Kaum ein Thema spaltet die Tübinger Studierenden so sehr wie ihre Ansichten über Studentenverbindungen in der Stadt. Das Stadtmuseum hat dazu die Ausstellung „Bürger und Burschen – 200 Jahre Tübinger Studentenverbindungen“ ins Leben gerufen, welche am Freitag den 15. Juli 2016 festlich im Kinosaal des Löwen eröffnet wurde. Sie soll Licht in die scheinbar mystische Welt der Verbindungen bringen.
Der Saal des Löwen ist randvoll, auch zum Stehen bleibt nicht mehr viel Platz. Der Abend ist besonders bunt- viele der Besucher auf den roten Kinosesseln tragen Bänder und Kopfcouleur (traditionelle Mützen) in den Farben ihres Bundes. Das Interesse an der Veranstaltung scheint primär auf der Seite der Verbindungsstudenten zu sein, nur vereinzelt besetzen andere Studierende und Bürger die Reihen.
Vor 25 Jahren hätte Dagmar Waizenegger, Leiterin des Fachbereichs Kunst und Kultur, es nicht für möglich gehalten diese Ausstellung zu eröffnen. Sie selbst hatte ein kritisches Bild gegenüber Verbindungsstudenten und war zu dieser Zeit Teil der Gegenbewegung, vor allem an Tagen wie dem 1. Mai. Der scharfe Blick ist geblieben, dennoch sieht sie nun auch positive Aspekte, wie das Prinzip des Lebensbundes, Freundschaft und Zusammenhalt. Sie nimmt die Zuhörer mit auf einen kleinen Exkurs durch die Geschichte der Verbindungsstudenten der letzten 200 Jahre und schnell wird klar, dass diese immer in Zusammenhang mit der jeweiligen Zeit und den Umständen gesehen werden sollten.
Darstellung aller Ansichten
Auch die Leiterin des Stadtmuseums Wiebke Ratzeburg spricht von zwei Sichten auf die Verbindungswelt: Die positive Innensicht, die großteils nur von Mitgliedern einer Verbindung wahrnehmbar ist und die negative Außenansicht durch die Öffentlichkeit, häufig geprägt durch Vorurteile, Klischees, Feindbilder und Stereotypen. Beide Betrachtungsweisen sollen in der Ausstellung zugänglich gemacht und kritisch reflektiert werden. Dennoch sei das Forschungsfeld noch längst nicht erschöpfend beleuchtet und es herrscht „Vorfreude auf weitere gemeinsame Projekte“.
Die Verbindungsseite wurde zur Eröffnung von Andreas Strecke, Mitglied der Landesmannschaft Schottland und Vorsitzender im Arbeitskreis Tübinger Verbindungen, vertreten, der die Ausstellung als einzigartig für Tübingen, aber auch bundesweit, ansieht. Er greift vor allem die Problematik des Nationalsozialismus auf und kommt zu dem Schluss, dass es zu dieser Zeit durchaus Nazis in den Häusern gab, aber auch nicht mehr oder weniger als in der „normalen“ Bevölkerung. Zudem betont er, dass Verbindungsstudenten zu dieser Zeit durchaus auch im Widerstand aktiv waren.
Gegen Vorurteile und Klischees
Die Besonderheit des Projektes liegt in seiner Entstehung: Hier haben Tübinger Verbindungsstudenten, studentische Praktikanten, das Stadtmuseum und der Arbeitskreis Tübinger Verbindungen eng zusammengearbeitet und ihre Expertise und Erfahrungen kooperativ ausgetauscht. Auch Marvin Gedigk, Mitglied der AV Cheruskia und Masterstudent der Geschichtswissenschaft, arbeitet seit August 2015 am Ausstellungskonzept mit. Nicht nur sein persönlicher Bezug zur Thematik, sondern auch sein zukünftiger Berufswunsch motivierten ihn zur Arbeit als Projektleiter. Ihm ist vor allem wichtig, die Vielfalt der Verbindungen und den Entwicklungsprozess innerhalb dieser aufzuzeigen. Diese lassen sich nicht alle über einen Kamm scheren, es ist notwendig zu unterscheiden zwischen Burschenschaften, Corps, Damenverbindungen, gemischten Verbindungen, konfessionellen Verbindungen, christlichen Verbindungen, Landsmannschaften, Musischen Verbindungen, Sängerschaften und Turnerschaften.
Transparenz und Vielfalt
Dies war auch Anne-Jacqueline Schneider zunächst neu. Sie hat als Praktikantin die Ausstellung mitgestaltet und freut sich, dass es nun eine Plattform gibt, welche die Thematik transparent und offen der Öffentlichkeit präsentiert. Die Masterstudentin der Empirischen Kulturwissenschaft verweist mit einem Augenzwinkern auf den Verbind-o-mat im Eingangsbereich des Museums, der einen herausfinden lässt, zu welcher Verbindung man am besten passen könnte. Die eigentliche Ausstellung befindet sich im obersten Stockwerk, dort wechseln sich originale Ausstellungsexponate mit Informationstafeln, Video- und Tonmaterial ab. Noch bis 8. Januar 2017 kann man diese in Form einer vielfältigen, kritischen und reflektieren Ausstellung besichtigen.
Weitere Informationen:
Adresse: Kornhausstraße 10, 72070 Tübingen
Öffnungszeiten: Di- So, 11-17 Uhr, Führungen nach Absprache
Kosten: 2,50 Euro Eintritt, Zugang zum gesamten Stadtmuseum
Fotos: Marko Knab