Podiumsdiskussion zur Euro- und Staatsschuldenkrise
Wenn ein Pro-Euro-Verfechter und ein erklärter „Gegner der Eurozone“ in diesen Tagen diskutieren, ist eine hitzige Diskussion vorprogrammiert…
von Alexander Link
Am vergangenen Mittwoch, den 24. Juli, lud die frischgebackene Hochschulgruppe der „Alternative für Deutschland“ (AfD) zu einer Podiumsdiskussion unter dem Titel „Die Eurofighter“. Die Kontrahenten: Prof. Dr. Dr. Joachim Starbatty, emeritierter Volkswirt aus Tübingen und erfolgreicher Autor von Artikeln und Büchern zur Eurokrise sowie Prof. Dr. Martin Nettesheim, Europarechtsexperte und Jurist an der Universität Tübingen.
Moderator und „Ringrichter“ der Diskussion, die dabei zunächst ohne eigentliche Fragestellung organisiert wurde, sollte Prof. Heinz Dieter Assmann, ebenfalls Jurist der Uni Tübingen sein.
Prof. Assmann gab zunächst eine kurze Einleitung über die Chronologie der Ereignisse der Eurokrise und die Maßnahmen und Institutionen, die zu ihrer Überwindung geschaffen wurden. Daraufhin wurde zumindest klarer, worum es im Folgenden gehen sollte: Um Fragen der „richtigen“ und machbaren Bewältigung der Krise – wenig überraschend bei einer Veranstaltung der AfD.
Dann der ersten Frontalangriff – das Eingangsstatement von Prof. Starbatty. Der bekannte Volkswirt ist Vorzeigeredner der AfD und Buchautor, entsprechend zügig ging er auf die Überholspur: Die Währungsunion, wie sie jetzt bestehe, sei so nie angedacht gewesen und nicht überlebensfähig. Sie sei vielmehr durch die Abschaffung der „no-bailout-Klausel“ (zu deutsch: „Nichtbeistands-Klausel“) eine „Vernachlässigung der Pflichten, die man als Vertragspartner eingegangen ist“, bemängelte Starbatty. Die EU-Verträge hätten einen generellen Rettungsschirm für andere Staaten nie vorgesehen.
Prof. Nettesheim sah dieser Spitze in seinem Eingangsstatement entspannt entgegen, obwohl auch er „Systemfehler“ der Vergangenheit eingestand. Doch der Europarechtsexperte kennt sich genau mit den Verträgen zur Gründung der EU aus, die angesprochene Klausel sei niemals derartig „scharf gefasst“ gewesen, wie Starbatty behaupte und sowieso „immer nur für gute Zeiten konzipiert gewesen.“
Vielmehr drehte Nettesheim den Spieß jetzt um: „Wegen der guten Zeiten hat man die no-bailout-Klausel nie als Gesetz betrachtet.“ Entsprechend habe sich auch nie die Frage gestellt, ob diese Norm reformbedürftig oder schädlich für die Euroländer sei. Dies wiederum habe man dann erst durch die Krise festgesellt.
Viel grundlegender sei, nach Nettesheim, der allgemeine Sinn von Normen – „Den Menschen zielgeführt zu dienen.“
Dennoch besteht Starbatty auf der Klausel, deren Ende 2010 hinter verschlossenen Türen beschlossen wurde. „Man kann Gesetze nicht einfach missachten, wenn sie problematisch werden,“ mahnte er. Außerdem hätte es ohne die Klausel „nie eine Währungsunion gegeben“, weil niemand sich auf ein Risiko der Fremdhaftung eingelassen hätte.
Nettesheim warf Starbattys Argumentation daraufhin vielmehr schädlichen Rechtsdogmatismus – das Festhalten an einem schädlichen Gesetz – vor. „Not kennt kein Gebot“, so Nettesheim . „Der Mythos der Bundesrepublik ist eben der Rechtsstaat. Aber diese Zeiten erfordern neue Maßnahmen.“
Damit waren die Fronten festgefahren: Euro-Skeptiker Starbatty, der sich dogmatisch für eine Nicht-Haftungs-Klausel auch weiterhin aussprach und Nettesheim, der diesen Dogmatismus anzweifelte.
