hinzustellen, finde ich ziemlich fragwürdig. Diese Menschen deswegen einfach zu verschweigen ist ganz offensichtlich diskriminierend.
Etwas, das die Kritiker ja anscheinend auch nicht wollen: „Wir unterstützen das Anliegen,
Homosexuelle, Bisexuelle, Transgender, Transsexuelle und Intersexuelle nicht zu diskriminieren.
Bestehende Diskriminierung soll im Unterricht thematisiert werden. (D)er Aktionsplan schieß(t)
jedoch über das Ziel der Verhinderung von Diskriminierung hinaus.“ Dabei vergessen sie aber, dass
„Diskriminierung“ nicht nur so extreme Versionen wie Gewalt gegen bestimmte
Personen/-gruppen bedeutet, sondern eben auch etwas als „unnormal“ hinstellt. Man schaue in Schulen, wo „Schwuchtel“ oder „schwul“ immer noch ziemlich alltägliche Beleidigungen
sind. Und Kindern eben nur beizubringen, dass „das andere auch ok“ ist, ist nicht der richtige Weg, der zu weniger Diskriminierung führen würde. Nur wirkliches Verständnis könnte dies erreichen.“
 
 
Lehramtstudentinnen Spanisch, Englisch und Deutsch, Politik:
 
„Man könnte „Akzeptanz von sexueller Vielfalt“ durch „Akzeptanz von individueller Vielfalt“ ersetzen. Individuelle Vielfalt würde dann z:B. sexuelle Vielfalt, Behinderung und religiöse Orientierung beinhalten.
Die Petition kann unterschiedlich aufgefasst werden, zum einen so, dass sexuelle Vielfalt nicht toleriert wird, zum anderen so, dass der Fokus nicht ausschließlich auf dem Thema „Akzeptanz von sexueller Vielfalt“ liegen sollte, sondern auch andere, wichtige Themen berücksichtigt werden müssten.
Die Petition ist sehr missverständlich, weshalb eine neue, konkrete Petition gestartet werden sollte, die klarstellt, dass keine Ablehnung der Akzeptanz sexueller Vielfalt gemeint ist, aber andere Themen ebenso wichtig sind.“
 
 
Master-Studentin Geographie:
 
„Die Änderung des Bildungsplans ist hervorragend und die Petition finde ich bedenklich.“
 
 
Lehramtsstudentin Geographie, Französisch:
 
„Die Änderung des Bildungsplans ist eine gute und wichtige Idee. Ich kann aber verstehen, woher die Argumentation des Petitionsstellers kommt. In der Landesverfassung steht, dass die Familie einen besonderen Schutz verdient und die Definition von Familie ist im Gesetz Vater, Mutter, Kind. Deshalb schafft der Bildungsplan im Moment eine Realität, die so noch nicht existiert.“
 
 
Lehramtsstudentin Biologie, Geographie:
 
„Ich stehe voll und ganz hinter dem geplanten Bildungsplan der Landesregierung, weil ich Homosexualität als zur Gesellschaft zugehörig ansehe und sie aus fachlicher Sicht auch für natürlich halte. Dementsprechend halte ich von der Petition gar nichts.“
 
 
Studentinnen der Medienwissenschaften:
 
„Ohne genau zu wissen, welche Inhalte der Bildungsplan beinhaltet, klingt der Name der Petition unseriös und homophob, wie eine klischeehafte und abwertende Metapher.
Trotzdem ist es wichtig, dass die „Akzeptanz sexueller Vielfalt“ in einem natürlichen Rahmen geschieht und nicht durch Zwang und in einer künstlichen Atmosphäre, damit es von den Kindern auch als natürlich wahrgenommen werden kann.“
 
 
Student der Humanmedizin:
„Zu dem Bildungsplan 2013 habe ich mir noch keine direkte Meinung gebildet, allerdings finde ich die Inhalte und Argumente der Petition zu einseitig.“
 
 
Lehramtsstudent Englisch und Geschichte:
 
„Ich halte es für Quatsch, weil diese Petition fordert, dass lediglich ein Modell unter vielen hervorgehoben wird. Dies ist in höherem Maße ideologisch und undemokratisch, da verschiedene Lebensmodelle ausgeschlossen werden sollen. Wer Angst davor hat, dass in Zukunft nur noch homosexuelle unser Land bevölkern, impliziert erstens, dass Heterosexualität änderbar ist, was ebenso wie bei Homosexualität nicht zutrifft und zweitens, dass im direkten Vergleich Homosexualität viel attraktiver ist, was natürlich so auch nicht stimmen kann.“
 
 
Student der Humanmedizin:
 
„Ich finde das Vorhaben der Landesregierung super. Auch aufgrund von Erfahrungen in meiner eigenen Schulzeit, bin ich der Meinung, dass dieses Thema viel zu wenig in der Schule angesprochen wird. Ich hatte vielmehr den Eindruck, Lehrer würden dem Thema ausweichen und die Verantwortung auf andere Kollegen/Fächer abtreten. Durch die Pläne der Regierung, das Thema fächerübergreifend zu priorisieren, erhoffe ich mir ein größeres Verantwortungsbewusstsein der Lehrer.“
 
 
Studentinnen der Rechtswissenschaft:
 
„Für die Petition spricht die Orientierung am Artikel 3 Grundgesetz (Gleichheit vor dem Gesetz) in Verbindung mit Artikel 6 Ehe und Familie, die Vorwegnahme der elterlichen Erziehung, die Überbetonung einzelner Gruppen und ihrer Interessen und die Ausgrenzung von Alter, Geschlecht und Religion, Herkunft, Behinderung und so weiter.
Gegen die Petition spricht die Minderung der Diskriminierung mit Blick auf die Gewaltprävention und der Aspekt, dass die Gesellschaft immer offener wird, auch gegenüber „kritischen“ Themen.“

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