Das Stadtmuseum Tübingen ist wie seine Stadt: Keineswegs gewöhnlich, sondern facettenreich und etwas anders, als man es erwartet. Ein Besuch im dreistöckigen Gebäude mitten im Herzen der Altstadt.
Ein Museum bedeutet ausschließlich Vergangenheit? Nicht im Tübinger Stadtmuseum, auf dessen vier Ebenen man in die Vergangenheit eintauchen, aber auch die Gegenwart reflektieren kann. Seine Mauern sind dabei selbst geschichtsträchtig. Zu Beginn seiner ungefähr 500-jährigen Historie diente der Fachwerkbau zunächst als Kornhaus und somit als regionaler Umschlagplatz für das lebenswichtige Versorgungsgut.
Im 19. Jahrhundert wandelte sich der Charakter der dort vertriebenen Dinge jedoch: Fortan wurde der Wissenshunger junger Menschen gestillt. Zuerst bezog eine Knabenschule das Gebäude, später Mädchenschulen, dann eine Realschule. Auch Feuerwehr und Rotes Kreuz fanden zwischenzeitlich eine Heimat nahe der Ammer. Heute beherbergt das Museum eine wechselnde Ausstellung im Erdgeschoss, eine Dauerausstellung zur Künstlerin Lotte Reiniger im ersten Stock und die Stadtgeschichte im zweiten und dritten Obergeschoss.
Heimat für Heimatlose
Heimat, was ist das? Ein loser Begriff. So unterschiedlich die Antwort der Menschen auf diese Frage ausfallen mag, so eindeutig und treffend zeigte bis vor kurzem die im Erdgeschoss laufende Ausstellung das Gegenteil auf – was es bedeutet, „Heimatlos“ zu sein. Der gleichlautende Titel vereinte verschiedenartigste Werke der Tübinger Künstlerszene, die ihre Heimat, die Shedhalle nahe der Neuphilologie, zugunsten Geflüchteter verlassen hatten. Deren Mühen und Schicksale spiegelten sich in den Bildern und Installationen wieder. Es entstand die Möglichkeit, aktuelle Zeitgeschichte zu reflektieren und später gegebenenfalls mitzuschreiben.
Die darauffolgende Ausstellung wird das Thema der Haustiere untersuchen – warum gehen wir mit Nutz- und Haustieren so verschieden um und woher kommen überhaupt so viele Tierrassen? Ab dem 12. Mai werden unter anderem auf diese Fragen Antworten über unsere etwas anderen Familienmitglieder gegeben.
Einschneidende Erlebnisse im ersten Stock
Die Dauerausstellung zu Lotte Reinigers Leben und Arbeiten stellt einen klaren Schnitt zu den bisherigen Exponaten dar. Die 1899 geborene Berlinerin verbrachte ihr Lebensende in Dettenhausen nahe Tübingen und ist der Stadt auf diese Weise verbunden. Die Scherenschnitte und Schattentheaterfiguren der Tricktechnik-Pionierin entführen dabei in fremde Welten. Sie zeichnen dabei Bekanntes und Unbekanntes in faszinierender Weise. Detailreich und doch nur an der Grenze von Licht und Schatten entstehen scheinbar lebendige Szenerien. Die beeindruckenden Werke aus den Händen Reinigers hinterlassen einen bleibenden Eindruck und dürfen bei einem Besuch des Museums keineswegs fehlen.
Ein zweigeteiltes Tübingen
Nicht nur in Form der sich über zwei Stockwerke erstreckenden Dauerausstellung zur Stadtgeschichte ist Tübingen geteilt – wie der Besucher erfährt, gab es in früherer Geschichte sowohl eine geografische und vor allem soziale Trennung innerhalb Tübingens. Die sozial und wirtschaftlich besser gestellten Tübinger wählten in der Vergangenheit die Nähe zu Rathaus und Stiftskirche, um ihrer Rolle angemessen Ausdruck zu verleihen.
Bei zahlreichen Metzgereien und Gerbereien am Ammerkanal, die die Unterstadt darstellten, erscheint es mehr als verständlich, ein Leben in der Oberstadt nahe der Stiftskirche anzustreben. Diesen und viele weitere Fakten zur Stadtentwicklung bis 1800 kann der Besucher im zweiten Stock erfahren. Auch auf die Geschichte der Universität wird dort eingegangen – lohnenswert für jeden Studierenden. Im dritten Stock fällt der Fokus der Ausstellung vermehrt auf soziale, politische und wirtschaftliche Gesichtspunkte der Stadtgeschichte von 1800 bis heute.
Let’s do the timewarp…again!
Im Tübinger Stadtmuseum treffen Vergangenheit und Gegenwart direkt aufeinander, worin sich das Museum von vielen anderen deutlich absetzt. Es gehöre definitiv zum Konzept der Institution, bestätigt Leiterin Frau Ratzeburg, dass der Besucher zwischen den verschiedenen Epochen und Aspekten springe. Damit erreicht das Museum auch sein eigentliches Ziel, nämlich Menschen zum Nachdenken anzuregen. Wer sich dieser Aufgabe annehmen will, sollte allerdings mehr als einen Besuch einplanen. Die unglaublich umfangreichen und vielfältigen Exponate lassen sich kaum alle auf einmal erfassen, ähnlich wie Tübingen selbst. Wie die Stadt, so eben das Museum.
Das Stadtmuseum Tübingen befindet sich in der Kornhaustraße 10, mitten im Herz von Tübingens Altstadt. Es ist Dienstag bis Sonntag von 11 bis 17 Uhr geöffnet, Montag ist Ruhetag. Erwachsene zahlen 2,50€ Eintritt, ermäßigt beträgt er 1,50€. Kinder bis 12 Jahre kommen kostenlos in das Museum.
Titelbild: Felix Müller