Interview mit Dr. Rolf Frankenberger vom Institut für Politikwissenschaft zu den kommenden Uniwahlen und der allgemeinen (Hochschul-)Politikverdrossenheit
Alle Jahre wieder: Im Juli finden die Wahlen für den Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA), den Fakultätsrat und den Senat der Uni statt. Ein populärer demokratischer Anlass, um mal wieder nicht wählen zu gehen. Aber warum geht der Tübinger Student eigentlich nicht wählen? Und was müsste sich ändern, damit er es tut? Vielleicht kann ja ein Politikwissenschaftler wie Dr. Rolf Frankenberger vom heimischen Institut für Politikwissenschaft einige Antworten hierzu liefern…
von Alexander Link
Vielen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben, Dr. Frankenberger.
Man stelle sich einmal vor „es ist Wahl und keiner geht hin“ – die letzten beiden Jahre lag die Wahlbeteiligung bei den Uni-Wahlen gerade mal bei knapp über 10%. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Dr. Rolf Frankenberger: Ich denke, es gibt mehrere Erklärungen dafür. Zum einen gibt es ein eindeutiges Informationsdefizit. Nicht alle wissen Bescheid über die Wahlen und deren Bedeutung, auch wenn die Fachschaften viel Aufklärungsarbeit leisten. Dies hat damit zu tun, dass ein großer Teil der Studierendenschaft relativ unpolitisch ist, was Hochschulpolitik betrifft.
Der zweite und wichtigere Aspekt ist ein institutioneller. Er ist eng damit verknüpft, welche institutionellen Möglichkeiten sich mit diesen Wahlen verknüpfen. Der AStA ist ein Gremium, das über nicht allzu viele Kompetenzen verfügt. Also wird man mit der Wahl auch keine so große Bedeutung verbinden. Und beim Senat: Der ist zwar zentral für die Universität, aber dadurch, dass die studentischen Mitglieder strukturell immer in der Minderzahl sein werden und die Interessenslagen aufgrund der Zusammensetzung der Statusgruppen natürlich sehr komplex sind, werden sich kaum Allianzen dauerhaft bilden, sondern eher an Themen entlang variieren. Es wird wahrscheinlich auch da wahrgenommen, dass man nicht so richtig viel mitbestimmen kann und deshalb sich die Wahlbeteiligung auf diejenigen beschränkt, die sich sowieso darüber häufiger informieren und sich mit Hochschulpolitik im engeren Sinne beschäftigen.
Kann man das politische System der Uni Tübingen also in seiner jetzigen Form eigentlich als „demokratisch“ bezeichnen?
Das ist eine nette, wenngleich hypothetische Frage. Also ich meine: Die Universität ist kein politisches System im eigentlichen Sinne. Wenn wir uns die Strukturen unter dem Aspekt „politisches System“ anschauen, dann werden wir relativ schnell zu dem Schluss kommen, dass es eher keine Demokratie ist, weil es nämlich fundamentale Unterschiede zwischen der rechtlichen Basis der Statusgruppen gibt – und natürlich hier die größte Statusgruppe letztlich von der Entscheidung strukturell, aufgrund der Zusammensetzung der Gremien, ausgeschlossen ist. Das ist natürlich ein Problem aus demokratietheoretischer Sicht.
Aber die Uni ist eben kein politisches System, sondern es ist eine Institution der Wissensvermittlung und da erklären sich historisch dann auch die Strukturen ein stückweit.
Glauben Sie, dass sich durch die geplante Wiedereinführung einer „Verfassten Studierendenschaft“ etwas an dem Desinteresse der Studenten an Hochschulpolitik ändern könnte? Wie ist Ihre Prognose für die kommenden Jahre?
Ich meine, die Verfasste Studierendenschaft muss sich erstmal etablieren. Es muss erst einmal ein Bewusstsein dafür entstehen, was das eigentlich bedeutet. Dieser Begriff geistert ja nun als Gebot durch die universitäre Welt, gerade in Baden-Würt-temberg. Aber so ein richtiges Bewusstsein, was damit verbunden ist, existiert nicht in der Breite. Man muss dann mal genauer hinschauen, wie die Studierendenschaft verfasst ist, welche Kompetenzen, welche Veto-Rechte damit verbunden sind.
Haben Sie eine Idee, welche Möglichkeiten es noch geben könnte, um das Interesse der Studenten am Engagement zu stärken, beziehungsweise dann auch an Hochschulpolitik?
Ideen hab ich! Man muss dabei jedoch unterscheiden, ob man Partizipation als politische Mitbestimmung meint oder Engagement im Sinne von sich-freiwillig-Einbringen. Gerade im letzteren Bereich sind die Studierenden ja durchaus sehr, sehr aktiv, wenn Sie sich die studentischen Hochschulgruppen anschauen – von der Nachhaltigkeit bis zu den Europäern, von den Gruppen, die sich um ausländische Studierende aus Krisenregionen kümmern, bis hin zu Studierenden in der Fachschaft, die sich anderer Studierender annehmen und einen zentralen Beitrag zur Studierendenberatung leisten. Das ist zwar alles Engagement aber im engeren Sinne nicht politische Partizipation. Partizipation wird man nur steigern können, wenn es wirkliche Mitgestaltungs- und Entscheidungsmöglichkeiten gibt. Und das ist dann auch der richtige Weg, wenn klar ist, wo man mitgestalten kann und sich dann gezielter einbringen kann.
Das ist also im Grunde das Defizit, das Sie sehen: Dass man keine nachhaltigen Möglichkeiten zur Entscheidung und Partizipation hat? Denn offensichtlich ist ja ein gewisses Fundament von Interesse da, sich an der Uni zu engagieren, nun eben in den Hochschulgruppen oder in Fachschaften, wo viele Leute auch etwas machen. Nur irgendwie kein „politisches“…
Ja. Was wir aus der Engagementforschung relativ gut wissen, ist, dass die Uni ein gewisser, wenn auch elitärer, Spiegel der Gesellschaft ist. Und auch dort finden wir genau diese Muster, dass sich die Menschen überwiegend nicht politisch engagieren und dass die Übertragung vom „sich-engagieren“ hin zum „politischen sich-engagieren“ sehr, sehr schwierig ist. Alles spricht eher dafür, dass man sich auf die Dinge konzentriert, die einem im persönlichen Lebensumfeld unmittelbar relevant sind und bei denen man denkt, sich einbringen und etwas bewirken zu können. Das wäre im Falle der Hochschule natürlich gegeben.
Wenn man diese Aspekte in einer Verfassten Studierendenschaft und auch in der Organisation der Hochschule aufgreift, dann werden sich auch mehr Studierende und Beschäftigte einbringen.