Für die 13. Tübinger Mediendozentur am Montag konnten das Institut für Medienwissenschaft und der SWR den Internetexperten Sascha Lobo gewinnen. Der Journalist ist vor allem bekannt durch seine Kolumne bei Spiegel-Online. Einem theoretischen Vorspiel folgte ein klarer gesellschaftlicher Appell.

Gelogen hat er, das gibt er direkt zu. Aber nicht im eigentlichen Sinne. Sondern um einen angemessenen Titel für seinen Vortrag zu finden, sagte Sascha Lobo. Seine Rede trug den Titel „Das Ende der Gesellschaft. Von den Folgen der Vernetzung“. Ein Versuch, das Phänomen Internet in seinen sozialen Auswirkungen zu beschreiben.

Es ist Lobos Markenzeichen, zu polarisieren. In der Tübinger Neuen Aula machte er schon rein äußerlich mit seiner unverkennbaren Frisur, dem roten Irokesenschnitt, auf sich aufmerksam. Sein markantes Aussehen verbindet Lobo mit ebensolchen Thesen. Punchlines, wie er sie nennt, sind Teil des Spiels. Nur wer sich Gehör verschafft, wird auch gehört. In diesem Fall von zahlreichen Studierenden und Interessierten, selbst Boris Palmer nahm Platz, der sich scheinbar von seiner Bierdusche auf dem Ract!-Festival erholt hatte.

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Viele Gäste lauschten Lobo, darunter auch Uni-Rektor Bernd Engler (links).

Ende der Gesellschaft?

Im Zuge seines Vortrags relativierte er dann das im Titel vermeintlich beschworene Ende der Gesellschaft. Die Folge der Vernetzung sei keineswegs das Ende der Gesellschaft, vielmehr „das Ende einer Illusion, die wir Gesellschaft nannten“. Diese Illusion sei auch von den Massenmedien genährt worden. Konventionen der „Gesellschaft“ als Rahmen, in dem gehandelt werden kann, zu sehen, sei demnach auch nicht richtig. Vielmehr handele es sich bei diesen Konventionen um einen Firnis, einen durchsichtigen Schutzfilm, der langsam abblättere. Was darunter derzeit zum Vorschein kommt, ein Potpourri aus Internet-Hasskommentaren, gefällt Lobo nicht.

Der Mann mit dem roten Iro sprach extrem betont, streute stakkatoartige Wortspiele, Scherze und Anekdoten ein – Lobo ist Medienprofi durch und durch, das zeigte sich schnell. Kein Wunder, ist er doch bereits seit der Jahrtausendwende und dem aufkommenden Internet-Hype im Geschäft.

„Emotion geht vor Information“

Eindrucksvoll zeigte er auf, dass angeblich neue Vorgehensweisen wie das Crowdfunding nur ins Internet transportiert wurden, und räumte mit weit verbreiteten Vorurteilen über die Netzkultur auf. Das Problem seien nicht die anonymen Hasskommentare, sondern die unter Klarnamen vorgetragenen, menschenverachtenden Äußerungen. Diese Haltungen und soziologischen Mechanismen gab es schon immer, allein durch soziale Medien würden sie nun in den öffentlichen Diskurs getragen. Rationalisiertes Vorgehen in den Medien sei einer der Gründe für die von Extremisten emotional geführten Debatten. Emotion gehe heute vor Information. Bei diesem Thema blühte Lobo endlich auf und schien Einblicke in seine eigene, persönliche Haltung zu gewähren. Seine Sätze kamen flüssiger und auch der Szenenapplaus mehrte sich nun.

Fällt äußerlich und inhaltlich auf: Lobo in der Neuen Aula.
Fällt äußerlich und inhaltlich auf: Lobo in der Neuen Aula.

„Reclaim Social Media!“

Diesen flammenden Appell richtete Lobo am Ende seines Vortrags an alle Anwesenden. NPD und AfD würden in einem nach Gefällt-Mir-Angaben auf Facebook zusammengesetzten Parlament eine absolute Mehrheit besitzen, rechnete er vor. Stille im großen Festsaal der Universität Tübingen. Er appellierte an die Zuhörer, sich dem Extremismus mit eigenen Entwürfen entgegenzustellen – am besten in den sozialen Medien, dem Ort, an dem jener bisher Zuhause sei.

Dem fachlich einwandfreien Vortrag über Medien und Soziologie gelang es erst gegen Ende persönlich mitzureißen, als der fraglos kompetente Redner Einblicke in seine eigenen Ansichten eröffnete. Und er machte damit Hoffnung, dass die Gesellschaft, oder die Illusion, die wir Gesellschaft nannten, noch nicht am Ende ist.
Fotos: Marko Knab

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