Hinter dem Landratsamt in Tübingen befindet sich eine bunt bemalte Containersiedlung. Hier wohnen unter anderem Geflüchtete aus Syrien und Gambia. Sie berichten von ihrer gefährlichen Reise durch die Wüste, den Weg übers Mittelmeer und ihrem Leben in Tübingen.
Zigarettenqualm liegt in der Luft, aus den Handyboxen ertönt gambische Musik. Die Jungs schreien sich gegenseitig an – Muhammad hat wieder geschummelt. Statt einer hat er zwei Karten weggelegt. Modo lacht sie aus, dreht sich zu Maxi und flüstert lächelnd: „Idiots“. Ibrahim steht vor dem Herd, der Tee ist fertig. „Drink!“, sagt er und reicht mir das bittere Getränk. Zuvor haben wir alle gemeinsam aus einem großen Teller Reis und gekochtes Fleisch gegessen. Die Jungs, das sind Geflüchtete aus Gambia: Modo, Amadi, Ibrahim, Muhammad und Yusuf. Mit 18 Jahren ist Muhammad der Jüngste unter ihnen – der Älteste, Yusuf, ist 23 Jahre alt. Ihre Unterkunft, eine bunt bemalte Containersiedlung, befindet sich in der Nähe des Tübinger Landratsamtes. Seit zwei Jahren leben sie in Deutschland.
Muhammad kann von mehr als einem Flüchtlingsheim erzählen, in dem er die letzten Jahre gewohnt hat. Selten konnte er lange an einem Ort bleiben. Sein Asylverfahren läuft noch. Eine von voraussichtlich drei Anhörungen hat stattgefunden. Er schlafe oft und lange, sagt er. Wenn die Jungs nicht da seien, habe er meist nicht viel zu tun. „I can´t work“, sagt Muhammad. Weil er kein deutsch spricht, kann das Jobcenter ihn nicht vermitteln. Deshalb lernte er früher am Abend mit Maxi Deutsch. Maxi ist ein Student aus Tübingen. Jede Woche trifft er sich mindestens einmal mit den Geflüchteten und bringt ihnen Deutsch bei. Der Unterricht findet in Muhammads Zimmer statt. Das etwa 14 Quadratmeter große Zimmer teilt sich der 18-Jährige mit einem anderen Jungen – keine Privatsphäre. Kahle Wände, ein Tisch, ein Röhrenfernseher, zwei metallene Betten und Schließfächer, die als Kleiderschränke dienen, mehr haben sie nicht.
Fünf Länder, die Wüste und ein Meer
Muhammad erzählt von seiner Reise nach Deutschland. Seine sonst heitere Miene verhärtet sich, seine Sätze werden kürzer. Der Blickkontakt fällt aus, während er von seinem Werdegang erzählt: Von Gambia ging es in den Senegal, von dort nach Mali und weiter durch Burkina Faso. Anschließend ging die Odyssee von Niger nach Lybien. „The desert was very dangerous, too warm and too cold“, berichtet Muhammad von den Strapazen der Wüste. Lybien war die letzte Station in Afrika, dort begann die Bootsfahrt Richtung Europa. Alleine, ohne einen Bekannten, machte er sich auf den Weg nach Europa. „I was 16 years old“, sagt er. Seine Mutter und eine Schwester ließ er in der Heimat zurück. Er berichtet von der Überquerung des Mittelmeeres, etwa 120 Leute seien auf dem Boot gewesen. Ein Jahr habe er in Italien verbracht, sah die Menschenmassen, die vor Zäune gedrängt darauf warteten ins Landesinnere zu dürfen.
Sicheres Europa
Er wollte nach Europa, an jenen Ort, an dem es den Menschen besser ginge und das Leben sicherer sei – das sei, was in Gambia von Europa erzählt werde, sagt Muhammad. Von Italien aus ging seine Odyssee weiter, bis er zuerst in Sigmaringen und später in Tübingen leben durfte. Seinem Gesicht merkt man an, dass er über all das nicht reden will. Er wird wütend, empört sich über die Menschen: Fast täglich müsse er Fragen beantworten, immer wieder wolle jemand von seiner Reise, seinen Beweggründen und seiner Herkunft hören. „Question, question, question“, sagt er mit lauter werdender Stimme. Fremde würden ihn nach Dingen fragen, über die er nicht mal mit seinen Freunden spreche, ob er eine Familie habe, wie es dieser denn jetzt ginge: „Was interessiert die das?“, fragt mich Muhammad.
Deutsch lernen ohne die Deutschen
Yusuf, ein Mitbewohner Muhammads, berichtet von ähnlichen Erfahrungen. Davon, wie er einmal einen Passanten nach Hilfe fragen wollte, doch dieser erschrocken zurückgewichen sei und nicht mit ihm reden wollte. Oder wie er manchmal auf dem Weg in seine Unterkunft Anwohner begrüße, die in der Nähe des Landratsamtes wohnen. Diese würden die Begrüßung meist nicht erwidern. „Ich bin Mensch, du bist Mensch. Warum machst du so?“, fragt sich Yusuf. „Ich geb auf, kann das nicht mehr“, sagt er. „Ich habe oft versucht mit Leuten hier zu reden, sie wollten nie.“ Yusuf ist enttäuscht. In Gambia würden die Leute auf Fremde zukommen, sie würden mit ihnen sprechen, sie nicht ignorieren. Er findet es eigenartig, dass die Leute in Deutschland so kalt zueinander seien. Doch er berichtet auch, wie froh er darüber sei, mal mit Leuten aus Deutschland sprechen zu können, freut sich darüber, wenn er seine Sprachfertigkeiten im Gespräch ausbauen kann. Er habe nicht oft die Möglichkeit dazu.
Wer sich weiter mit dem Thema „Geflüchtete in Tübingen“ befassen will oder mithelfen will, ihre Lage zu verbessern, der wird auf der Website des Landratsamtes fündig: https://www.kreis-tuebingen.de/,Lde/308939.html
Fotos: Alieren Renkliöz