Kaffee trinken oder Mittagessen gehen, ohne die Hilfe anderer? Für viele Querschnittsgelähmte ist das undenkbar. Tübinger Forscher haben ein Exoskelett entwickelt, das Betroffenen ermöglicht, ihre Hände wieder zu benutzen.
Bei querschnittsgelähmten Menschen kommen die Befehle, die ihr Gehirn aussendet, nicht mehr bei allen Körperteilen an. Viele Betroffene sind auf einen Rollstuhl angewiesen und können zwar noch Schultern und Arme bewegen, kämpfen jedoch oft mit Lähmungen der Hände. Einfache aber präzise Bewegungen, wie eine Tasse zu halten oder Besteck zu benutzen, sind nicht mehr möglich.
Ein Tübinger Forscherteam um Dr. Surjo Soekadar aus der Arbeitsgruppe Angewandte Neurotechnologie hat in internationaler Zusammenarbeit nun eine neue Entwicklung vorgestellt, die Querschnittsgelähmten im Alltag helfen soll: Ein Hand-Exoskelett, also eine Art Roboterhand, die den Betroffenen die Kontrolle über ihre eigenen Hände zurückgibt.
Wie funktioniert’s?
Einfach gesagt, besteht ein Exoskelett aus künstlichen Knochen, die gelähmte Körperteile von außen umschließen. Das Exoskelett – und damit auch das gelähmte Körperteil – können vom Patienten per Gedanken selbst gesteuert werden. Damit das funktioniert, haben Dr. Soekadar und sein Team Systeme entwickelt, die die Hirnströme und Augenbewegungen des Patienten auswerten und an die Roboterhand weiterleiten. Ein großer Vorteil des Tübinger Systems ist, dass keine Operation notwendig ist, denn die Signale des Patienten werden nicht etwa über Hirnimplantate gemessen, sondern über eine Kappe, die die Patienten einfach auf dem Kopf tragen.
Alltagstauglichkeit noch verbesserungswürdig
In einer Studie, die im Fachmagazin Science Robotics veröffentlicht wurde, hat das Tübinger Forscherteam seine Entwicklung erfolgreich an sechs Patienten getestet. Ausgerüstet mit dem Hand-Exoskelett stellten die gelähmten Teilnehmer nicht nur im Labor, sondern auch beim Mittagessen im Restaurant ihre neugewonnene Selbstständigkeit unter Beweis. Doch wie alltagstauglich ist die Erfindung wirklich? Kann die Roboterhand funktionieren, ohne dass ein Forscherteam sie permanent kontrolliert und einstellt?
Schon jetzt sind das Exoskelett und die daran angeschlossenen Geräte klein und leicht genug, um im Rollstuhl mitgeführt zu werden. Allerdings ist die Roboterhand noch sehr klobig, die Verkabelung und die Messkappe, die die Patienten tragen müssen, sehr auffällig. Die Tübinger Wissenschaftler planen deshalb in ihrem nächsten Schritt „die Entwicklung intelligenter, kontext-sensitiver und kosmetisch völlig unauffälliger Systeme“, erklärt Dr. Soekadar.
Wunderbare Wissenschaft auch auf YouTube
Die Uni Tübingen hat Dr. Soekadars Forschung zur Roboterhand, die Gelähmte wieder greifen lässt, übrigens pünktlich zum Nikolaustag öffentlich gemacht. Wem das noch nicht Weihnachtswunder genug ist, der sollte sich unbedingt noch auf dem YouTube-Kanal des Labors umsehen – in den dort veröffentlichten Videos kann man bestaunen, wie die eigentlich gelähmten Patienten dank ihrer Roboterhand eine Tasse zum Mund führen, problemlos mit einer Gabel hantieren und glücklich eine hauchdünne Scheibe Chips nach der anderen mit den Fingern essen.
Titelbild: Nicola Vitiello.