Tübingen ist mehr als Hölderlinturm und Stiftskirche: Die Masterstudenten der Medienwissenschaft zeigen das in einer Abschlussarbeit, in Form der Ausstellung „Verborgen, vergessen, verwunschen -Tübingen auf den zweiten Blick“. Ein Besuch hier lohnt sich: Es ist als wäre man weit weg, dabei ist man der Stadt so nah wie noch nie.
von Emma Marx & Valerie Eiseler
Möchte man sich über die studentische Stadt Tübingen informieren, stößt man auf idyllische Postkartenansichten mit Motiven wie dem verschneiten Hölderlinturm, die Stiftskirche im Abendlicht, der Rathausplatz mit Touristen… – Fast schon eine Märchenstadt, nah am Rande der Utopie. Auch andere Internetquellen bieten nicht viel mehr Abwechselung, außer man interessiert sich für den CO2-Ausstoß der Stadt (der übrigens ziemlich gering ist…) oder die Tatsache, dass der Mittelpunkt des Landes Baden-Württemberg in einem kleinen Stadtwäldchen mitten in Tübingen liegt. Dieser Ort scheint so perfekt, dass es ziemlich schnell langweilig werden könnte.
Tübingen ist fast schon eine Märchenstadt, nah am Rande der Utopie.
Als die 23 Masterstudenten der Medienwissenschaft ein Thema für ihre gemeinsame Abschlussarbeit suchten, waren zwei Dinge schnell klar: Jeder soll die Möglichkeit bekommen, sein persönliches Lieblingsmedium in den Vordergrund zu stellen und: es soll um diese Stadt gehen, die „den Flair eines liebevoll restaurierten mittelalterlichen Stadtkerns mit der bunten Betriebsamkeit und dem Lebensgefühl einer jungen Studentenstadt [verbindet]“. (O-Ton www.tuebingen.de)
Wie perfekt ist die Stadt wirklich? Gibt es da nicht auch ein bisschen Schmutz, düstere Geheimnisse, kuriose Seiten?
Wie perfekt ist die Stadt wirklich? Gibt es da nicht auch ein bisschen Schmutz, düstere Geheimnisse, kuriose Seiten oder anders gefragt: Gibt es diese eine Geschichte, die dem Kitsch noch das goldene Krönchen aufsetzt? Wie wäre es, eine Ausstellung über die Geschichten zu machen, die man sich eigentlich bei einem Bier unter Freunden erzählt?Die Studenten fingen an zu recherchieren: sie stürzten sich auf unterschiedlichste Themen, tauchten ein in Projekt, von dessen Existenz sie vorher nicht einmal gewusst hatten und kramten viel Gegensätzliches, Schönes und Trauriges, Verstaubtes und auch so manch Funkelndes hervor.
Es ist etwas dabei herausgekommen, dass wir nicht erwartet haben, als wir letzte Woche die Ausstellung mit dem Titel „Verborgen, vergessen, verwunschen – Tübingen auf den zweiten Blick“, besuchten: Ins oberste Stockwerk des Stadtmuseums muss man Treppensteigen. Die Balken liegen hier frei. Ein Dachboden ist nun wahrlich der ideale Ort für so eine Ausstellung. Die Atmosphäre ist perfekt, aber das macht natürlich noch lange keine gute Exposition aus. Die Führung der 24-jährigen Katharina Matheis ist ebenfalls grandios, aber auch hier liegt nicht der Kern der Sache. Der ist woanders zu finden: Man betritt den Raum und weiß, wie viel Arbeit in jedem einzelnen Exponat steckt. Wir spüren es, während wir uns selbst an den Multimediastationen zu schaffen machen und uns gar nicht mehr davon losreißen können. Jedes Stück hat seinen eigenen Rahmen, eine Besonderheit, die uns immer tiefer in neue Geschichten hineinzieht. Insgesamt sind es 12 Stationen und wir brauchen mehr als zwei Stunden, um alles auf uns wirken zu lassen. An dieser Stelle sei nicht zu viel verraten, aber ein bisschen Lust auf mehr machen, wollen wir doch.
Jedes Stück hat seinen eigenen Rahmen, eine Besonderheit, die uns immer tiefer in neue Geschichten hineinzieht
Also ein Beispiel: Eines der Exponate führt uns an einen Ort, der vom Stadtmuseum nur etwa 250 Meter entfernt liegt. Die Stimmung, die im alten Studentenkarzer in der Münzgasse herrscht, ist in einer Ecke der Ausstellung nachempfunden. Wir sitzen hier auf einem Heuballen, hören selbstkomponierte Musik und sehen uns Fotos an, die Zeichnungen aus dem Karzerinneren zeigen. Es ist, als wäre man selbst dort und so geht es mit jedem Ausstellungsstück.
Es ist als wäre man plötzlich ganz woanders: In einem Land wo Elefanten im Fluss baden und Ritter Drachen besiegen.
Der Besuch dieser Ausstellung ist wie ein kleiner Ausbruch aus der Realität, als wäre man plötzlich ganz woanders, in einem Land wo Elefanten im Fluss baden und Ritter Drachen besiegen und dabei bleiben wir doch immer so nah an Tübingen, wie man der Stadt überhaupt nur kommen kann. So, genug vorweg genommen.Es ist die Mühe wert, sich in die Novemberkälte zu begeben. Ganz gewiss!
Die Ausstellung läuft leider nur noch bis zum 24. November im Stadthaus in Tübingen. Studenten zahlen gerade mal 1,50€. Alle Anderen 2,50€.
Weitere Informationen gibt es unter www.tuebingen-zweiterblick.de