Unsere Autorin entdeckt während ihres Sommerurlaubs in Italien die Vorzüge des offline-Reisens und beweist damit: Am besten lässt sich die Welt ganz ohne Instagramfilter entdecken.
Die Sonne strahlt auf die kleine Stadt in den Bergen. Die Luft, unten im Tal noch heiß und schwül, wird hier oben durch einen sanften Wind angenehm abgekühlt. Wir haben unseren Mietwagen spontan auf einem Parkplatz am Ortseingang stehen gelassen, sind durch das Gewirr bunter Straßen zu einer halbverfallenen Burg aus dem 12. Jh. spaziert und jetzt sitzen wir hier, in einer kleinen Osteria, zwei dampfende Teller mit hausgemachter Pasta auf dem Tisch. Calizzano heißt dieses hübsche Städtchen, in dem wir ganz zufällig gelandet sind. So, wie wir auf dieser Reise fast alles dem Zufall überlassen haben.
Aber der Reihe nach. Mein Freund und ich hatten für diesen Sommer geplant, ein paar ruhige Tage in der Sonne zu verbringen. Die Utopie: Möglichst kleine, idyllische Dörfer mit gutem Essen und schöner Natur möglichst fern ab der Touristenmassen – sofern das in Italien im August überhaupt möglich ist. Nach ein wenig Recherche entschieden wir uns für die Region um Savona, Ligurien. Wir buchten eine Ferienwohnung und damit war unsere Reisevorbereitung beendet. Genervt von den vielen vor dem Bildschirm verbrachten Stunden während des Semesters beschlossen wir, keine technischen Geräte mitzunehmen – also keine Laptops, keine Smartphones etc. Einzige Ausnahme: Eine Digitalkamera und mein Tastenhandy, für den Fall, dass wir den Vermieter der Ferienwohnung anrufen müssten (wer die letzte Kupferblau aufmerksam gelesen hat, weiß bereits, dass ich kein Smartphone besitze).
So steigen wir also in Genua aus dem Bus, nehmen unseren Mietwagen in Empfang und fahren los, ohne wirklich zu wissen, was uns erwartet. In einem Notizbuch hatte ich mir vorab die Wegbeschreibung notiert. Nach dem fünften Kreisverkehr habe ich allerdings die Übersicht verloren, und obwohl wir irgendwann das richtige Dorf finden, muss ich doch mein Handy anschalten, um unseren Vermieter nach einer Wegbeschreibung zu fragen. „Gebt einfach „Via San Paolo“ bei Google Maps ein“, lautet sein Vorschlag. Da wir das aber nicht können, schwingt er sich auf seine Vespa und kommt uns abholen.
Unser Tagesablauf sieht in den nächsten Tagen so aus: Morgens frühstücken wir in der Sonne, die schon um neun Uhr erbarmungslos auf unsere Köpfe brennt und genießen die Aussicht über die hügelige Landschaft und das tiefblaue Meer. Danach breiten wir unsere Straßenkarte auf dem Frühstückstisch aus und machen einen Plan, wo wir entlangfahren möchten – nur darauf basierend, welche Ortsnamen hübsch klingen. Dann steigen wir ins Auto, fahren los und halten überall dort spontan an, wo es uns gefällt. Und wenn eine andere Straße hübscher aussieht als die, die wir geplant hatten, fahren wir eben dort entlang.
Nicht die Möglichkeit zu haben, alles vorher im Detail zu recherchieren, beschert uns die schönsten Entdeckungen. Zum Beispiel haben wir in unserer Ferienwohnung einen Flyer über eine Tropfsteinhöhle gefunden, die nur drei Minuten entfernt liegt. Kurz entschlossen fahren wir dort hin und verbringen eine Stunde in völligem Staunen in dem über einen Kilometer langen Tunnelsystem, von dem die meisten Touristen nie etwas gehört haben. Später fahren wir über sich windende, enge Bergstraßen mit traumhafter Aussicht über das in der Ferne glitzernde Meer und entdecken Dörfer, die alles sind, was wir uns erträumt hatten: Malerisch, authentisch und frei von Touristen. So wie Calizzano. Hätten wir vorher recherchiert, wäre es uns wahrscheinlich nie in den Sinn gekommen, in dieses unscheinbare, charmante Städtchen zu fahren, das irgendwo im Nirgendwo liegt und wir würden jetzt nicht in diesem schönen kleinen Restaurant diese leckere Pasta essen.
