Bei Hechingen-Stein wird ein römischer Gutshof aus der Endzeit des Imperiums wieder aufgebaut. Gleichzeitig wird dort immer noch ausgegraben. Unser Redakteur hatte die Gelegenheit, sich dort als Ausgräber einzubringen – Eine Reportage über Archäologie durch die Augen eines Zimmermanns.
Ich hatte im Juni 2017 mit nunmehr 33 Jahren das Abitur nachgeholt, konnte aber zum Wintersemester 17/18 auf Grund einiger erwarteter und unerwarteter Schwierigkeiten nicht zu studieren beginnen. Glücklicherweise wusste ich aber dank meiner zahlreichen Besuche im Römischen Freilichtmuseum Hechingen-Stein um die dortige Ausgrabungsstelle. Und auch wenn mein Interesse an Alter Geschichte nun schon rund zwanzig Jahre anhielt, war ich mir über mein Wunschstudienfach noch nicht ganz im Klaren und schwankte im Groben zwischen Geschichte und Archäologie, sodass die Gelegenheit nicht hätte günstiger sein können, um die Probe aufs Exempel zu machen. Auf Grund meiner elfjährigen Erfahrung in der Baubranche schien ich gut geeignet für die Arbeit auf einer Grabung und wurde sofort engagiert.
Die Ausgangslage
Die etwas versteckt liegende Grabungsfläche bestand derzeit aus einem rund 7 auf 8 Meter großen Rechteck, in dem eine Stelle untersucht wurde, an der ein Eckturm einer Außenmauer auf eine vorbeiführende Straße gestürzt war. Die Grabung war hier noch nicht sehr weit gediehen – die oberste Steinlage lag offen. Vereinfacht gesagt wurde Lage für Lage erst mit grobem, dann mit immer feiner werdendem Werkzeug abgetragen, bis die nächste Lage zum Vorschein kam. Die gesäuberte nächste Lage wurde dann fotografiert und abgezeichnet.
Das Personal, welches ich im Laufe der nächsten Tage noch kennenlernen sollte, setzte sich zusammen aus Martin vom Denkmalamt, seinem Mitarbeiter Holger, der hauptberuflicher Archäologe war, einem noch sehr jungen, ehemaligen Schatzjäger mit Namen Tim, zwei aus der Umgebung angeworbenen Arbeitskräften, nämlich dem „anderen Martin“ und Theresa, sowie einigen Ehrenamtlichen vom Förderverein, der eigentlich für den Wiederaufbau der Anlage zuständig war.
Die Arbeit im Detail
In der Praxis sah das dann so aus, dass ich als einer der Jüngsten mit der Spitzhacke den „Abbruch“ besorgte und auch mit dem Schubkarren die schweren Steine abfuhr. Danach kratzten wir mit Kellen und Spachteln die zum Vorschein gekommenen Steine frei, wobei man darauf achten musste, niemals die aktuelle Grabungsfläche zu betreten, um nichts zu verschieben. Zum Schluss säuberte einer der Erfahrenen die Funde noch einmal mit einem sogenannten „Scherrer“, einem gekrümmten Metallbügel. Geübte Arbeiter können einen Stein damit so sauber bekommen, wie mit einer Zahnbürste.
Nach dem „Abscherren“ der Steine wurde von einer aufgestellten Leiter aus eine Aufnahme aus der Höhe gemacht, wobei die Kamera genau nach unten zeigen sollte. Hin und wieder wurde dazu auch eine Teleskopstange eingesetzt, an deren Spitze ebenfalls eine Kamera befestigt war. Auf dieses konnte man mittels Tablet zugreifen. Da diese Aufnahme in der Natur der Sache liegend immer verzerrt sein muss, insbesondere zum Rand hin, wurde die Mauerlage abgezeichnet und zwar in der Draufsicht, egal wie die Steine lagen. Dazu hatten wir eine Maschine mit raffinierter Mechanik, welche die Bewegung, die man mit einer Stahlnadel ausführte, untersetzte und mit einem beschwerten Bleistift Stein für Stein im Maßstab 10:1 nachzeichnete. Immer wenn aber die Strichführung unterbrochen werden sollte, musste ein zweiter Arbeiter den Stift anheben. Deshalb mussten immer zwei gleichzeitig die Maschine bedienen.
Kamen irgendwann an einer Stelle keine Steine mehr, wurde der Lehmboden mit „Abziehern“ – eigentlich nur Metallklingen quer zu einem Stil – abgezogen, um Farbunterschiede sichtbar zu machen, die die Archäologen interpretieren konnten. Da leider die Lichtverhältnisse meistens zu schlecht für Fotografien waren und es oft regnete, wiederholten wir diese Tätigkeit des Öfteren, das heißt nach jedem Regen und hofften dann auf besseres Licht.
Die gesammelten Erkenntnisse
Die spannendste Tätigkeit, die wir auszuführen hatten, war der „Schnitt durch eine Wand“, um das Fundament analysieren zu können. Wenn also ein Mauerrest beispielsweise von links nach rechts verlief, dann legten wir einen Graben von 60 cm Breite rechtwinklig dazu an, der vor der Mauer begann und dahinter endet. Am Schnittpunkt der Mauer mit dem Graben konnte man dann ins „Innere“ des Bauteils blicken. Die Fundamentgräben waren erstaunlicherweise 60-70 cm tief, was auch heute als frostsichere Gründung gilt und mit im Verhältnis zu den Mauersteinen kleinen Brocken von schlechter Qualität aufgefüllt.
Die meisten Funde waren aber recht uninteressant oder nicht zu deuten. Am häufigsten gruben wir Dachziegelscherben gefolgt von Keramikschutt aus. Interessant und einzigartig dagegen, leider aber auch schwer zu deuten, war ein Feuersteinschnipsel, den ich selbst ausgrub. Laut Holger war er offensichtlich bearbeitet, konnte aber in keiner Beziehung zu den hier ansässig gewesenen Römern stehen. Seiner Aussage nach war der Hügel aber schon seit der Jungsteinzeit besiedelt, was eine Erklärung sein mochte.
Nach meinem letzten Arbeitstag war ich mir aber sicher, dass das nicht war, was ich auf Dauer machen wollte. „Dreckeln“ und Schuften nur eben mit Diplom und jeden Winter die Gefahr saisonaler Arbeitslosigkeit, wie Holger es mir angedeutet hatte? Womöglich einen Zeitarbeitsvertrag für körperliche Schwerstarbeit, im Sommer und im Winter nichts? Auch die ständig wiederkehrenden Probleme waren eigentlich die gleichen, die ich vom Bau her kannte: Personalmangel oder –überschuss, Materialmangel oder kaputtes Werkzeug. Einfach eine Liga höher weiter im Schmutz wühlen, dafür würde ich nicht studieren. Also fiel die Entscheidung für Geschichte.
Die Namen des Personals wurden im Artikel aus Gründen des Datenschutzes verändert.
Bilder: Felix Peterlik