Der Rechtspopulismus ist eine Bedrohung für die grundlegende Verfasstheit unseres Rechtsstaates. Daran lässt Sabine Leutheusser-Schnarrenberger keinen Zweifel. Im Rahmen der Eschenburg-Vorlesung, einer jährlich stattfindenden Veranstaltung der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät, referierte sie zu Rechtspopulismus und seinen Gefahren für Deutschland und Europa.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist eine Person „mit Rückgrat“, mit Ecken und mit Kanten. Nicht nur trat sie 1996 freiwillig von ihrem Posten als Bundesjustizministerin im Zuge der Abhöraktionen des „Großen Lauschangriffs“ zurück, die langjährige Bundestagsabgeordnete der FDP kritisierte sogar als eine der wenigen deutschen Politikerinnen den Umgang der Obama-Administration mit Nachrichtendiensten. Sie scheint somit eine freiheitliche Demokratin durch und durch zu sein, die an diesem Donnerstag in der Alten Aula zu ungefähr 180 Zuschauern sprach.
Ein Gespenst geht um in Europa
Nicht erst seit der Wahl der AfD in den Bundestag, haben rechtspopulistische Bewegungen Auftrieb in der Welt. Ob der Front National in Frankreich, die Ukip in Großbritannien oder die PiS in Polen, die Rechten erstarken in ganz Europa. Doch was zeichnet Rechtpopulismus überhaupt aus? Leutheusser-Schnarrenberg gibt auf diese Frage zu Beginn ihres Vortrags ihre Antwort: Populismus an sich ist mehr ein Stilmittel als eine Ideologie, das vor allem mit unterkomplexer Argumentation, Dramatisierung und einem provokanten Sprachstil arbeitet. Eine wichtige Rolle spielt außerdem, die Regierenden als Antagonisten oder sogar Feinde des Volkes darzustellen. Wir hier und die da oben. Ein Spiel, das von vielen rechtspopulistischen Parteien Europas gespielt wird oder wurde.
Genau aus diesem Grund konnte sich dieser Politikstil in so unterschiedlichen Systemen etablieren: Er ist flexibel. Anwendbar auf jedweden kulturellen und politischen Rahmen. Leutheusser-Schnarrenberger zitiert hier den Politikwissenschaftler Paul Taggart, der den Populismus als Politikstil mit „leerem Herz“ bezeichnet. Die eigentlichen Beweggründe der Neuen Rechten bezeichnet sie als „Angriff gegen die freiheitliche Ordnung“.
Das „Wir“ und das „Die“
Während die PiS in Polen die freiheitlich demokratische Grundordnung Stück für Stück abschafft, fordert der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban eine „illiberale Demokratie“. Leutheusser-Schnarrenberger sieht hier die wahre Front, die von den rechtspopulistischen Parteien geschaffen wird. Durch sukzessive Diskurserweiterung (man denke an die von der AfD angestoßene öffentliche Debatte zum Begriff „völkisch“) sollen die durch unsere Verfassungen garantierten individuellen Freiheiten zugunsten eines kollektiven Gemeinwohls ersetzt werden. Das aber für dieses Kollektiv Grenzen gezogen werden müssen, also Menschen vom „homogenen Volkskörper“ ausgeschlossen werden müssen, erklärt sich von alleine. Ob Flüchtlinge, Homosexuelle, Gläubige anderer Religionen oder strukturschwache Regionen innerhalb eines Landes, „der Erfolg der Rechtspopulisten basiert auf dem Schaffen von Feindbildern“. Verschiedenheit ist grundsätzlich erst einmal verdächtig. Eine Weltsicht, die gerade in Zeiten der Globalisierung international eine schaurige Renaissance erlebt. Wie aber soll mit solchen Tendenzen umgegangen werden?
Wehrhafte Demokraten
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger stellte gegen Ende ihres Vortrags klar, dass ein Ignorieren dieser Parteien keine Wirkung erzielen wird. Es gebe der Neuen Rechten nur Anlässe zu einem politischen Märtyrertum. Ebenso wenig wird die „Nazikeule“ helfe, da diese undifferenzierte Sicht dazu beitrage, rechtspopulistische Parteien in ihrer Opferrolle zu bestärken. Die ehemalige Justizministerin fordert viel mehr „wehrhafte Demokraten“, die für einen Patriotismus ohne Land und Volk, sondern mit Verfassung und Grundrechten einstehen. In ihrer eher pathetischen Schlussrede pocht sie auf Maßnahmen zur besseren Bildung in diesem Bereich. Die Gesellschaft solle wieder lernen ihre freiheitlich demokratische Grundordnung zu verteidigen.
Mit diesen Gedanken beendete die ehemalige Bundestagsabgeordnete die Eschenburg-Vorlesung und leitete damit eine angeregte Diskussion von Studierenden, Dozenten, Professoren und anderen Gästen bei Sekt und Brezeln ein. Der allgemeine Tenor lautet also, Rechtspopulisten mit liberalen Argumenten zu stellen und somit unserer demokratischen Grundrechte zu verteidigen.
Ich laufe nach Hause und das Thema klingt in meinen Gedanken nach. Wehrhafte Demokraten sein… Während singende Kinder mit selbst gebastelten Laternen an mir vorbei ziehen, frage ich mich, wieso wir es zulassen, dass Identitäre in unsere Mensa einbrechen und mit ihrem Plakat den Campus für sich beanspruchen. Wo sind die wehrhaften Demokraten, die Verfassungspatrioten, wenn nicht einmal die Universitätsleitung gegen rechtsgesinnte Straftaten in ihrem Zuständigkeitsbereich vorgehen möchte?
Fotos: Marko Knab