„Die Frage ist: Wer sind denn ‚alle‘?“ – Daniel Lede Abal im Interview Teil 1/2

Netzwerker, Experte, Ansprechpartner für alles – ein Landtagsabgeordneter muss vieles sein. Daniel Lede Abal von Bündnis 90/Die Grünen sitzt seit 2011 für den Tübinger Wahlkreis im baden-württembergischen Landtag. Im ersten Teil des Interviews berichtet er von seinem Arbeitsalltag zwischen Stuttgart und Tübingen. Außerdem geht es um die AfD, Integrationsmanager und die Frage, wie Integration gelingt.

Kupferblau: Herr Lede Abal, viele jungen Leute haben wenig Vorstellung davon, was ein Landtagsabgeordneter den ganzen Tag so macht. Wie sieht ihr Alltag aus?

Lede Abal: Das ist jeden Tag anders, aber es gibt ein paar Routinen. Im Prinzip arbeiten wir wie Bundestagsabgeordnete aber eine Etage tiefer. Bildungspolitik zum Beispiel liegt in der Verantwortung der Länder, genauso wie die Organisation und Durchsetzungsmittel der Polizei und viele Bereiche der öffentlichen Verwaltung, auch auf kommunaler Ebene. Ich bin im Fraktionsvorstand und verantworte den Bereich Personal– das heißt, ich vertrete die Fraktion als Arbeitgeber. Als einziger Landtagsabgeordneter im Wahlkreis Tübingen bin ich hier natürlich auch Ansprechpartner für Bürgermeister, für Vereine und für soziale Initiativen. Ich führe viele Gespräche mit lokalen Einrichtungen und Bürgerinnen und Bürgern.

Daniel Lede Abal wurde 1976 in Stuttgart geboren, studierte Lehramt in Tübingen und war lange Geschäftsführer einer Weinhandlung in Tübingen, bis er 2011 für Bündnis 90/Die Grünen in den Landtag gewählt wurde. Dort ist er nun  stellvertretender Fraktionsvorsitzender und Sprecher für Integration & Migration der Fraktion. Außerdem ist er Mitglied im Ausschuss für Inneres, Digitalisierung & Migration, im Ausschuss für Soziales & Integration sowie im Ausschuss für Verkehr.

Wie schaffen Sie den Spagat zwischen Stuttgart und ihrem Wahlkreis?

In Stuttgart bin ich meistens Dienstag bis Donnerstag und habe dort dann viele Termine, für den Wahlkreis bleiben dann meist Montag, Freitag und das Wochenende.

Das Wochenende geht dann also auch mit drauf?

Ich bin natürlich nicht jedes Wochenende komplett unterwegs, schließlich habe ich auch drei Kinder, um die ich mich auch kümmern will. Aber am nächsten Samstag bin ich zum Beispiel den ganzen Tag unterwegs bei einer Parteiveranstaltung in Freiburg.

Diese Woche waren wir mit dem Innenausschuss in Griechenland, zum Thema Migration und Flüchtlinge. Dort haben wir Gespräche über die Situation an den Außengrenzen geführt mit Akteuren wie NGOs bis hin zum Integrationsminister oder der Polizeibehörde.

Was für einen Eindruck hatten Sie von der Situation in Griechenland?

Was alle Gesprächspartner betont haben: Es gibt eine humanitäre Verantwortung und diese will man übernehmen. Das ist eine ganz andere Botschaft als die, die jetzt die neue italienische Regierung sendet. In Griechenland wurde uns klipp und klar gesagt: „Vor unserer Küste ertrinkt niemand, den wir retten können“. Auch wenn es nicht immer gelingt, aber der Anspruch ist da. Sie erwarten aber auch, dass Europa ihnen dabei hilft.

Die AfD ist mittlerweile die drittstärkste Kraft im baden-württembergischen Landtag. Was hat sich seit dem Einzug der AfD ins Parlament verändert?

Der Ton ist eindeutig rauer geworden. In den Jahren zuvor gab es auch harte Diskussionen und Debatten aber es gab relativ wenig Ordnungsrufe. Das hat sich jetzt massiv geändert, vor allem auf Seiten der AfD. Außerdem ist das alte Lagerdenken zwischen Grünen und SPD auf der einen und CDU und FDP auf der anderen Seite etwas aufgebrochen. Das liegt natürlich auch an der aktuellen grün-schwarzen Regierung. Man merkt, dass die vier anderen Fraktionen der Wunsch eint, die Werte unserer Demokratie sichtbar zu machen.

