oder wie der Studierendenvertretung die Zähne gezogen wurden
Um „den Sympathisantensumpf des Terrorismus aus[zu]trocknen“ hat Baden-Württemberg die verfasste Studierendenschaft 1977 abgeschafft. Damit ist der AStA als Interessensvertretung aller Studierenden an der Uni quasi machtlos geworden. Trotz langjähriger Proteste hat sich daran bis heute nichts geändert.
von Fabian Everding
Wer in Tübingen über Hochschulpolitik spricht, der wird früher oder später Begriffen wie der „verfassten Studierendenschaft“ oder dem „kAStrA“ begegnen. Beides hängt direkt zusammen, denn der „kastrierte AStA“ („kAStrA“) ist übrig geblieben, nachdem die verfasste Studierendenschaft abgeschafft wurde. Verantwortlich dafür ist der ehemalige NS-Marinerichter Hans Filbinger, der im November 1977 als Ministerpräsident von Baden-Württemberg „den Sympathisantensumpf des Terrorismus austrocknen“ wollte, den er bei den ASten vermutete.
Der sogenannte „Deutsche Herbst“ hatte gerade seinen Höhepunkt erreicht, der „bewaffnete Widerstand“ der „Roten Armee Fraktion“ (RAF) gipfelte in verschiedenen Anschlägen auf prominente Vertreter des kapitalistischen Systems und die Zeit schien günstig für eine Beschneidung studentischer Rechte. Terroristische Anschläge werden nun mal nicht erst seit dem Anschlag auf das New Yorker World Trade Center gerne benutzt, um demokratische Grundrechte einzuschränken.
„Wenn es uns gelänge, mit dem RCDS [die CDU-nahe Hochschulgruppe, d. Red.], der Jungen Union oder der Schüler-Union die ASten zu besetzen, wäre die Lage anders“, ließ der CDU-Politiker damals durchblicken. Nichts gegen eine Studierendenvertretung, aber unsere Position sollte sie vertreten!
Mit der Abschaffung haben die Studierenden im Ländle wesentliche Mitbestimmungsrechte an den Hochschulen verloren. Auch Geld für politische Kampagnen steht kaum mehr zur Verfügung. Den Bayern geht es ähnlich, wobei die Abschaffung dort schon 1973 beschlossen wurde. Und so erklärt sich die skurille Situation, dass politische Kampagnen an den Hochschulen der beiden reichsten Bundesländer von den ASten im restlichen Land finanziert werden – eine Form praktischer Solidarität der sogenannten „Nord-ASten“ mit dem unterdrückten Süden. Bundesweite Kampagnen etwa gegen Studiengebühren werden meist vom „freien Zusammenschluss von Studierendenschaften“ (fzs) finanziert. Diese gemeinsame Organisation vieler ASten in Deutschland bezieht ihre Gelder direkt aus Mitgliedsbeiträgen, die die Studierenden in den 14 anderen Bundesländern zahlen.
Historische Entwicklung
Eingeführt wurde die verfasste Studierendenschaft nach dem zweiten Weltkrieg von den West-Alliierten. Die Studierenden sollten lernen, sich demokratisch für die Gesellschaft zu engagieren, weshalb auch die Beschäftigung mit allgemeinpolitischen Themen ausdrücklich erwünscht war. Das änderte sich in den 60er Jahren, als die Stimme der Studierenden angesichts von Notstandsgesetzen und Vietnamkrieg immer kritischer wurde.
Die Politik reagierte: Die verfasste Studierendenschaft wurde zur Ländersache erklärt, im Hochschulrahmengesetz von 1976 nur noch als kann-Bestimmung aufgenommen und eine Trennung zwischen allgemeinpolitischem und hochschulpolitischem Mandat konstruiert. Damit konnten die Länder ihre ASten wahlweise ganz abschaffen oder dazu verpflichten, sich nur noch hochschulpolitisch zu äußern.Viele Länder schränkten Ihre Studierendenvertretungen mit der neuen Gesetzgebung auf die Hochschulpolitik ein, im Süden wurden die ASten gleich ganz abgeschafft.
Dass es auch nach 1977 noch einen Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) gibt, der dreisterweise unter dem gleichen Namen firmiert, ist reiner Etikettenschwindel: Dieser sogenannte AStA ist nur ein Unterausschuss der Uni-Senats und kein Organ einer verfassten Studierendenschaft. Seine Entscheidungen werden damit faktisch vom Rektorat durchgesetzt, sofern sie zulässig sind. Auch wenn Rektor Engler in der Regel alle Beschlüsse durchwinkt, kann sich der AStA nicht darauf verlassen. Und ist damit dauerhaft vom Wohlwollen der Uni-Leitung abhängig.
