Die Deutsch-russischen Beziehungen sind spätestens seit der Ukraine-Krise ein Top-Thema in der öffentlichen Debatte. Auch der Vortrag des russischen Botschafters Wladimir Michailowitsch Grinin am Montag im Kupferbau behandelte diesen Konflikt im Rahmen des Studium Generale.
Ob gerade ein „Clash of Civilzations“ stattfinde, wisse er nicht, sagt Grinin. Er bezieht sich damit auf die Vorlesungsreihe des Studium Generale, unter deren Überschrift er seinen Vortrag hält. „Es gibt Gemeinsamkeiten“, sagt Grinin, aber es gebe auch Unterschiede. Dass Grinin Diplomat ist, erkennt man sofort an seiner Sprache. Klare Aussagen macht er kaum, auch nicht bei der späteren Diskussion. „Austausch und Dialog sind von außerordentlicher Bedeutung“, so Grinin, sie seien ein Mittel zur Partnerschaft.
Vom Ersten Weltkrieg bis zur Ukraine-Krise
Dann skizziert Grinin die Entwicklungen der Deutsch-russischen Beziehungen vom Ersten Weltkrieg über den Mauerfall und den Vertrag von Lissabon bis heute. Der Vortrag hat den Titel „Wege in eine partnerschaftliche Beziehung zwischen Ost und West: Die Perspektive Russlands“. Dementsprechend überrascht die etwas einseitige Darstellung nicht. Schon bei der Friedenskonferenz in Den Haag im Jahr 1907 habe nur Russland friedliche Gedanken ausgesprochen. Nach dem Zweiten Weltkrieg folgte dann die bipolare Konfrontation der zwei Blöcke. Nach dem Fall der Mauer habe sich Europa klar auf die USA ausgerichtet.
In den Jahren zwischen dem Mauerfall und der Ukraine-Krise sei die EU nicht wirklich auf die Angebote Russlands eingegangen. Außerdem seien mit der Osterweiterung der Nato Absprachen gebrochen worden. Zu den russischen Aktivitäten an den Nato-Grenzen verweist Grinin auf die Bewegungen der Nato an den russischen Grenzen. Er kritisiert unter anderem die Verlegung von Kampfflugzeugen nach Polen und in die baltischen Staaten. Außerdem werde der Raketenabwehrschirm gegen Russland vom Westen vorangetrieben.
Die schärfsten Auseinandersetzungen seit dem Kalten Krieg
Darüber hinaus verhindere die EU, Grinins Ansicht nach, eine produktive Zusammenarbeit, indem sie ständig Abmachungen breche. Zu den „schärfsten Auseinandersetzungen seit dem Kalten Krieg“ führte dann der „Staatsstreich“ in der Ukraine, der von der EU unterstützt wurde. Und das obwohl die EU der Regierung der Nationalen Einheit Tage zuvor zugestimmt habe. Im Rahmen dessen habe „eine Show auf dem Maidan von westlichen Politikern“ stattgefunden. Grinin kritisiert auch, dass die EU die Ukraine dazu gezwungen habe, sich zwischen Russland und der EU zu entscheiden.
Auch der Flugzeugabsturz einer zivilen Maschine sei vom Westen instrumentalisiert worden, um Sanktionen gegen Russland verhängen zu können. Zur Krim sagt Grinin, dass dort verschiedene Auslegungen des Völkerrechts aufeinander träfen. Russen seien in der Ostukraine und vor allem auf der Krim in Gefahr gewesen. Trotzdem wollte er auf Nachfrage der Zuhörer nicht bestätigen, dass sich russische Soldaten auf ukrainischem Boden befinden. Es seien alles Freiwillige. Und Waffen könne man dort überall kaufen.
Aufruf zum respektvollen Miteinander
Eine Zusammenarbeit sei ohne die Lösung der Ukraine-Krise unmöglich. Grinin plädiert für eine Weltordnung, in der die Vergangenheit berücksichtigt werden kann und sich alle Akteure untereinander gegenseitig abstimmen. Russland wolle keine Selbstisolation und auch niemanden dominieren. Abschließend spricht er die Einladung aus, „uns als Nachbarn, als Mitbewohner auf dieser Erde zu betrachten.“
Zweifel an der Umsetzung
Der Slawist Professor Tilman Berger, der sich bei Amnesty International engagiert, sieht das Angebot zum Dialog kritisch: „Menschenrechtsorganisationen werden in Russland massiv behindert.“ Seit einem Gesetz, das im Jahr 2012 in Kraft trat, müssen sich NGOs wie Amnesty International als „ausländische Agenten“ registrieren lassen. Es gebe eine Diskrepanz zwischen dem Willen zur Partnerschaft und der Blockade von NGOs, so Berger.