Stell dir vor, es ist Streik, und keiner kriegt es mit. Die Redaktion des Schwäbischen Tagblatts, die lokale Tageszeitung Tübingens, hat im April insgesamt eine Woche lang gestreikt. Sie fordern zusammen mit anderen JournalistInnen bundesweit mehr Geld, mindestens einen Reallohnausgleich. Doch die Verleger und Verlegerinnen sind stur.
Wer in Tübingen eine Tageszeitung liest, der kommt um das Schwäbische Tagblatt nicht herum. Die Zeitung versorgt die Abonnenten mit den neusten Nachrichten aus der Welt, dem Sport und vor allem aus der Region. Im Tagblatt an der Neckarbrücke ist es letzten Monat allerdings öfter still gewesen. Kein geräuschvolles Tippen, stattdessen schwarze Bildschirme und leere Schreibtischstühle: Die Redaktion streikte.
Mehr als nur ein Ausgleich
Seit Anfang dieses Jahres steht der neue Gehaltstarifvertrag für Journalistinnen und Journalisten in ganz Deutschland offen. Seitdem laufen die Tarifverhandlungen zwischen den Gewerkschaften Deutscher Journalisten Verband (DJV) und Deutsche Journalistinnen- und Journalistenunion (DJU) mit dem Bundesverband Deutscher Tageszeitungsverleger (BDZV).
Die Journalisten und Journalistinnen fordern eine Gehaltserhöhung von 4,5% auf 12 Monate, sowohl für feste, als auch für freie Mitarbeitende, und mindestens 200 Euro mehr für Berufseinsteiger. Die Gegenseite, der BDZV, bietet in der bereits 5. Tarifverhandlungsrunde, 3,2% auf 30 Monate. „Das sind umgerechnet ca. 1% Erhöhung pro Jahr und entspricht damit bei weitem nicht einmal einem Inflationsausgleich“, sagt Sabine Lohr, Redakteurin beim Tagblatt und stellvertretende Betriebsratsvorsitzende.
„Eine Erhöhung müsste doch mindestens einem Reallohnausgleich entsprechen. Wir fordern ein reales Plus zusätzlich zum Ausgleich der Inflationsrate!“
Steigende Gewinne aber weniger Angestellte
In den letzten Jahren mussten JournalistInnen in Deutschland harte Abstriche machen, berichtet Lohr. Neben dem fehlenden Reallohnausgleich wurden die zwei höchsten Berufsjahrstaffeln abgeschafft, also die zwei höchsten Gehaltskategorien, die ab einer bestimmten Zahl an Arbeitsjahren gültig werden. Des Weiteren wurden Abstriche beim Urlaubs- und Weihnachtsgeld gemacht.
„Die Verleger bleiben stur“, berichtet die Journalistin Sabine Lohr. Die letzte Tarifverhandlungsrunde am 25. April in Berlin. Besonders viele junge Redakteure und Volontäre reisten dorthin, um ihre Anliegen der Verlegerseite deutlich zu machen – ohne Erfolg. „Die Bilanzen der Zeitungen sind gut, das Tagblatt hat 2016 sogar einen Rekordgewinn gemacht. Gleichzeitig muss die Arbeit, die vor zehn Jahren noch 200 Mitarbeitende gemacht haben, heute von 134 übernommen werden.“
Die Öffentlichkeit bleibt weitestgehend unwissend
In der Regel erscheinen Tageszeitungen trotz Streik. Nur eine kurze Meldung auf der Leserbriefseite verwies beim Schwäbischen Tagblatt auf die streikende Redaktion. Ein Interessenskonflikt, findet Sabine Lohr.
„Wir würden unseren Lesern gerne genauer erklären, warum die Zeitung in den letzten Wochen manchmal so dünn und voller Pressemitteilungen war – aber wir streiken ja.“
Neben dem Tagblatt streikten auch zahlreiche andere Redaktionen aus Baden-Württemberg, wie zum Beispiel der Schwarzwälder Bote, die Stuttgarter Zeitung, die Esslinger Zeitung oder auch die Nürtinger Zeitung.
Dunkle Aussichten für zukünftige Medienschaffende?
Was die schwierigen Verhandlungen zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite für die Zukunft des Journalismus bedeuten, kann niemand genau sagen. Aber neben familienunfreundlichen Arbeitszeiten und einem großen öffentlichen Druck zählen zunehmend auch digitale Kompetenzen zu den steigenden Leistungsanforderungen der Branche. Doch gerade in Zeiten von Filterblasen und sozialen Netzwerken erscheint die Aufgabe des Journalismus, Informationen zu ordnen und aufzubereiten, essentieller denn je. Aus der Redaktion des Tagblatts heißt es dazu: „Der Journalismus ist ein Beruf, der viel fordert, deswegen muss er auch ordentlich bezahlt werden.“
Fotos: Daniel Böckle