Eine dreistufige Treppe, die ins Leere führt, eine Mumie, eine rote Motorhaube, ein Tisch, drei gewaltige Bildschirme. Was aussieht wie eine postmoderne Kunstausstellung ist in Wirklichkeit das Bühnenbild der Oper „W – The Truth Beyond“. Produziert und uraufgeführt in Tübingen ist das Stück von den bekannten Wallander-Krimis von Henning Mankell inspiriert. Zur Generalprobe konnte die Kupferblau bereits einen Einblick in das Stück erhaschen.
Für die Uraufführung waren alle Plätze in der Neuen Aula ausgebucht. Die Erwartungen sind hoch, schließlich handelt es sich um die erste in Tübingen produzierte Oper überhaupt. Der erste Akt ist im Begriff angestimmt zu werden. Dirigent Philipp Amelung stellt sich vor sein Orchester und verbeugt sich tief. Als Universitätsmusikdirektor in Tübingen war er für die künstlerische Leitung des Stücks verantwortlich. Nicht auf der Bühne, dafür präsent im Publikum, sind auch der Komponist Fredrik Sixten und Regisseurin Julia Riegel. Die Spannung steigt, die Geigen werden angestimmt.
Wer ein Fan der Wallander-Romane ist oder zumindest einen von ihnen gelesen hat, wird genau das bekommen, was er von einer Opern-Adaption zu erwarten hofft oder fürchtet. Die instrumentale Musik ist hervorragend komponiert und trifft die düstere, melancholische Atmosphäre ihrer Vorlage. Es ist eine Mischung aus Wagner, Mussorgski und klassischer Kirchenmusik, die vor allem durch einen ausgezeichneten Chor seine volle Wirkung entfaltet. Ergänzt wird sie durch eine Geschichte, die dem inzwischen verschiedenen Henning Mankell alle Ehre macht.
Der Feind im Schatten
Das Stück beginnt dort, wo der letzte Wallander-Roman endet. Kurt Wallander (Matias Bocchio), Kriminalkommissar in der Stadt Ystard in Schweden, hat seinen letzten Fall beendet und blickt dem Ruhestand entgegen. Demenz wurde bei ihm diagnostiziert, seine Tochter Linda, ebenfalls Polizistin, sorgt sich um ihn. Am Tag seines offiziellen Ausscheidens aus dem Dienst wird Wallander auf der Polizeiwache mit Kuchen und Reden gefeiert. Da erscheint ein Mann mittleren Alters, der sich als Tobias Jonsson (Gustavo Martín Sánchez) vorstellt und ihm einen unangenehmen Vorwurf macht. Wallander soll ihn für den Mord an seinem Vater, Anders Jonsson, grundlos verhaftet haben. Nach Jahren im Gefängnis ist er zurück und bekräftigt weiterhin seine Unschuld. Mehr will er nicht, doch Wallanders Spürsinn ist geweckt. Ist der Mörder doch ein anderer?
Wie viele der Wallander-Romane konfrontiert die Oper die Zuschauer mit einigen unerwarteten Wendung und sozialen Tabus. Schweden stellt man sich anders vor – eine heile, ruhige Welt voller Schnee, Wälder und Elche – doch vielleicht ist das der Grund, warum Viele die Bücher nicht zur Seite legen. Henning Mankell hat es schon immer verstanden, die dunkle Seite des vermeintlichen Winter-Wunder-Landes aufzudecken. Mit allem möglichen, von Menschenhandel bis zu Hassverbrechen, hat sich Wallander bereits herumschlagen müssen. Und auch diese Oper hat eine jener überraschenden Mankell-Wendungen, die man erst begreift, wenn sie bereits geschehen sind.
Die Fünfte Frau
Gesanglich mag es schwer sein, bereits vor der Premiere ein Urteil zu fällen. Zu Anfang wurde gewarnt, dass einige der Schauspieler ihre Stimme bei der Generalprobe für den großen Auftritt am folgenden Tag schonen wollen. Trotz dieser Entschuldigung ist der stimmliche Unterschied zwischen den Akteuren überdeutlich. Gerade die weiblichen Hauptcharaktere Linda Wallander (Lisbeth Rasmussen Juel) und Thérèse Wincent als Priesterin Christina Berglund übertrumpften ihre männlichen Pendants. Man kann nur hoffen, dass sich die eine oder andere flatternde Stimme – vor allem bei den Solisten aus dem Polizeipräsidium – heute Abend beruhigt hat.
Generell fällt der Eindruck allerdings positiv aus. Bühnenbild und Beleuchtung treffen den Ton der Oper und sind nicht zu aufdringlich. Außergewöhnlich ist auch die Einbindung der gewaltigen Flachbildschirme, die sowohl als Fenster in die Vergangenheit, als auch als tatsächliche Kirchenfenster dienen. Gerade in Hinblick auf Wallanders Demenz trägt der Medienwechsel von Bühne zu Bildschirm wesentlich zum Erfolg der Oper bei.
Die Brandmauer
Zum Schluss noch ein Warnung. Auch wenn das Ambiente der neuen Aula die Atmosphäre hervorragend unterstützt, ist die Akustik eine Katastrophe. Wie es in Opern üblich ist, wird ohne Mikrophon gesungen und dementsprechend schwer fällt es den Solisten, gegen einen vollbesetzten Chor und ein Orchester anzusingen. Ohne den eingeblendeten Text über der Bühne ist es beinahe unmöglich der Handlung zu folgen, da diese des öfteren auch zwischen Gegenwart und Vergangenheit springt. Wer das Pech hat sich nur einen Platz auf der Galerie sichern zu können, kann in der ersten Pause auch genauso gut nach Hause gehen. Nicht nur ist der Gesang unverständlich, der für das Verständnis unverzichtbare Text ist nicht zu lesen. Erst nach Minuten des genauen Hinhörens fällt einem auf, dass die Sprache weder Deutsch noch Schwedisch ist, sondern Englisch.
Wer sich jetzt berufen fühlt, eine Vorstellung zu besuchen, sollte sich beeilen sich eine Karte zu kaufen, denn das Stück wird nur noch Freitag, Samstag und Montag aufgeführt, bevor es weiter nach Ystard zieht. Empfehlenswert ist auch die Wallander Webdoku, die von den MeWi-Masterstudenten produziert und von der Landesanstalt für Kommunikation mit dem Digital-Journalismus-Preis ausgezeichnet wurde.
Titelbild von Lukas Kohmann und Vincent Schulz.