Vom 25. bis 28. April fand die Fairtrade- und Nachhaltigkeits-Messe „Fair Handeln“ auf dem Messegelände in Stuttgart statt. Gerade in Zeiten von „Fridays for Future“ ein Thema, das aktueller nicht sein könnte. Kupferblau zeigt euch, welche Highlights zu bestaunen waren, wie wir nachhaltiger leben können und warum Elefantenmist wichtiger ist, als man vielleicht glauben mag.
Fairtrade und das Konzept Messe: Eigentlich verträgt sich das nicht. Wenn man an eine faire und nachhaltige Art zu handeln denkt, scheinen die kapitalistischen Marketing-Veranstaltungen nicht ganz ins Bild zu passen. Die Stiftung Entwicklungs-Zusammenarbeit (SEZ) hat es als Trägerin trotzdem geschafft, über 150 Aussteller zum Thema global verantwortungsvolles Handeln zusammenzubringen. Die Halle 3 im Stuttgarter Messegelände war sehr gut besucht und die Aussteller präsentierten den Besucher*innen Kulinarisches, Kunsthandwerk und Kleidung aus nachhaltiger Produktion. Besonders interessant waren die kleinen Start-Ups und Firmen der Tech-Branche, die die Veranstaltung zur Vernetzung nutzen konnten. Eigentlich wären fast alle Stände eine Erwähnung wert gewesen, hier jedoch die vielversprechendsten.
Fix the world – „Da kann jeder mit ansetzen“
So zum Beispiel das Start-Up IFIXIT, welches das Problem des weltweiten Müllaufkommens angehen will. Besonders bei der Produktion technischer Geräte würde viel Müll anfallen, so etwa bei der Produktion eines Laptops über eine Tonne. Um eine möglichst lange Nutzung von diesen Produkten zu garantieren, stellt IFIXIT eine Internet-Plattform zur Verfügung, auf der Reparationsanleitungen für technische Geräte gepostet werden. Über 51.000 Handbücher von Geräten sind schon online und es werden täglich mehr, erklärte uns eine Frau am Stand. „Wir arbeiten auch mit Fairphone zusammen“, fuhr sie fort, einem Hersteller für modulare Smartphones aus fairem, nachhaltigem Handel. Am Stand kann man defekte Geräte vor den Augen der Mitarbeiter*innen gleich selbst reparieren, auf der Plattform sollen Anleitungen „in einfachen Schritten“ erklären, wie das auch allein zu Hause funktioniert. In einer Branche, in der immer aufwändigere Geräte für eine immer kürzere Lebensdauer produziert werden, sicherlich ein guter Ansatz.
Wesentlich verbreiteter ist wahrscheinlich das Foodsharing. Auch hier geht es darum Müll einzusparen, jedoch in der Lebensmittelbranche. Am Stand von foodsharing.de informierten präparierte Mülltonnen über die traurigen Fakten der Lebensmittelverschwendung in Deutschland: 18 Millionen Tonnen an Lebensmitteln werden in Deutschland entsorgt, das ist circa ein Drittel des gesamten Nahrungsmittelverbrauchs. Der größte Teil hiervon in privaten Haushalten, wodurch die Verschwendung leicht vermeidbar wäre. Hier soll das Foodsharing ansetzen, wenn noch genusstaugliche Nahrungsmittel vor der Entsorgung gerettet und daraufhin im Bekanntenkreis verteilt werden. „Bevor man mit Erfahrenen die ersten Abholungen selbst durchführt, gibt es ein Treffen“, erklärt uns ein Aktivist am Stand, „die Verteiler kann man aber schon vorher nutzen“. Auf Rückfrage erklärt er uns, dass die Abholungen heute, im Gegensatz zu den Anfangszeiten, mit den Läden abgesprochen sei. Dennoch sei ein neues Lebensmittel-Gesetz, wie in Frankreich, dringend nötig. Bei Lebensmitteln „kann jeder mit ansetzen. Das sind die kleinen Dinge“, sagte der Foodsaver zum Abschluss.
Unser Geldbeutel als Waffe
Auch im Urlaub könne jeder mit ansetzen, erklärte Marco Giraldo von der Firma TourCert auf der Welt:Bühne. Neben den Ständen der Aussteller, wurden auf dieser Bühne Veranstaltungen oder Workshops in der Welt:Lounge abgehalten. In dem Vortrag ging es um Nachhaltigkeit in der Tourismusbranche, zu der TourCert mit der Zertifizierung und Beratung von Touristikunternehmen beitragen möchte. Der Tourismus boomt in der Welt und so erwirtschafte sich auch 3,9% des BIPs in Deutschland aus der Touristikbranche, wohingegen die Automobilindustrie nur circa ein Prozent mehr erwirtschafte. Und weil die Deutschen sehr gerne reisen, habe unser Konsumverhalten großen Einfluss auf den weltweiten Markt. „Sie haben eine relativ starke Waffe: Ihren Geldbeutel“, sagte Giraldo auf der Bühne. Man solle bei der Auswahl der Reise ganz besonders auf ökologische und soziale Auswirkungen achten. Möglichkeiten seien zum Beispiel mit dem Zug, statt dem Flugzeug zu reisen, die Nebensaison auszuwählen, lokal zu kaufen sowie weniger zu reisen, „dafür aber länger“. Er kritisierte die Mentalität vieler Deutschen, die im Urlaub oft wie durch Zauberhand „das Mülltrennen vergessen“. Die Lösung für eine nachhaltige und faire Tourismusbranche sei aber nicht zu Hause zu bleiben, sondern auf die globalen Auswirkungen des eigenen Handelns zu achten.
