Ist Deutschland schuld am Ausbruch des Ersten Weltkriegs?

(Tübingen 20.10.2014) Deutschland ist nicht unschuldig am Ausbruch des ersten Weltkriegs. Andere Staaten jedoch auch nicht. So lautete die These des Buchautors Christopher Clark an diesem Abend.
Im Rahmen des Programms „Osiander im Carré,“ welches von der Buchhandlung Osiander und der Kreissparkasse Tübingen organisiert wird, präsentierte Christopher Clark am Montag, 20.10.2014, im Sparkassen Carré sein aktuelles Werk „Die Schlafwandler.“ Als Interviewpartner stand ihm Hans Joachim Lang vom „Schwäbischen Tagblatt“ zur Seite. Das Buch behandelt einige Ereignisse und Gegebenheiten, die zusammen zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs führten. Bereits in der Schule wurde das Interesse des gebürtigen Australiers für diese Thematik geweckt. Clark erinnert sich an seine Schulzeit. Die Lehrer bläuten ihm ein sich an die fünf deutschen Provokationen zu erinnern, wenn er nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges gefragt wird. Die Provokationen waren der Flottenbau, die erste und zweite Marokkokrise, die bosnische Annektierung und der Blankoscheck für Österreich. Doch als sein Geschichtslehrer auf Nachfrage behauptete, dass Russland als erstes mobilisierte, weil sie am langsamsten waren, begann er Zweifel an der alleinigen Schuld Deutschlands zu hegen. Der Beginn seines Studiums in Deutschland verstärkte den Wissensdurst des heutigen Professors für neuere Geschichte noch einmal. Deswegen begann er die Arbeiten zu seinem Werk „Die Schlafwandler“.

Die Arbeit an dem Buch glich der Komplexität eines 3D-Schach oder eines Zauberwürfels

 
Dabei verlief der Prozess der Nachforschung und des Schreibens nicht glatt. Das lag daran, dass die Thematik für ihn nicht, wie für manch andere, mit der Schuldzuweisung Deutschlands erledigt ist. Der Autor meint, der Ausbruch des Ersten Weltkriegs ähnelt in der Komplexität mehr einem 3D- Schach oder einem Zauberwürfel. Vielleicht ist es sogar das komplexeste Thema der modernen Geschichte. Denn es sind sehr viele Perspektiven, Quellen und Sekundärquellen zu berücksichtigen. Darunter zählt nicht nur der Schlieffen Plan der Deutschen zu Beginn des Ersten Weltkriegs, sondern beispielsweise auch die Außenpolitik Frankreichs, Russlands, Großbritanniens und anderer Staaten. Clark interessiert nicht, wer an dem Ausbruch des Kriegs schuld ist, sondern viel mehr der Weg, der in den Ersten Weltkrieg führte. Denn wenn man sich von vornherein auf einen Schuldigen versteift, dann engt man das Sichtfeld für weitere Forschungen sehr stark ein.

Die Ermordung der serbischen Königsfamilie

 
So eröffnet er sein Buch nicht etwa mit der Ermordung des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand in Sarajewo, sondern bereits mit der Ermordung der serbischen Königsfamilie im Jahre 1903. Ohne dieses Ereignis hätte das Attentat auf Franz Ferdinand vielleicht nicht verhindert werden können. Nach Meinung des Historikers jedoch möglicherweise der Krieg. Ein weiterer wichtiger Punkt waren die chaotischen Strukturen der Außenpolitik der einzelnen Staaten und die labilen Bündnisse, die nicht in Stein gemeißelt waren. Einige mehr oder minder geheime Abkommen zwischen nicht-verbündeten Staaten sprechen dafür, dass auch andere Konstellationen von Verbündeten denkbar gewesen wären.

Keine Unschuldslämmer

 
Clark möchte mit seinem Buch die Schuld Deutschlands an dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs nicht vollkommen abweisen. Viel mehr möchte er aufzeigen, dass die Provokationen eines einzelnen Landes nicht zu einem Weltkrieg führen und auch die anderen beteiligten Staaten ihren Teil dazu beigetragen haben sowie, dass viele komplexe Entscheidungen und Ergebnisse dafür notwendig waren.

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