Urlaub in Italien: Eine Liebeserklärung an Turin, die Stadt mit dem kleinen Stier.

Eigentlich müsste es „Amore mio“ heißen und nicht „Mon Cherie“, wenn sich eine italienische Süßwarenfirma von Jahr zu Jahr mit der in ihrem Praliné enthaltenen „Piemontkirsche“ brüstet. Denn erstens gibt es diese Kirsche als solche gar nicht. Und zweitens, noch viel wichtiger: Das Piemont liegt in Italien und nicht in Frankreich, und mitten in ihm wiederum Turin. Die frühere Hauptstadt Italiens findet sich von den Alpen umrahmt im Nordwesten des Landes, am vorderen Kragen des „Stiefels“. Den italienischen Namen verdankt sie ihrem Wappentier, dem Stier. Übersetzt bedeutet „Torino“ so viel wie kleiner Stier. Kirschen gibt es hier mehr als genug, vor allem auf dem großen und großartigen Markt der Porta Palazzo. Definitiv einen Besuch wert, für den, der in „Torino“ weilt und frische, lokale Produkte schätzt.

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Der Stier ist überall in der Stadt präsent

Der Atem der Industrie

Die eben erwähnten Alpen zeigen sich gegen Abend am besten sichtbar, tagsüber verstecken sie sich hinter einem Schleier, für den sie selbst nichts können: Smog. Dieser liegt in den zahlreichen Autos und der langen Historie als Industriestadt Turins begründet. Die weißen Sohlen meiner Schuhe sind tiefschwarz vom Feinstaub und ein Fahrradfahrer mit Mundschutz flitzt an mir vorüber. Keine geringeren als die auf ihrem Markt als feste Größen etablierten Firmen wie Lavazza beim Kaffee, Martini bei Sprituosen, Fiat und Lancia im Automobilbereich und Kappa im Feld der Bekleidung nennen Turin ihr Zuhause. Der prägenden Automobilindustrie wird im Nationalen Automobilmuseum äußerst würdig und liebevoll Sorge getragen. Pertolheads werden sich dort mehr als gut aufgehoben fühlen. Die internationale Sammlung überzeugt durch ihre ausgewogene Auswahl und schöne Präsentation.

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Hier schlagen Autoliebhaberherzen höher

Das kulturelle Herz

Aber auch für die architektonisch und kulturell Begeisterten bietet die Stadt mit dem kleinen Stier viele Attraktionen. Das markanteste historische Bauwerk stellt wahrscheinlich die weithin sichtbare Mole dar. Die als Synagoge für die jüdische Gemeinde im neunzehnten Jahrhundert begonnene Kuppel beherbergt unter ihrem markanten Dach nun das nationale Kinomuseum. Ein weiteres museales Highlight ist das in der Nähe gelegene Museo Egizio, das sich ausschließlich auf die Ägyptologie fokussiert. Neben diesem findet sich die ebenfalls beeindruckende Galleria San Federico, deren Galeriebögen und Geschäfte zum Staunen und Verweilen einladen. Verschiedene Schlösser der Herzöge von Savoyen und des späteren Königreichs Sardinien-Piemont zeugen ebenfalls von der großen kulturellen Bedeutung Turins. Zwischen all diesen Attraktionen rattern währenddessen die nimmer müden Straßenbahnen auf und ab. Mehr als genug Kultur, um eine ganze Woche ausreichend auszufüllen.

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Die Galleria San Federico lädt zum Staunen und Verweilen ein

Am Po gelegen, nicht am…

Außerhalb der Kernstadt, auf dem gleichnamigen Berg gelegen, bietet die Wallfahrtskirche Superga ein faszinierendes Panorama über das weitläufige Stadtgebiet und die umschließenden Alpen. Neben Industrie und Architektur zeigt sich von dort aus eine weitere formende Kraft in der Geschichte Turins. Die beiden Flüsse Dora und der bekanntere Po umfließen das Stadtzentrum. Doch nicht nur in dieser Form ist das Wasser in der Stadt präsent, vielmehr begegnet man dem kühlen Nass an nahezu jeder zweiten Ecke aufs Neue. Öffentliche Trinkbrunnen spenden aus dem Maul des ebenfalls immer wieder anzutreffenden „Torinos“ eine stets willkommene Erfrischung. Für diese kostenlose Wasserversorgung sind Turiner und Touristen wie ich gleichermaßen dankbar, besonders wenn es in der Tallage wie so oft sommerlich schwül ist. Sirrend ziehen die zahllosen Mauersegler ihre wilden Bahnen oben zwischen den Häuserfronten.

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Selbst die Straßenbahn passt zum Flair der Stadt

Großer Sport und eine große Tragödie

Sportlich gesehen spielt Turin nicht nur in der ersten Liga, sondern in der Champions League. Die amtierenden italienischen Meister von Juventus Turin um Sami Khedira dürften den meisten ein Begriff als Gegner der Bayern aus München sein. Doch Turin ist nicht auf Juventus zu reduzieren, es weist auch einen anderen bedeutenden Fußballclub in seiner Geschichte auf: Den AC, genannt „Grande Torino“. In den 1940er-Jahren gewann die Mannschaft fünfmal in Folge den Ligatitel, ehe ein furchtbares Unglück für das traurige und abrupte Ende einer Ära sorgte. Beim Anflug auf den lokalen Flughafen zerschellte am 4. Mai 1949 bei starkem Nebel die Maschine der Mannschaft am bereits erwähnten Hausberg Superga, wobei alle Insassen ums Leben kamen. Auf einen Schlag wurde nahezu die gesamte Mannschaft des AC Torino und ein beträchtlicher Teil der Italienischen Nationalmannschaft dahingerafft. Heute lebt das sportliche Erbe dieser Mannschaft im FC Turin weiter, welcher sich jedoch schwertut, an vergangene Erfolge anzuknüpfen. Unter den Tisch fallen darf bei sportlicher Betrachtung Turins keinesfalls die Ausrichtung der XX.Olympischen Winterspiele vor zehn Jahren, an welche auch deutsche Sportler gute Erinnerungen haben.

Torino, amore mio!

Torino – eine Herzensangelegenheit

Nun jedoch zu dem, was eine Stadt wirklich ausmacht. Industrie hin, Kultur her; Architektur da, Sport dort. Was wäre die Stadt Turin ohne ihre Menschen? Sie wäre nicht halb so schön und liebenswert, denn selten habe ich mich so freundlich aufgenommen und wohl in einer fremden Stadt gefühlt wie in Turin. Ungezwungen einen Espresso, eine Pizza oder ein Eis auf einem der vielen Plätze in der Innenstadt zu genießen, ist wohlmöglich die Krönung einer Reise nach Turin.

Man muss die Stadt erleben, um es zu verstehen. Und wie sagte schon der Fuchs in „Der kleine Prinz“ des Franzosen Antoine de Saint-Exupery: „Man sieht nur mit dem Herzen gut.“ Das gilt auch in Italien. Und jeder, der den kleinen Stier im Herzen des Piemont besucht, tut gut daran, diesem Rat zu folgen.

Fotos: Marko Knab

Bild Strichmännchen: https://flic.kr/p/JvbCUg

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