Die EU-Wahlen sendeten ein beunruhigendes Signal: Die rechten Kräfte in Europa haben zwar nicht so stark zugelegt wie von vielen befürchtet, ein Grund zum Aufatmen ist das aber lange nicht. Die neue Kommissionspräsidentin von der Leyen war bei ihrer Wahl auch auf die Stimmen von rechts außen angewiesen. Die Rechtspopulisten sind nun also allgegenwärtig: an den Stammtischen, in den Landesparlamenten, im Bundestag. Inzwischen haben sie sogar die Macht, in der EU die Strippen zu ziehen. Die Prognosen für die Landtagswahlen am Sonntag bestärken diesen Eindruck. Ein Anfang? Schon lange nicht mehr. Ein Kommentar.
Beunruhigende Entwicklungen
Ende August 2014 gelang der Alternative für Deutschland (AfD) erstmals der Einzug in ein Landesparlament. In Sachsen gelang ihr damals mit 9,7 Prozent ein Achtungserfolg. Brandenburg und Thüringen folgten im gleichen Jahr. Dort waren die Ergebnisse der Rechtspopulisten sogar noch stärker. Inzwischen sitzt die AfD in allen Landesparlamenten der Bundesrepublik. Dabei erzielte sie nicht nur in den ostdeutschen Bundesländern beachtliche Erfolge: Bei der jüngsten baden-württembergischen Landtagswahl stimmten immerhin 15,1 Prozent der Wähler*innen für die AfD. Dass hier oftmals von einem Rechtsruck in den Kinderschuhen gesprochen wird, mutet doch sehr befremdlich an.
Der Trend droht sich in der Zwischenzeit fortzusetzen: In Brandenburg könnte die AfD stärkste Kraft werden. Mit 21 Prozent lässt sie dabei sowohl CDU als auch SPD hinter sich. Moment mal, stärkste Fraktion mit 21 Prozent? Was ist denn da bei den anderen Parteien los?
Was sich in Brandenburg abzeichnet, ist kein rein ostdeutsches Phänomen. Selbst im Bundestag hat die AfD dafür gesorgt, dass die einstigen Volksparteien starke Einbußen zu verkraften hatten. Auffallend ist hierbei, dass die AfD nicht nur vom Schwächeln einer bestimmten Partei zehrt. Im Gegenteil, Wähler*innen von fast allen anderen Parteien wandern in immer größerer Zahl zur AfD ab. Auch einstige Nichtwähler*innen weiß die AfD geschickt für sich zu mobilisieren. Damit hat die AfD an vielen Stellen einen Fuß in der Tür. Koalitionsbildungen werden kompliziert und ziehen sich im Zweifelsfall über mehrere Monate, wie sich nach der Bundestagswahl 2017 herausstellte.
Die Causa AfD: Von der Splitterpartei zur größten Fraktion
Doch wie konnte es dazu nur kommen? Sicherlich ist das keine zwangsläufige Entwicklung, wie Viele uns das glauben machen wollen. Jede Ursache für den Aufstieg rechter Kräfte aufzudröseln, ist sicherlich eine Alternative zu herkömmlichen Schlafmitteln aus der Apotheke. Ein Kardinalfehler aber ist definitiv auszumachen, und der liegt in der Bundestagswahl 2013.
Die Fakten: Die AfD entsteht wenige Monate vor der Bundestagswahl 2013. Sie erzielte bei den Wahlen 4,7 Prozent der Zweitstimmen. Ein Einzug ins Parlament scheiterte somit nur knapp. Von der Bedrohung von rechts unbeirrt, fanden sich Union und SPD zu einer weiteren Großen Koalition zusammen.
Redet man vom erstarkenden Rechtspopulismus wird immer an die Lehren aus der Geschichte erinnert. Entsprechende Lehren aus vorherigen GroKos haben die Damen und Herren aus der Regierung allerdings nicht gezogen. Politikwissenschaftler*innen sind sich einig: Ein Zusammenschluss der beiden größten Fraktionen in einem Parlament sorgt fast zwangsläufig zum Erstarken der Ränder.
Belege hierzu gibt es in der bundesdeutschen Geschichte genug: Die erste GroKo (1966-1969) unter Kanzler Kiesinger verdrängte die Opposition fast vollständig aus dem Parlament auf die Straße. Die Entstehung der APO (Außerparlamentarische Opposition) stand dabei nur am Anfang dieser Entwicklung. Auch von den letzten beiden Großen Koalitionen profitierten vor allem die politischen Ränder. 2009 erstarkte zunächst Linksaußen (11,9 Prozent für Die Linke) und aktuell Rechtsaußen (12,6 Prozent für die AfD bei der Wahl 2017).