Die Welt:Bühne bot aber auch Platz für Ästhetisches. So wurde in einer Fair Fashion Show Mode von verschiedenen Ausstellern präsentiert. Der Handel mit fair produzierter Kleidung wächst in Deutschland stetig und so steigen auch konventionelle Textilanbieter um. Eine Frau erklärte uns an einem Stand mit nachhaltiger Unterwäsche, dass meistens die Rohware den Preis bestimme und daher faire Kleidung leider immer noch deutlich teurer sei als Produkte von H&M und Co. Auch wenn manche Onlineshops hier schon mithalten können, sei vor allem für kleinere Anbieter der hohe Preis der Baumwolle abschreckend. Dennoch konnten auf der Fair Handeln modische Kleidung und Accessoires bestaunt werden, die von Eselboxershorts, über nachhaltige Streetwear bis hin zu Taschen aus Upcycling-Materialien, wie Werbebannern oder Zementsäcken reichte. Letzteres produziert die Firma Nyuzi-Blackwhite in Kenia, wo die Firmengründerin ein Praktikum machte. Mittlerweile arbeite sie mit einem fünfköpfigen Team zusammen, das die Zementsäcke aus der wachsenden Baubranche in Kenia zu elf verschiedenen Produkten verarbeitet.
Nachhaltige Initiativen „um die Ecke“ und die inneren Werte des Elefantendung
Aber auch Initiativen, die aus heimischen Gefilden kommen, konnten sich auf der Fair Handeln gut präsentieren: Die Week of Links, ein studentisches Projekt aus Tübingen, das Themen der nachhaltigen Entwicklung interdisziplinär an der Universität angeht, wurde mit einem Preis und der Förderung durch das Baden-Württembergische Staatsministerium und die SEZ anerkannt. Die Initiative, die jedes Semester Workshops und Informationsveranstaltungen organisiert, wird also hoffentlich auch nächstes Semester ihr Programm in Tübingen auffahren.
Ebenfalls aus der Region kommt die Grasdruckerei. Den Stand der Firma aus Stuttgart umgab ein frischer Heugeruch, ein tätowierter Mittzwanziger erklärte uns warum: Die Grasdruckerei stellt verschiedene Papierprodukte aus Gras her und verbraucht so „50% weniger CO2, Wasser und Energie“. Auf das Bleichen des Papieres mit umweltschädigenden Chemikalien verzichtet die Druckerei und setzt stattdessen auf eine Schicht Naturkreide. „Das Gras kommt von der Schwäbischen Alb“, um die Lieferkette möglichst regional zu halten, bekam man am Stand zu hören. Die Abfallprodukte der Landwirtschaft zu nutzen, statt Bäume zu fällen, wirkt gerade mit Blick auf die weitläufigen Weideflächen der Schwäbischen Alb direkt vor unserer Tür sehr naheliegend.
Ein Abfallprodukt der besonderen Art verarbeitet auch Elecosy zu Papierprodukten und verbindet so ökologische Aspekte mit dem Tierschutz. „The elephant paper“ wird aus Elefantenmist hergestellt und trägt so zum Erhalt der trötenden Riesen bei. Die Frau am Stand erklärte uns, dass die Dickhäuter in Sri Lanka lange Zeit von den ansässigen Bauern als Schädlinge angesehen wurden, die Felder verwüsteten und so die Ernte gefährdeten. Das Projekt mache Elefanten zu Nutztieren, deren Erhalt der Bevölkerung nun auch aus wirtschaftlicher Perspektive lohnend erscheint. Und weil sich Elefanten streng vegan ernähren, ist die Gewinnung von Fasern aus deren Mist mit relativ wenig Aufwand verbunden. Elecosy hat es also tatsächlich geschafft, aus „Scheiße Gold zu machen“ und nebenbei noch einen Beitrag zum Artenschutz zu liefern.
