Einmal pro Jahr kurz vor Weihnachten rutscht bei mir ein Gruppenchat hoch, der sonst unbenutzt in den Tiefen von Whatsapp verborgen bleibt. Es ist die „ABI 2014“-Gruppe, die damals für allerlei Planung rund um die Abiturvorbereitungen entstanden ist. Jetzt dient sie nur noch einem Zweck: Dem alljährlichen Klassentreffen.
Schon die Planung ist charakteristisch: Es fängt an mit einem „Machen wir eigentlich ein Klassentreffen?“, geht in ein „Hä, ich dachte Marcel kümmert sich drum“ über und endet glücklicherweise meistens doch in „Alles klar, 19 Uhr ist reserviert“. Obligatorisch ist auch das ein oder andere Bild mit dem Titel „Sorry Leute, bin im Auslandssemester. Aber schöne Grüße aus Bali!“.
Meistens freue ich mich auf die alten Gesichter und zugegebenermaßen bin ich auch ein bisschen aufgeregt. Ich mache mir Gedanken darüber, was ich anziehe und wie ich aussehe, letztendlich möchte man sich doch von seiner Schokoladenseite zeigen.
Angekommen im kleinstädtischen Lokal, welches mit vermeintlich witzigen Trinksprüchen an den Wänden einen auf Großstadt-Hipster-Flair macht, erwarten mich schon die ersten KlassenkameradInnen mit Cocktails in der Hand.
Mein Lebenslauf in drei Minuten
Zu Zeiten von Instagram und Facebook sind die Überraschungen bezüglich des Werdegangs dann doch nicht so groß und man weiß noch ungefähr, wer was wo studiert. Die Konversationen plätschern vor sich her und beschränken sich auf zwei Themen: die gemeinsame Vergangenheit und den aktuellen Karrierestand. Ersteres ist mir lieber, weil ich fast meinen Caipi auspruste, als wir uns daran erinnern, wie wir am „Assi-Tag“ als Schantalle und Kevin-Jeremy die Klassenräume stürmten. Doch es lässt sich nicht vermeiden, dass der (duale) Student fragt: „Und, was hast du mit deinem Studium vor?“, während er ganz subtil seinen Mercedes-Schlüssel neben sein Handy auf den Tisch legt.
Oft spule ich dann meinen Lebenslauf ab, wohlwissend, dass mein Gegenüber doch erst letztens auf meinem XING-Profil war. Der verbale Kampf um die steilste Karriereleiter nimmt erst ein Ende, als die daheimwohnende Bankkauffrau den Dorftratsch auspackt.
Wie bitte? WER ist schwanger?!
Geschichten über ungewollte Schwangerschaften, plötzliche Verlobungen und das Ableben eines beliebten Lehrers bringen mich auf den neusten Stand einer Stadt, in der ich vermutlich nie wieder leben werde. Es wird mehr über Nichtanwesende gesprochen, doch ich gebe zu, dass ich heiß bin auf Neuigkeiten, die allesamt mit einem „Hast du schon gehört“ anfangen. Natürlich beteilige auch ich mich an den brüskierten „Echt jetzt?“ und „Krass.“-Antworten.
Die reine Neugier bringt mich dazu, mit Leuten zu sprechen, die nicht zu meinen engsten Freunden in der Schulzeit gehörten. Es ist ein schönes Gefühl, als der damalige Draufgänger der Stufe mir süße Pärchenbilder mit seiner Freundin zeigt und ich merke, dass er eigentlich ein netter Kerl ist. Es ist schön zu sehen, wie erfolgreich viele meiner KlassenkameradInnen sind und ich freue mich für alle, die sich ihre Träume erfüllt haben. Es macht mich glücklich, als ich um Mitternacht mit meiner Clique immer noch dasitze und merke, dass sich gar nicht so viel verändert hat, wie es zunächst scheint. Auch wenn das Klassentreffen jedes Jahr aufs neue die Bühne für die polierte Version seiner Selbst ist, lächle über alte und neue Zeiten und weiß, dass ich nächstes Jahr wiederkommen werde.
Foto: Paula Accordi