Mediendozentur – Die Vermessung der Seele

Bei der diesjährigen Mediendozentur sprach Prof. Miriam Meckel, Direktorin am Institut für Medien- und Kommunikationsmanagment an der Univerisität St. Gallen und Chefredakteurin der Wirtschaftswoche, am Donnerstagabend im Festsaal über die digitale Vermessung des Menschen.

Rektor Bernd Engler ist nicht bei Facebook. Er sei da konservativ. Geht es nach Professorin Miriam Meckel wird ihn das auf Dauer auch nicht vor den digitalen Entwicklungen bewahren. Meckel skizziert in ihrem Vortrag „Der berechenbare Mensch – Was die digitale Evolution mit unserer Individualität und Freiheit macht.“ eine düstere Zukunftsvision, auch wenn sie selbst betont, dass sie lediglich die Entwicklungen analysiere und ein mögliches Ziel beschreibe.

Beängstigende Zukunftsvision

Meckel redet schnell. Sie hat viel zu erzählen. Im Jahr 1901 wog der amerikanische Arzt Duncan MacDougall sechs Patienten, die im sterben lagen. Er wollte das Gewicht der Seele messen. Nachdem sie tot waren, stellte MacDougall eine durchschnittliche Gewichtsabnahme von 21 Gramm fest. Seine Folgerung: Die menschliche Seele wiegt etwa 21 Gramm.

Dieses Seelenexperiment sei in gewisser Weise ähnlich wie heutzutage die Vermessung des Gehirns, so Meckel. Mit dem Unterschied, dass man heute keine Waagen benutzt, sondern Computer. Mithilfe von Algorithmen suche man nach Ordnungsmustern im Handeln und im Denken.

Wenn man sich die Entwicklung der Technik ansehe, Stichwort: Mooresches Gesetz (Komplexität integrierter Schaltkreise von Computern verdoppelt sich regelmäßig), könnte irgendwann die Singularität erreicht sein. Singularität bedeutet: Mensch und Maschine würden eins, der Übergang von digital und analog sei nicht mehr zu erkennen.

Meckel plädiert dafür, dass man diese Diskussion ernst nehme und nicht als Spinnerei der Transhumanisten abtue.

Vor den Einbrechern am Einbruchsort

Natürlich ist das noch eine Zukunftsvision. Aber Meckel macht an einigen Beispielen deutlich, dass die Technik schon weit fortgeschritten ist. Dass persönliche Daten von Facebook und Co erfasst werden und dass das Verhalten analysiert wird, dürfte niemanden mehr überraschen. So will Amazon Produkte, die einen interessieren könnten, schon verschicken, bevor man sie bestellt hat. Anhand der Daten versucht man also vorauszusehen, was der Nutzer bestellen wird.

Andere Beispiele, die Meckel bringt, sind zum Beispiel „predictive Policing“, bei der Daten von Einbrüchen abgeglichen werden. Mithilfe der erkannten Muster hofft man sozusagen schon vor dem Einbrecher am Einbruchsort zu sein.

Meckel führt das zur Frage: „Was bedeutet das für unser Menschenbild, für den Umgang mit anderen?“ Und zu ihrer These: „Der berechenbare Mensch ist in seiner Individualität und Freiheit gefährdet.“

Es bestehe die Gefahr, dass jeder nur noch Mainstream ist. Das, was den Menschen ausmache, zumindest unser Glaube an unsere Individualität, unsere Urteilskraft und unsere Möglichkeit zur eigenverantwortlichen Entscheidung, sei gefährdet. „Stellen sie sich ein Navi für das Leben vor“, allerdings eines, das einem gar nicht mehr die Möglichkeit lasse, anders zu fahren, sagt Meckel.

Der Mensch lebe von Differenz, ohne Differenz gebe es keine Welterfahrung. Die algorhitmusbasierten Angebote seien aber immer konservativ – man komme aus seinem Ego-Trip nicht mehr heraus.
Noch können Maschinen den Menschen nicht verstehen, vor allem die menschlichen Ambivalenzen. Wie könnte man also schon auf die Möglichkeit einer Singularität kommen? Meckel macht ein Beispiel: IBM habe einen Kopfhörer erfunden, der Hirnströme messen kann. Mithilfe dieses Kopfhörers könne man Männchen durch Gedanken steuern und Buchstaben schreiben. Sogar Hirnimplantate seien schon erfolgreich getestet worden. So sei eine Vernetzung von zwei Rattenhirnen über das Internet gelungen.

Wie bei Wall-E

„Gedanken sind also verschiebbar, speicherbar, steuerbar“, folgert Meckel. Die Technologien seien noch am Anfang, aber es werde wahnsinnig viel Geld in die Forschung investiert. Deshalb sei die Differenz als Existenzform in Gefahr. Es gebe zwar unter manchen Hirnforschern die Meinung, dass es einen freien Willen nicht gebe. Meckel plädiert aber dafür, dass wir zumindest die Illusion eines freien Willens für unseren narzisstischen Wahn brauchen.

„Anticipatory Thinking“ könnte uns diese Illusion endgültig rauben und wir könnten Enden wie die Menschen in dem Film Wall-E, in dem alle fett sind, rumliegen und von Maschinen versorgt werden.

Das, was gerade passiere, sei also ähnlich wie eine Vermessung der Seele, zumindest, wenn man die Seele als die Summe ihrer Daten begreife.

Titelbild: Friedhelm Albrecht/ Hochschulkommunikation Universität Tübingen

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