Aber was viel wichtiger erscheint, wurde beinahe kaum erötert: Was ist sinnvoll?
Starbatty beschrieb eine europäischen Transferunion und Währungsunion, wie sie jetzt besteht, als den Kern des Problems. Die Verschuldung der peripheren Länder würde sich, wie die Transferzahlungen Deutschlands und anderer Nettozahler, vergrößern. Daher schlug Starbatty einen Austritt der stark verschuldeten Staaten vor, damit diese ihrer Währung wieder “abwerten”, d.h. im Vergleich zu ausländischen Währungen im Wechselkurs “billiger”, machen könnten. Dies befördere z.B. den Export oder rege die Binnennachfrage an. Nur damit würde man den Ländern wirklich helfen, so der angedeutete Blick des Wirtschaftswissenschaftler in die Kristallkugel.
Vielleicht ist seine Kugel aber auch nur eine aus Milchglas. Eine solche übergeordnete Weisheit maßte sich Nettesheim daher nicht an: „Wir haben eine Situation in Europa, deren Ausgang man nicht prognostizieren kann.“ Nettesheim vermutete eine bröckelnde Währungsunion, wie viele andere Experten auch, vielmehr als den Anfang vom Ende der Europäischen Idee. Einer Idee, von der gerade Exportland Deutschland – durch EU-Binnenmarkt usw. – im allerhöchsten Maße profitiert hat. „Wir können uns dieses zerstörte Vertrauenskapital Deutschlands, wenn wir die Währungsunion zerfallen lassen, nicht leisten“, so Nettesheim.
In Erinnerung blieb jedoch: Auch ein Prof. Starbatty ergibt sich in die immergleiche Rhetorik des Euroskeptizismus. Horrende Transferzahlungen in Länder, deren Verschuldung nicht zu stoppen ist und von denen auch niemals mehr eine Rückzahlung der Kredite zu erwarten ist. Jedoch bleibt auch dran zu denken, dass “Nettozahler” Deutschland immer mit am meisten von der Eurozone und dem EU-Binnenmarkt profitiert hat – irgendwohin sind die zahlreichen Exporte der deutschen Wirtschaft ja gegangen.
Nie skizzierte Starbatty aber die Gegenidee: Ein tiefergehendes Europa, dass die Probleme ebenso lösen könnte.
Beispielsweise haben wir in den USA oder Deutschland schon lange Währungszonen, in denen bestimmte Regionen in höchstem Maße strukturell unterschiedlich sind, überall aber mit der gleichen Währung gezahlt wird. Durch eine koordinierte Wirtschafts- und Finanzpolitik der Staaten – beispielsweise Länderfinanzausglich oder Strukturförderung – scheint aber auch dort eine geeignete Maßnahme gefunden worden zu sein, mit „über-“ und „unterbewerteten“ Währungen umzugehen.
Abschließend sollte die Stimmung mangelnder Objektivität und fairer Vorraussetzungen der Veranstaltung noch einmal angemerkt werden. Zu keinem Zeitpunkt war Europarechtler Nettesheim – der PRO-Euro-Verfechter – in der Lage, dem Buchautor und Mann bildlicher Sprache, Prof. Starbatty, den Schneid abzukaufen. Aber dies nicht anhand von Argumenten, sondern eher der populistischen Vortragsweise seines Kontrahenten.
Ebenso drängte sich der Eindruck auf, dass während der abschließenden Fragerunde das Mikrofon gerne durch die ersten Reihen der geladenen Gäste der Eurokritiker gereicht wurde – wodurch sich ein Negativdiskurs kaum vermeiden ließ. Dabei wurde immer wieder das einseitige Bild einer Politik aufgegriffen, dass dem eigenen (deutschen) Volk mehr schaden, als helfen würde.
Dadurch war die Stimmung im Saal am Ende der Veranstaltung klar, jedoch: Diese Meinung hatten die meisten der zahlreichen Gäste vermutlich auch schon vorher.