Am vergangenen Dienstag startete die Vortragsreihe „Politik ist überall“ von POLIS, dem Förderverein für Politikwissenschaft in Tübingen. Auf dem Programm stand ein Vortrag über den Serienhit „The Walking Dead“. Soziologie Dr. Peter Bescherer bringt „The Walking Dead“ mit der Frage nach dem derzeitigen Angstpegel in unserer Gesellschaft in Verbindung.
(Entwarnung: Dieser Artikel wird keinerlei Spoiler enthalten)
Erst kürzlich startete die siebte Staffel der Erfolgsserie „The Walking Dead“ mit einem großen Knall. Der Cliffhanger der vorangegangenen Staffel war unerträglich und die Auflösung wurde von der Fangemeinde sehnlichst erwartet. Ein Sturm an Beiträgen flutete am Ausstrahlungstag der ersten Folge das Internet. „Lucille“ hatte ihr Opfer gefunden. Die zum Zerreißen gespannte Atmosphäre zerplatzte mit einem ungläubigen Keuchen der Zuschauer.
„It’s all about survival now“
Doch die Serie kann mehr. Sie bietet Anhaltspunkte für eine dezidierte Auseinandersetzung. Die Kombination aus verschiedenen Genreelementen, von Horror über Sci-Fi bis hin zum Road Movie und Western, ist ein Grund, der die Serie so erfolgreich gemacht hat. Doch aus ihr lassen sich auch Lehren für die heutige Gesellschaft ziehen.
Die Serie bietet den Zuschauern eine Plattform, die die „Sehnsucht nach dem wirklichen Leben, abseits des Alltags“ befriedigt, erklärt Bescherer, „hier zeigt sich, wer wir wirklich sind“. Und das vom sicheren Sofa aus. Dieser Offenbarungscharakter macht die Serie aus, sie zeigt den Zuschauern den „metaphorischen Zusammenbruch sozialer Strukturen“.
Die Hybris des Menschen
Die Zombies, die in der Serie stets nur als „Walker“ oder „Biter“ bezeichnet werden, stellen eine „Spiegelung der menschlichen Hybris“ dar. Sie zeigt den Punkt, an dem Sicherheitsapparate zur Sicherheitsbedrohung werden. Das einst noble Ansinnen eines Impfstoffs gegen ein Virus mutiert zur globalen Seuche. Die Menschheit ist Vergangenheit. Die wenigen Überlebenden stehen einer Masse an Zombies gegenüber.
„Eine Bedrohung kommt oft massenhaft daher“, erklärt Bescherer eine Theorie, auf die er sich stützt. Und genau hier lässt sich eine Verbindung in die reale Gegenwart schlagen. Die Flüchtlingswelle, die Aufstände in den französischen Banlieues oder die brandaktuelle Thematik um Trump, der im mittleren Westen der USA starken Zuspruch gefunden hat. Dies alles sind Massen, in denen es keine Rolle spielt, ob sie politisches Bewusstsein mitbringen oder nicht. Das individuelle Verhalten verschwindet und die Masse handelt „per Ansteckung“. Wie die Zombies in „The Walking Dead“.
Der katharsische Moment
Das Handeln der Überlebenden rückt in der Serie mehr und mehr in den Vordergrund, die Massen an Zombies in den Hintergrund. Schnell kristallisieren sich rivalisierende Gruppen heraus, die gegeneinander um Ressourcen und um ihr Überleben kämpfen. Die ethisch-moralische Diskussion drängt sich dem Zuschauer förmlich auf. Es wird immer wieder die Grenze zur Menschlichkeit exemplarisch durchgespielt und so die Werte unserer Zeit diskutiert.
Die soziale Ordnung ist nicht mehr vorhanden, vieles spielt sich nur noch um Loyalitätsverpflichtungen „seiner“ Gruppe gegenüber ab. Ist es legitim einige wenige für das Überleben vieler zu opfern? Wo definiert sich in einer postapokalyptischen Welt die persönliche Freiheit? Hieraus kann eine neue Chance entstehen, „ein katharsischer Moment“, so Bescherer, doch der Riss in der Menschlichkeit wird sich niemals gänzlich schließen können. Auch der Protagonist Rick Grimes hat einen Moment der Klarheit, in dem er sagt: „We are the Walking Dead“.
Weiterführende Infos:
POLIS Förderverein für Politikwissenschaft an der Universität Tübingen E.V.
https://www.facebook.com/PolisTuebingen/
Der nächste Vortrag „Mass Effect, Bio Shock und Deus Ex: Human Revolution: transhumanistische Utopien? Über Körperfreiheiten und -normen in digitalen Spielen“ findet am 1.12.2016 um 20 c.t. in Raum 124 im IfP statt.
Titelbild: Christopher Kübler.