Inhaltlich darf sich dieser kAStrA ohnehin weder hochschul- noch allgemeinpolitisch äußern oder gar entsprechende Kampagnen finanzieren.
Das Clubhaus dokumentiert die Tübinger Geschichte
Als der Chemie-Student Rainer Dörr 1979 direkt nach dem Abi anfängt zu studieren, ist die verfasste Studierendenschaft schon fast zwei Jahre abgeschafft: „Weihnachten ’77 war der große Knall, als in Tübingen das Clubhaus geräumt wurde und damit war eigentlich Schluss“, sagt der langjährige Tübinger Studierenden-Aktivist in einem Interview mit der Wüsten Welle: „Mit Polizeigewalt wurde der AStA aus dem Clubhaus rausgeworfen.“ Bis dahin war „das obere Stockwerk eigentlich komplett AStA. Im unteren Geschoß waren eine selbstverwaltete Kindertagesstätte und verschiedene andere Büros. Von daher war das gesamte Clubhaus in Verwaltung der Studierenden.” An den Treppen, die in den Clubhaus-Keller führen, kann man noch heute lesen, dass dort damals einer der ersten Copyshops untergebracht war. Hier wurden zahlreiche Flugblätter vervielfältigt, um anschließend in der Mensa verteilt zu werden.
Die Clubhaus-Räumung „muss man auch als Teil einer Entwicklung sehen, die eigentlich in den 60ern angefangen hat.“, erklärt Rainer Dörr. Seine politischen Weggefährten haben in einer nicht ganz ernst gemeinten Aktion der Platz vor dem Clubhaus nach ihm benannt. Ein Schild über dem linken Eingang verrät noch heute, wie lange er in Tübingen eingeschrieben war.
Nach ihrer Politisierung bei der „Studenten-Revolution“ 1968 gaben sich die Studierenden 1970 eine neue Verfassung und gründeten das Studentenparlament zur studentischen Selbstverwaltung, das aber 1973 wieder durch das Land eingeschränkt wurde.
1973 bildete sich auch die Fachschaftsräte-Vollversammlung als gemeinsame politische Interessensvertretung aller Fachschaften. Hier wurden – damals wie heute – gemeinsam Probleme angegangen, die über die „Zuständigkeit“ einer einzelnen Fachschaft hinaus gingen.
Nach der faktischen Abschaffung des politischen AStA 1977 fungierte diese „Räte-VV“ zusammen mit allen politischen Hochschulgruppen links des RCDS als das neue Gremium der studentischen Selbstverwaltung Was in anderen Städten erst als „U-AStA“ oder „UStA“ gegründet werden mußte, gab es hier schon.
Dazu nochmal Rainer Dörr:
“In den 80ern war erstmal klar: Auch die Juso-Hochschulgruppe war in der Räte-VV. Alle politischen Hochschulgruppen, die mit politisch aktiv sein wollten, waren in der Räte-VV.“
Nur der RCDS und der Hochschulring Tübinger Studenten (HTS) bildeten den Gegenpart. Der HTS war nach Dörr „eine rechtsradikale, fast faschistische Gruppe.“
Zu den Gremienwahlen für (k)ASt(r)A und Senat trat immer nur die gemeinsame Liste der Räte-VV gegen die Liste des RCDS an. Doch das änderte sich, wie Dörr beschreibt:
„Erst nachdem es die Räte-VV wieder geschafft hatte über ihre Vertreter in den Gremien mehr und mehr Einfluß auf die Kulturtöpfe zu bekommen und da auch Geld raus zu ziehen, wurden auch die Hochschulgruppen wieder aktiv. [..] Damals waren es die Jusos, die Ende der 80er den Dammbruch gemacht und gesagt haben, wir treten aus der Wahlkoalition zum Senat aus und machen eine eigene Liste. Vorher gab es immer nur die gemeinsame Liste der Räte-VV, von allen politischen Gruppen links unterstützt und die andere Liste vom RCDS. Da war immer klar wer gewonnen hat. [..]
Kurz danach kam dann auch noch die Grüne Hochschulgruppe dazu. Und mittlerweile haben wir ein Spektrum von verschiedenen Gruppierungen die gegen die Räte-VV antreten, um an der Hochschule Parteipolitik zu machen.”
Wer mehr über Hochschulpolitik in den 80er-Jahren in Tübingen erfahren will kann sich das komplette Interview mit Rainer Dörr unter http://radio.ernst-bloch-uni.de/rainer-doerr anhören.