Klischees gibt es nicht ohne Grund, sagt man. Deshalb schauen wir uns die Studiengänge mal genauer an. Im Mittelpunkt steht dieses Mal ein Haufen, der den Brechtbau nicht nur fashion-wise maßgeblich shaped: Die Anglistik.
Die Komplexität des Anglistikstudenten ist in wenigen Zeilen nur schwer zu erfassen. Da gibt es zum einen „Lisa, 19“ (Anm. d. Red.: trotz des inflationären Namens lässt sich diese Gruppierung weder auf ein Alter noch ein Geschlecht begrenzen), aber auch den Nerd und den Lehrämtler. Obwohl die Grenzen zwischen oben genannten Kategorien zunehmend verschwimmen, wird an dieser Stelle versucht eine kurze Charakterisierung vorzunehmen.
„To travel is to live”
Lisa, 19, hat nach dem Abitur vorzugsweise ein Jahr in Australien verbracht, deutsch verlernt und nennt sich jetzt mit breitestem Akzent einen „true Aussie“. Mit weniger Prestige verbunden, trotzdem aber noch im Qualifikationsbereich liegend, gelten Länder wie die USA, Neuseeland, Kanada und Großbritannien als Destination für einen längeren (oder auch kürzeren) Auslandsaufenthalt. Nicht selten sind daher passiv aggressive battles um den besten accent im Seminarraum zu vernehmen.
Lisa klingt selbstverständlich wie ein native speaker, das haben ihr all ihre Freunde an der amerikanischen High School, die sie während der 11. Klasse besucht hat, bestätigt. Natürlich führt sie mit diesen immer noch regelmäßige Skype-Telefonate und postet gelegentliche „Throwback-Thursday“-Bilder mit der Bildunterschrift: „Miss you guys! #bestyearofmylife #classof2012 #germangirl #tbt“ auf ihrem Instagram-Account.
Eine überdurchschnittliche Social-Media-Nutzung wird fast allen Lisa-Vertretern nachgesagt. Dementsprechend kann auch oftmals heute noch der Tumblr-Travel-Blog des ausgewählten Exemplars mit einem Blick auf die Facebook Timeline gefunden und gelesen werden – zumindest die drei Beiträge lang, die er geführt wurde. Männliche Lisas hingegen glänzen online typischerweise eher durch Fotos als durch lange Texte oder Zitate wie „to travel is to live“. Auf diesen gut inszenierten Fotos sorgen nicht selten typische Requisiten wie Strände, Surfbretter, der Grand Canyon oder braungebrannte weibliche Lisas für den gewünschten effect. Während die Gattung der männlichen Lisas in sozialen Netzwerken eher wortkarg erscheint, wird die Haut einiger nicht selten von deepen Sprüchen wie „not all those who wander are lost“ geziert – unegachtet dessen, dass viele von ihnen „J. R. R. Tolkien“ wahrscheinlich nicht einmal buchstabieren können.
To be (a nerd) or not to be (a nerd)
Ganz im Gegensatz dazu verhalten sich die Nerds, in Fachkreisen der Anglistik auch „Weirdos“ genannt. Anders als Lisa glänzt der Weirdo eher inner- statt außerhalb des Hörsaals. Auch wenn er, reichlich beschäftigt mit Videospielen und Serien, keine perfekte Aussprache bei irgendwelchen Auslandsaufenthalten erlangt hat, beeindruckt er – ganz zum Missfallen seiner Kommilitonen – Dozenten oft mit seinen Beiträgen. Jedes in der Vorlesung erwähnte Buch hat er bereits gelesen, jede zu analysierende Fernsehserie (ja, sowas macht man im Anglistikstudium) gesehen und sich zu beinahe allen Diskussionsthemen schon in Onlineforen ausgetauscht. Sein grammatikalisch fehlerfreies Englisch und beeindruckendes Vokabular hat er sich bei eben diesen Aktivitäten (in der Originalsprache!11!!) selbst beigebracht.