Neben dem Einzelhandel befanden sich aber auch Initiativen und Unternehmen der Finanzbranche auf der Fair Handeln. Die GLS Bank präsentierte an ihrem Stand, wie Investitionen sozial und ökologisch funktionieren und wie auch Banken es schaffen können, ihre Renditen nicht auf dem Rücken von Menschen oder der Umwelt zu erwirtschaften. Die Initiative OikoCredit stellte verschieden Produkte aus, die mithilfe ihres Systems von Micro-Krediten vom Reißbrett in die Fertigung gelangen konnte. Schon durch das Anlegen von wenigen hundert Euro können so über 700 Projekte weltweit unterstützt werden. So entwickelten beispielsweise indische Ingenieure eine Solarleuchte, die auch finanziell schwächer gestellten Menschen in abgehängten Regionen elektrisches Licht ermögliche. Ein ähnliches Konzept hat auch das Start-Up Sonnenrepublik, das Solarpaneele zum Aufladen von Smartphones und anderen Geräten in Deutschland vertreibt. Natürlich nachhaltig und fair produziert.
„Leute ansprechen, die normalerweise nicht in der Thematik Fairtrade und Nachhaltigkeit drin sind“
Die Fair Handeln war voll von klugen Ideen, hellen Köpfen und dem Wunsch die Welt zu verbessern. Hannah Köninger, eine Studentin aus Tübingen, war maßgeblich daran beteiligt, dass dies funktionieren konnte. Sie hat die Messe im Rahmen eines Praktikums mit organisiert. Wir konnten ihr auf der Messe einige Fragen stellen:
Wie ist die Fair Handeln entstanden?
Die SEZ [Stiftung Entwicklungs-Zusammenarbeit, Anm. d. Red.] hat die Fair Handeln ins Leben gerufen. Anfangs fand sie im Haus der Wirtschaft in Stuttgart statt, später ist sie dann umgezogen auf das Messeareal. Hier gibt es einfach mehr Platz und man hat auch Gäste von den anderen Messen. Seit 2009 veranstaltet die SEZ die Fair Handeln gemeinsam mit der Landesmesse Stuttgart im Rahmen der Frühjahrsmessen. Die SEZ ist hierbei fachliche und ideelle Trägerin der Messeveranstaltung.
Seit wann existiert die Fair Handeln?
Die Fair Handeln findet jetzt zum elften Mal hier auf der Messe statt.
Was ist das Ziel der Fair Handeln?
Die Fair Handeln ist eine Verkaufs- und Informationsplattform. Sie dient als Ort für Austausch und Vernetzung zwischen Händler*innen, Verkäufer*innen und Konsument*innen. Es ist Ziel der Fair Handeln, auch die Leute anzusprechen, die normalerweise nicht in der Thematik Fairtrade und Nachhaltigkeit drin sind. Außerdem ist sie zentral für Unis und Initiativen, um Ideen auszutauschen, wie man die SDG´s [Von der UN ausgegebene Ziele nachhaltiger Entwicklung, Anm. d. Red.] umsetzen kann oder für Start-Ups, die hier ihre Produkte präsentieren können.
In welcher Branche ist fairer, nachhaltiger Handel am nötigsten?
Ich glaube in allen Branchen – Das betrifft den Tourismus oder das Finanzwesen ebenso wie die Textil- oder Lebensmittelproduktion. Manche Unternehmen haben Ihre unternehmerische Sozialverantwortung bereits so wahrgenommen, dass das gesamte Unternehmen ökonomisch, ökologisch und sozial nachhaltig produziert. In anderen sind die ohnehin bereits kleinen CSR-Abteilungen [Corporate Social Responsibility, Anm. d. Red.] noch schwächer geworden. Doch ich denke, dass auch diesen langsam bewusst wird, dass es ohne ein verantwortliches unternehmerisches Handeln nicht mehr funktionieren wird. Ich denke, wir haben zwei Möglichkeiten: Entweder wir steigen komplett aus dem System aus oder wir versuchen im System nachhaltig und sozial zu wirtschaften. Das kann klappen und das zu zeigen, ist auch Ziel der Fair Handeln.
Ziel erreicht: Am Ende war die Fair Handeln tatsächlich ein Erfolg. Auch wenn der Großteil des Weltmarkts immer noch „konventionell“ betrieben wird, die Umwelt und die Menschen ausbeutet und den Klimawandel befeuert, war es aufmunternd zu sehen, dass Start-Ups, Initiativen und Firmen sich diesem Trend entgegenstellen wollen. Die Fair Handeln Messe hat es ein Stück weit geschafft, nachhaltige und soziale Alternativen „im System“ zu präsentieren. So viele optimistische Menschen versuchen die Welt ein Stückchen besser zu machen und die Energie war tatsächlich ansteckend. Und genau da hat der Aktivist vom Foodsharing-Stand Recht. Jede*r kann mit ansetzen, jede*r muss mitansetzen!
Für Alle die sich für nachhaltigen und fairen Handel interessieren, die Messe aber verpasst haben, gibt es eine Alternative in Tübingen: Noch bis zum 4. Mai findet die Aktionswoche „FAIRstrickt – Wer zahlt den Preis für der Mode?“ mit Workshops, Märkten und anderen Veranstaltungen in und um Tübingen statt. Das Programm findet Ihr hier.
Fotos: Daniel Böckle