Immer wieder entzünden sich Diskussionen in Tübingen zum Thema Tierversuche in der Wissenschaft. In den vergangenen zwei Jahren verschärfte sich der Ton der Debatte weiter, nachdem ein Video aus den Versuchslaboren des Max-Planck-Instituts auftauchte. Der Tag der offenen Tür am Max-Planck-Institut bot deshalb Gelegenheit sich zu informieren – und zu demonstrieren.
Am Tübinger Max-Planck-Institut (MPI) für biologische Kybernetik werden zu Forschungszwecken Versuche an Nagetieren und nicht-humanen Primaten durchgeführt. Diese werden von Tierschützern als unnötig, schmerzvoll und auf wirtschaftliche Gewinne ausgerichtet bezeichnet. Als Reaktion auf den Tag der offenen Tür an den Max-Planck-Instituten Mitte Juni kam es erneut zu Protesten, an denen auch Studierende teilnahmen. Vermeintlich selten hört man hingegen die Sicht der Wissenschaftler.
Grundlagenforschung wie sie am MPI für biologische Kybernetik durchgeführt wird, kommt im Idealfall allen Menschen zu Gute, auch wenn die großen Erfolge erst Jahre später zu erkennen sind. Professor Dr. Klaus Scheffler, Leiter der Abteilung für Hochfeld-Magnetresonanz am MPI erklärt, an was seine Abteilung forscht:
„Wir versuchen mithilfe von Magnetresonanztomografie dem Gehirn beim Denken zuzuschauen. Wenn neuronale Prozesse im Gehirn ablaufen, müssen die Nervenzellen mit Energie versorgt werden. Durch den erhöhten Energiebedarf ändert sich der Blutfluss im Gehirn und den können wir messen.“ Die Experimente werden zum Großteil an Menschen durchgeführt, allerdings sind die Forscher auf Ergebnisse aus tierexperimentellen Versuchen anderer Wissenschaftler angewiesen.
Tierforschung kann Leben retten
So sollen zukünftig mittels Magnetresonanztomografie die Methoden zur besseren Früherkennung von neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer, neurologischen Erkrankungen wie Multipler Sklerose sowie Krebserkrankungen verbessert werden. Aktuell seien Tierversuche in vielen Forschungsbereichen noch immer unverzichtbar. Gleichzeitig sind sich die Forscher der gesellschaftlichen Explosivität des Themas bewusst.
„Die nicht-invasiven Verfahren, die man beim Menschen anwenden darf, wie z.B. MRT oder EEG, geben einfach wesentlich weniger und qualitativ andere Informationen als invasive Messungen [an Tieren; Anm. d. Autors]. Denn die Aktivität von Neuronen kann dabei nur indirekt gemessen werden, eine direkte Ableitung ist nur invasiv möglich.“
Ein Dilemma
Der Großteil der Gesellschaft möchte möglichst genaue Früherkennungsmethoden, das bestmögliche Medikament genaue und nicht-gesundheitsschädliche Messverfahren. Das Dilemma ist, so Scheffler, dass zu wenig sachlich über Tierversuche diskutiert werde. „Es ist ein wichtiger Teil von wissenschaftlicher Arbeit, zu prüfen, ob ein Tierversuch notwendig ist, oder durch eine passende Alternativmethode ersetzt werden kann.“ Allerdings sind viele Alternativmethoden noch in der Testphase und können erst in ein paar Jahren routinemäßig eingesetzt werden. An der Entwicklung einiger dieser Alternativverfahren sind auch Tübinger Forscher beteiligt.
Der Dialog fehlt
Scheffler ist außerdem der Meinung, dass sich die meisten ein einseitiges Urteil über das Thema bilden. „Ein Dialog zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit ist dringend nötig“, meint der renommierte Physiker, der seit Februar an einem EU-Projekt zur Verbesserung der Früherkennung von Krebstumoren beteiligt ist, das mit 5,8 Millionen Euro gefördert wird.
Die Tierschützer der „SOKO Tierschutz“ werfen dem Institut immer wieder nicht vorhandene Transparenz vor und fordern das Ende der Tierversuche. Ende 2016 werden die Experimente mit Primaten der Abteilung „Physiologie kognitiver Prozesse“ von Prof. Logothetis am MPI für biologische Kybernetik in Tübingen eingestellt. Nicht nur der Druck der Medien wurde zu viel, Logothetis bemängelt auch, dass die wissenschaftlichen Organisationen öffentlich nicht energisch genug aufgetreten sind. Auch Scheffler ist der Meinung, dass die Diskussion in den letzten zwei Jahren zu einseitig geführt worden sei und man kaum Stimmen für Tierversuche gehört habe.
Es wäre an der Zeit, die Debatte sachlich zu führen und über die angemessene Nutzung von Tieren zur Erforschung des menschlichen Organismus zu diskutieren. Eine Forschung, deren Ergebnisse aufgrund der Art und Weise, wie sie gewonnen werden, als ethisch nicht korrekt empfunden werden, ist schwer zu begründen, weil ihr Nutzen nicht anerkannt wird.
Siehe auch Kupferblau-Bericht: PROTESTZUG GEGEN TIERVERSUCHE
Titelbild: Marko Knab