Kupferblau besuchte Daniel Lede Abal in seinem Wahlkreisbüro in der Poststraße.

Sie sind unter anderem Sprecher für Integration & Migration für Ihre Partei. In Zukunft soll es in BaWü Integrationsmanager für die einzelnen Kommunen geben. Wo sehen Sie die Chancen dieses Projektes?

Die Integrationsmanager sind Teil eines größeren Planes, nämlich des Paktes für Integration in den Kommunen (PIK) für die Jahre 2018 und 2019. Die Kommunen für die Integrationsaufgaben auszustatten war Wille der Landesregierung. Gleichzeitig sollten auch Vorgaben gemacht werden, um eine gleichmäßige Entwicklung zwischen Stadt und Land zu gewährleisten. Von den insgesamt 320 Millionen Euro im PIK sind die Hälfte pauschale Finanzzuwendungen, die sich an der Menge der aufgenommenen Flüchtlinge pro Kommune orientieren. Der zweite Teil ist dann für Projekte bestimmt, wie zum Beispiel Sprachkurse für Personen, die vom BAMF nicht berücksichtigt werden, sowie Eingliederungsmaßnahmen in Ausbildung und Beruf. Und eben auch die Integrationsmanager. Die Idee dafür haben wir aus der letzten Legislaturperiode von einer Kanadareise mitgenommen.

Wie funktioniert die Umsetzung des Konzeptes?

Schon im April waren gut 600 von den insgesamt 1000 Stellen besetzt. Das Konzept wird gut aufgenommen und wir haben auch viele Anfragen, was mit diesem Modell nach 2019 geschehen wird – das wissen wir nämlich auch noch nicht, weil es sich hierbei um Sondermittel des Bundes handelt. Wir sehen das Projekt auch als Modellversuch der Integrationsunterstützung in einer Einwanderungsgesellschaft. Zielgruppe sind genau die Personen, die bis jetzt aus dem System gefallen sind. Es gibt zwar das Angebot der Sozialbetreuung, aber nur für Personen, die im Asylverfahren sind. Wenn aber das Verfahren beim Bundesamt oder beim Verwaltungsgericht beendet ist, fallen sie aus dieser Fürsorge heraus, sie erhalten Leistungen, verlieren aber ihre Ansprechpartner, die ihnen bei Behördengängen helfen oder zum Beispiel dabei, ihr Kind im Kindergarten anzumelden. Und genau diesen Bereich der Alltagsbegleitung decken die Integrationsmanager ab.

Wo findet man einen Tübinger Integrationsmanager?

Bei der Stadtverwaltung.

Ihr Parteikollege Boris Palmer, der Oberbürgermeister Tübingens, hat ein Buch geschrieben mit dem Titel „Wir können nicht allen helfen“. Würden Sie den Satz so stehen lassen?

Die Frage ist doch: Wer sind denn „alle“? Wir haben jetzt neue Zahlen vom UNHCR, die besagen, dass 68,5 Millionen Menschen auf der Flucht sind, und da sind noch nicht mal die Menschen dabei, die innerhalb ihres eigenen Heimatlandes auf der Flucht sind. Aber de facto ist das, was in Deutschland an Flüchtlingsaufnahme erfolgt ist, gemessen an den Menschen, die weltweit auf der Flucht sind, relativ wenig. Es ist auch wenig gegenüber dem, was in Italien und Griechenland über Jahre hinweg relativ normal war. Das hat uns damals aber gar nicht so gestört, sondern da haben wir uns strikt auf die Dublin-Regelung zurückgezogen.

Im Jahr 2015 hatten wir eine sehr hohe Zahl von Flüchtlingen und das war schlicht aufgrund des kurzen Zeitraums natürlich schwer zu bewältigen. Menschen kamen in Deutschland an und wurden weiter in Einrichtungen gebracht, die teilweise erst geschaffen wurden, während die Leute schon im Zug nach Baden-Württemberg saßen. Das war ein Kraftakt und ist nicht so einfach wiederholbar. Aber damit endet nicht unsere Verantwortung für Flüchtlinge.

Veranstaltungstipp: Podiumsdiskussion mit Herrn Lede Abal zum Thema „reclaim the streets“ – Sicherheit im öffentlichen Raum, heute, 24.7.2019, um 19:30 Uhr im D.A.I.

Foto: Thomas Dinges

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