Eine geeignetere Person für eine Veranstaltung zu Pressefreiheit in Nah-Ost kann man sich nicht denken: Am Samstagabend war Can Dündar – türkischer Journalist im deutschen Exil – zu Gast um mit Daniel-Dylan Böhmer, Redakteur der „Welt“, und Suleiman Abu Dayeh von der Friedrich-Naumann-Stiftung zu diskutieren.
Als Can Dündar den Saal betritt, bricht das Publikum in langen Beifall aus. Menschen beugen sich vor, um seine Hand zu schütteln. Man kann sagen, Can Dündar wird ein bisschen wie eine Held begrüßt. Betrachtet man das unglaubliche Engagement, mit dem er seit Jahren für die Pressefreiheit kämpft, ist diese Annahme auch nicht weit hergeholt. Durch seine Erfahrungen ist er prädestiniert dafür, auf dieser Veranstaltung zu sprechen: Anlässlich des 5. Jahrestages der Verhaftung des arabischen Bloggers Raif Badawi gab es am vergangenen Wochenende mehrere Veranstaltungen, die die Pressefreiheit und die Rechte der Journalisten behandeln. Eine davon war die Podiumsdiskussion am Samstagabend, an der außer Can Dündar, ehemaliger Chefredakteur der türkischen Zeitung Cumhuriyet, auch Daniel-Dylan Böhmer, Redakteur der „Welt“, und Suleiman Abu Dayeh von der Friedrich-Naumann-Stiftung in Vertretung für Dr. Elham Manea teilnahmen.
Der Journalist Peter Welchering moderierte die Diskussion und leitete den Abend mit einer Vorführung des ZDF-Dokumentarfilms „Pulverfass Türkei – Zwischen Demokratie und Diktatur“ ein. Der Film veranschaulicht die aktuelle Situation der Türkei sowie die Veränderungen, die der Putschversuch im Juli 2016 mit sich brachte. Auch ein Cumhuriyet-Artikel zu illegalen Waffentransporten der Türkei nach Syrien wird im Film behandelt. Dieser Artikel war der Grund, weswegen Can Dündar auf Anklage von Erdogan hin im Gefängnis saß. Ein Kollege Dündars sagt im Film: „Für einen Journalisten gibt es keine Geheimdokumente“. Can Dündar stimmt dem in der nachfolgenden Diskussion zu: Ja, es gab einen Landesverrat. Aber: „Landesverrat hat die Regierung begangen, nicht wir.“ Ein Journalist müsse sich zwei Fragen stellen, wenn ihm Informationen vorliegen: Erstens, stimmt es? Zweitens, ist es für das Volk von Interesse? Wenn beides mit Ja beantwortet werden könne, sei es die Pflicht eines Journalisten, diese Informationen zu veröffentlichen.
„Erdogan ist nicht die Türkei“
Die Lage der Türkei und die zukünftigen Entwicklungen dort schätzen die Experten als schwierig ein. Erdogan werde immer autoritärer, meint Daniel-Dylan Böhmer. Es sei „gespenstisch zu sehen, wie die Öffentlichkeit manipuliert werde“. Erdogan simuliere ständig den Ausnahmezustand, um die Öffentlichkeit glauben zu machen, ohne ihn würde das Land im Chaos versinken.
Die Türkei verändere sich außerdem schnell, räumt Can Dündar ein. Er zählt Menschen auf, die in dem Film gezeigt wurden; Minister, Journalisten, die nun ihres Amtes enthoben sind oder im Gefängnis sitzen. „Erdogan kontrolliert alles“, sagt er, „wir haben nur unseren Willen zum Widerstand“. Dündar erzählt, wie Erdogan in den 90er-Jahren in einem Interview verlauten ließ, was er von der Demokratie hielt: Er „glaube nicht an die Demokratie“. Doch Dündar betont: „Erdogan ist nicht die Türkei“. Er habe bei dem Referendum im normalerweise für ihn stärksten Wahlbezirk verloren. Die Türkei sei gespalten in junge, urbane, gebildete Menschen und ältere, eher ungebildete Menschen aus ländlichen Gebieten, ähnlich wie in den USA derzeit. Suleiman Abu Dayeh behauptet, die Türkei sei „auf der Suche nach der eigenen Identität“, wisse nicht recht, wohin sie wolle. Er prognostiziert, dass „Europa sich mit Erdogan arrangieren“ wird.
Kritik an Merkel und dem Europäischen Gerichtshof
Als die Frage aufkommt, wie Deutschland reagieren sollte auf Erdogan und die gefangenen Journalisten, zeigt sich Dündar enttäuscht von der deutschen Kanzlerin. Deutschland sende „falsche Botschaften an die Türkei“. Bei ihrem Türkeibesuch hätte sie die zu Unrecht verurteilten Journalisten und die mangelnde Pressefreiheit in der Türkei ansprechen sollen, was sie nicht getan hat. Dahingehend lobt er den frisch gewählten Präsidenten Frankreichs, Emmanuel Macron. Dieser habe bei seinem Besuch in der Türkei entschieden auf die Freilassung eines französischen Journalisten beharrt – mit Erfolg: Zwei Tage später war dieser wieder auf freiem Fuß. Natürlich ist auch Deniz Yücel, der deutsch-türkische Journalist der „Welt“, Teil der Diskussion. Dündar erzählt, wie er ihn vor dessen Verhaftung getroffen hatte und Yücel ihm versichert habe, ihm könne nichts passieren, denn er habe ja einen deutschen Pass.
Dündar äußerte außerdem Kritik am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Dieser weist türkische Klagen ab mit der Begründung, man solle die Klage zuerst in der Türkei einreichen und erst nach dortiger Ablehnung sich wieder an den EuGH wenden. Bei Nachfrage von Dündar in Straßburg gab man ihm die Antwort: wenn man die türkischen Klagen annehmen würde, wäre es aufgrund der unglaublichen Menge der Klagen nicht möglich, alle zu bearbeiten. Dabei könnte sich das Leben so vieler türkischer Journalisten durch ein solches Urteil komplett ändern, so Dündar.
„Ich kenne nur eine Demokratie, und diese verteidige ich!“
Was bei allen Antworten von Can Dündar klar wird: Er ist trotz, oder vielleicht auch gerade wegen der einschneidenden Erlebnisse der letzten Jahre überzeugt von dem Konzept der Demokratie und deren Umsetzbarkeit in seinem Heimatland. Er ist der Meinung, es gebe keine Kultur, die nicht demokratisch sein kann. Im Film war ein Mitschnitt des Attentats auf ihn zu sehen, bei welchem ein Mann versucht hatte, ihn zu erschießen. Seitdem ist er, wie auch an diesem Abend, in ständiger Begleitung, um seine Sicherheit zu garantieren. Es hat einen bitteren Beigeschmack, dass ein Journalist in der heutigen Zeit auf einer friedlichen Diskussion zu Pressefreiheit Schutz benötigt. Dennoch ist Dündars Botschaft nicht etwa, Hass zu verbreiten. Ganz im Gegenteil: Man solle das Böse mit Gutem bekämpfen. Dazu gibt er ein bildliches Beispiel: Wenn die Welt eine Waage ist, dann befinden sich in der einen Waagschale Menschen wie Erdogan oder Putin. Auf der anderen Seite jedoch sind „Menschen, die an Menschenrechte und Demokratie glauben“. Und je mehr Menschen es auf dieser Seite gibt, desto weniger Macht erhalten jene auf der anderen Seite. Man dürfe die Länder nicht in die Hände von Diktatoren geben – so seine Botschaft.
Fotos: Felix Müller.