Wenn zur Sprachpraxis ein fünfminütiges Referat zu einem Thema seiner Wahl gehalten werden soll, dann erklärt der Weirdo seinen Kommilitonen die Spielregeln von Dungeons & Dragons oder stellt seine liebste Heavy-Metal-Band vor. Glaubt eine Herde von Weirdos unter sich zu sein, so könnten die Gespräche von Außenstehenden glatt für hoch wissenschaftliche Diskussionen gehalten werden. In Wahrheit geht es jedoch nur darum, wie Luke Skywalkers Rolle im neuen Star Wars empfunden wurde oder ob Game of Thrones den Büchern gerecht wird. Äußerlich erkennt man die Weirdos zum Beispiel an Fan-Merchandise, wie Star Wars T-Shirts oder Hoodies bedruckt mit dem Logo besagter Metal-Band. Hierbei wird in vielen Fällen nicht zwischen den Geschlechtern in Bezug auf Haarlänge und Kleidungsstil differenziert.
Teachers-to-be
Die Lehrämtler sind die am schwierigsten zu klassifizierende Gruppierung, da sie sich oftmals heimtückisch und unbemerkt einer der beiden ersten anschließen. Wer sehr aufmerksam ist, wird jedoch auch sie entlarven. Sofern sie sich nicht selbst dadurch verraten, dass nur sie, ihrem Schicksal ins Auge blickend, über die Sparwitze einiger Dozenten lachen. Die Lehrämtler – oder auch „teachers-to-be *-*“ – machen einen großen Teil des Englischen Seminars aus; was will man auch sonst mit dem Studium anfangen?
Sie diskutieren gerne über Themen, wie die Vorzüge und Nachteile von Bilingualität bei Kindern und Jugendlichen und allgemein, wer die besten fachdidaktischen Methoden auf Lager hat. Selbst sind sie jedoch die ersten, die sich über das Lernpensum beschweren, die Pflichtlektüren nicht lesen und den Dozenten bei so ziemlich jeder Aufgabe fragen, was ihnen das für später bringt. Selbstverständlich nur, um sich schon einmal in ihre zukünftigen Schülern hineinzuversetzen. Viele von ihnen studieren ausgerechnet Englisch auf Lehramt, weil sie wie die Lisas Auslandsaufenthalte hinter sich haben – oder nichts Anderes können. Gewissheit gibt ihnen der Gedanke, dass sie im Gegensatz zu den Lisas und Weirdos keine Taxifahrer werden; eine Motivation, die sich hilfreich darin erweist, das Studium zu meistern.
Während sie zwar optisch meist weniger hipster- oder nerdmäßg unterwegs sind als die beiden bereits genannten Gruppierungen, wissen die Lehrämtler trotzdem die Aufmerksamkeit im Seminarraum auf sich zu ziehen: ob mit der Frage, ob man die Überschrift auch mit grün anstatt blau unterstreichen darf oder auch mit dem lieb gemeinten Hinweis an den Lehr… äh … Dozenten, dass er irgendwo einen Buchstaben vergessen hat.
#sorrynotsorry
Was alle drei gemein haben, ist, dass sie sich beinahe ausschließlich in der Filzhölle des Brechtbaus aufhalten (die sie sich mit ähnlich wenig prestigeträchtigen Studiengängen teilen). Der Ärger darüber, dass ihr Studium von anderen nicht ernst genommen wird, vereint die Lisas, Weirdos und Lehrämtler in der Anglistik. Gegenseitig versichern sie sich, dass sowohl „Interdisciplinary American Studies“ als auch alle anderen Fachrichtungen eine Vielzahl an Karrieremöglichkeiten bieten und nur das Beste aus Sprache, Soziologie und Politikwissenschaft in sich vereinen.
Doch egal, wie sehr unsere Anglisten auch unterschätzt werden, würde sie doch niemand an der Uni missen wollen. Denn wie awkward wäre es, wenn hier niemand richtig Englisch könnte (und sein Umfeld mit Anglizismen nerven würde)? Wie trostlos wäre das Tal ohne die individuelle Vielfalt, die die Kleiderschränke der Anglisten zu bieten haben? Und wer würde nur die Universität auf Instagram repräsentieren? Deshalb, liebe Anglisten, bleibt hier nur noch eines zu sagen: sorrynotsorry.
Fotos: Leonie Müller