Die GroKo – Wurzel allen Übels?
Per definitionem bezeichnet der Begriff „große Koalition“ eine Regierungskonstellation aus den beiden größten Fraktionen in einem Parlament. Dass es sich dabei um Interessengruppen mit hohem politischen Konfliktpotenzial handeln sollte, scheint in jüngerer Zeit immer mehr in Vergessenheit zu geraten. Stattdessen gibt sich die Bundesregierung jedem noch so faulen Kompromiss hin – alles unter dem Deckmantel einer stabilen Politik. Die Folge: Die Parteien verspielen ihre Glaubwürdigkeit, geben ihr Profil auf, machen Wähler*innen abspenstig. Mancherorts sind Union und SPD gemeinsam nicht einmal mehr mehrheitstauglich. Beispiel Baden-Württemberg: Hier regiert seit drei Jahren eine große Koalition – aus Grünen und Union.
Wie viel besser stünde unser Land wohl da, hätte man bereits 2013 der GroKo eine klare Absage erteilt? Durch die erneute GroKo schrumpfte die Opposition beachtlich. Grüne und Linke kamen gemeinsam nicht einmal auf 20 Prozent. Dabei wären mindestens zwei andere Szenarien nach der Wahl 2013 möglich gewesen. Mit Schwarz-Grün hätte es eine starke linke Opposition gegeben. Bei Rot-Rot-Grün wäre es der Union sicherlich leichter gefallen, konservative Politik zu betreiben – und der AfD damit den Wind aus den Segeln zu nehmen. Letztere Mehrheit wurde übrigens nur ein einziges Mal genutzt: ganz zu Ende der Legislaturperiode, als man sich gegen die Union positionierte, um die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare zu öffnen. Sicherlich ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer offeneren Gesellschaft. Doch bestimmt nicht das einzige, was sich viele Menschen in prekären Arbeits- und Lebenssituationen von dieser Mehrheit erhofft hatten.
Der Vergleich mit Weimar
Der aktuelle Aufstieg von Rechtspopulisten wird häufig mit dem Aufstieg der Nationalsozialisten in der Weimarer Republik verglichen. Doch ist dieser Vergleich wirklich berechtigt? Ja und nein.
Nein, weil die politischen und geschichtlichen Gegebenheiten überhaupt nicht vergleichbar sind. Kurz vor Weimar war gerade ein Krieg verloren gegangen. Viele Deutsche fühlten sich nicht für den Kriegsausbruch verantwortlich. Der Versailler Vertrag tat sein Übriges. Ein Blick ins Geschichtsbuch verrät, dass der letzte Krieg hierzulande vor über 70 Jahren zu Ende ging.
Nein, weil auch die wirtschaftliche Ausgangslage eine völlig andere war. Okay, es gab 2008 eine Bankenkrise, die viele Menschen mindestens mittelbar zu spüren bekamen. Mit Sicherheit muss heute aber niemand mit Schubkarren voller Geld zum Bäcker gehen.
Nein, weil wenigstens viele Bürger*innen wertvolle Lehren aus der Geschichte gezogen haben. Wenn rechts aufmarschiert, formiert sich fast immer eine Gegendemo. Das war zu Weimarer Zeiten anders. Es fehlte die Erfahrung mit demokratiefeindlichen Gruppierungen; teilweise teilte man sogar die Ansichten der Aufständischen. Heute übertreffen die Teilnehmerzahlen der Gegendemos die Anhänger*innen rechter Aufmärsche oft um ein Vielfaches. Ganz offensichtlich wollen viele nicht akzeptieren, dass die Pegisten mit ihren „Wir sind das Volk“-Rufen einen kurzen Augenblick deutschen Nationalstolzes entweihen.
Ja, denn es gibt auch eklatante Parallelen zwischen den Vorgängen heute und den Entwicklungen in Weimar. Ein Klima der Zwietracht, des Misstrauens und des Neids kann nicht von der Hand gewiesen werden – weder heute noch vor fast 100 Jahren. Perfekter Nährboden also für Intoleranz und auch für Hass. Im schlimmsten Fall gipfelt dieser Hass in Gewalt.