Das ältere Paar am Nebentisch hat während des ganzen Essens vielleicht zehn Sätze miteinander gesprochen, da beide pausenlos an ihrem Smartphone hängen. Die eigene Techniklosigkeit macht mir noch bewusster als sonst, wie oft Smartphones die direkte Kommunikation stören. Während der nächsten Tage gibt es viele dieser Momente, in denen ich mich frage, warum manche Menschen überhaupt zusammen unterwegs sind, wenn sie sich doch anscheinend gar nichts zu sagen haben. Eine interessante Beobachtung machen wir allerdings: Es sind fast immer ausländische Touristen (von denen es in den Küstenstädten nur so wimmelt), die an ihren Smartphones kleben. Die Italiener scheinen diesen Habitus noch nicht übernommen zu haben.
Calizzano und seine Verwandten mit so schön klingenden Namen wie Zuccarello oder Castelvecchio di Rocca Barbena liegen in der Mittagshitze wie ausgestorben vor uns und wir genießen die Stille. Besonders die vielen schönen Kirchen, die meisten davon viele hundert Jahre alt, beeindrucken. Jede der Städte, die wir besuchen, hat mindestens eine altehrwürdige Kirche, die in jedem anderen Land eine Touristenattraktion wäre. Nicht so hier. Die kleine Stadt Diano Castello zum Beispiel, in der wir spontan anhalten, hat nur rund 2.200 Einwohner, aber gleich fünf Kirchen, von denen zwei aus dem zwölften Jahrhundert stammen. Diese kleinen Städte in den Bergen sind wirklich kein Vergleich zu den überfüllten Städten an der Küste mit ihren Sonnenschirm-gepflasterten Stränden, die wir tagsüber möglichst meiden. Warum jemand seinen Tag an einem kleinen Strandabschnitt verbringen möchte, auf dem sich Liegestuhl an Liegestuhl drängt, den ganzen Tag Musik läuft und in manchen Fällen Kinderentertainment im Pool stattfindet (ein Pool am Strand???), bleibt für mich auf dieser Reise das größte Rätsel.
Es mag sich vielleicht komisch anhören, aber während unserer sechstägigen Technikpause habe ich das Internet kein einziges Mal vermisst. Es hat etwas ungemein entspannendes, am Abend einfach ein Buch zu lesen, Karten zu spielen oder auf der Terrasse zu sitzen und auf das dunkle Meer zu blicken, ohne das Gefühl zu haben, jetzt die Nachrichten lesen zu müssen oder den Daheimgebliebenen die schönsten Fotos des Tages zu schicken oder sie zu posten. Unsere Tage sind hier so gefüllt von neuen Eindrücken, dass wir abends kein einziges Mal das Bedürfnis haben, einen Film zu sehen. Es ist auch schön, nicht zu wissen, was die tollsten Sehenswürdigkeiten oder die besten Restaurants in der Gegend sind, denn das nimmt den Druck weg, sie besuchen zu müssen. Wir fahren einfach in den Tag hinein und vielleicht haben wir einfach nur Glück, aber jeden Abend sind wir glücklich über die Orte, die wir gesehen und die Restaurants in denen wir gegessen haben.
In Calizzano rundet ein Tiramisu unser Mittagessen ab, bevor wir wieder ins Auto steigen und weiterfahren, der Hitze an der Küste entgegen. Wenige Tage danach steigen wir morgens um 6.30 Uhr in Tübingen wieder aus dem Bus. Ein paar Stunden Schlaf später schalte ich mein Laptop an und warte etwas wehmütig darauf, dass meine E-Mails laden. Nebenbei werfe ich einen ersten Blick auf die Nachrichten. Willkommen zurück im Alltag.
Fotos: Luke Liscio