Und ja, es geht um Walter Lübcke. Er wurde ermordet. Vermutlich von einem Rechtsradikalen. Der Kasseler Regierungspräsident hatte Partei ergriffen für die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel. Als „Volksschädling“ wurde er dafür beschimpft. Viele Rechte wünschten ihm öffentlich den Tod. Was das mit Weimar zu tun hat? „Knallt ab den Walther Rathenau, die gottverfluchte Judensau.“ Reichsaußenminister Rathenau wurde am 24. Juni 1922 ermordet – ebenfalls von Rechtsradikalen.
Ein Umkehren ist möglich
Trotz alledem ist es noch nicht zu spät umzukehren. Die Rechten wollen unser Vertrauen in den Rechtsstaat aushöhlen, das dürfen wir nicht zulassen. Wenn wir selbst aber rechtsstaatliche Grundwerte verraten oder an ihnen zweifeln, tanzen wir AfD & Co. nach der Pfeife. Aktuelles Beispiel: die Äußerungen von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). Er erwägt, Rechtsradikalen Grundrechte zu entziehen. Zusammengefasst heißt das: Sie bekämpfen unsere Verfassung und sollen daher nicht mehr unter den Schutz derselbigen fallen. Ein brandgefährlicher Ansatz, denn er zeugt von Zweifeln an der Wirkmächtigkeit des Grundgesetzes. Eine solche Ideologie dürfen wir uns nicht zu eigen machen.
Viel eher müssen Rechtspopulisten als Teil unserer Gesellschaft verstanden werden. Das ist übrigens nicht der gleiche Fehler, der damals mit der NSDAP begangen wurde. Eine sachliche und ernsthafte Debatte ist lange überfällig – lässt aber weiter auf sich warten. Eine objektive Behandlung des Themas wird immer schwieriger. Die Polarisierung ist in vollem Gange. Dabei haben sich selbst namhafte Blätter bereits auf das Niveau der BILD-Zeitung herabgelassen. Bei schweren gewalttätigen Übergriffen in der Öffentlichkeit nennen sie nicht selten Haarfarbe oder gar die mutmaßliche Nationalität des Täters im Titel der Meldung. Kein Wunder also, dass AfD & Co. oft so leichtes Spiel haben, Ängste zu schüren und Menschen gegeneinander aufzubringen.
Wer nicht AfD wählt, wählt grün
Der Schlüssel sind die Wähler der AfD. Ihnen zuzuhören und sie ernstzunehmen ist das Gebot der Stunde. Das wurde nämlich viel zu lange nicht getan. Nun wählen viele eine Partei, deren Programm sie vermutlich bestenfalls überflogen haben. Genau wie die Grünen versteht es die AfD geschickt, sich als neue Volkspartei zu inszenieren. Die Polarisierung ist in vollem Gange: Bist du nicht grün, dann bist du blau. Dafür oder dagegen.
Hört man den Menschen hingegen zu, wird eines völlig klar: Viele von ihnen hassen nicht. Sie haben schlicht Angst. Angst, dass ihnen von dem Wenigen, das sie haben, auch noch etwas weggenommen wird. Wer genug hat, der kann jetzt sagen: Ist alles Käse. Ist es auch. Aber kaum einer interessiert sich heute noch für Argumente. Es scheint viel wichtiger zu sein, die Emotionen der Menschen anzusprechen.
Beispiel Wohnungsmarkt: Flüchtlinge ziehen ins Flüchtlingsheim. Die AfD macht daraus: Die nehmen uns unseren Wohnraum weg. Dass diese Flüchtlingsunterkünfte nur einen äußerst begrenzten Einfluss auf den Wohnungsmarkt haben, ist egal. Die Botschaft wirkt trotzdem. Weil die Probleme schon vor den Flüchtlingen da waren. Rechtspopulisten geben diesen Problemen ein Gesicht. Dass sie keinerlei wirkungsvolle Lösungen anzubieten haben, wird getrost übersehen. Dabei ist die Lösung zum Greifen nah: Man muss nicht die Rechtspopulisten bekämpfen, sondern die Grundlage ihres Erfolgs. Wichtige Schritte sind: Ängste abbauen durch bezahlbare Mieten, höhere Einkommen und weniger sozialen Druck. Doch wie so vieles ist das dann angeblich nicht finanzierbar…
Titelbild: Bianca Theis via Flickr [CC BY 2.0]